Die Entscheidung der USA, der Ukraine für den Kampf gegen die russischen Besatzer Streumunition zur Verfügung zu stellen, sorgte auch am Wochenende für Debatten. Auch aus mehreren Nato-Ländern war Kritik zu hören. Der britische Premierminister Rishi Sunak wies darauf hin, dass Großbritannien Unterzeichner der Konvention sei, die Streumunition verbietet, und riet von deren Einsatz ab.  

Auch Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles fand recht deutliche Worte. Die Linkspolitikerin erklärte am Samstag, sie sage zwar Ja zur Verteidigung der Ukraine, aber Nein zu Streubomben. Spanien hat derzeit die Ratspräsidentschaft in der EU inne.

Der Präsident des Lieferantenlandes USA, Joe Biden, machte aus seiner Zerrissenheit auch selbst kein Hehl. "Es war eine sehr schwierige Entscheidung für mich", sagte der US-Präsident in einem CNN-Interview am Sonntag: "Es hat eine Weile gedauert, bis ich überzeugt war." Doch nun wird Washington der Ukraine umstrittene Streumunition liefern. Den dramatischen Grund sprach Biden offen aus: "Der Ukraine geht die Munition aus."

Die Kritik an Joe Bidens Entscheidung, der Ukraine Streumunition zu liefern, ist innerhalb der USA eher verhalten.
EPA/SHAWN THEW

Mit der Lieferung der auch für Zivilisten gefährlichen Munition setzt sich Biden von vielen Verbündeten und befreundeten Staaten ab, die – wie Deutschland und Österreich – Streubomben geächtet haben. Innenpolitisch muss der Präsident aber trotz der Proteste von Menschenrechtsorganisationen und Parteilinken mit keinem massiven Widerstand rechnen. Die Spitzen der Demokraten und der Republikaner im US-Kongress unterstützen das Vorhaben. Allerdings gibt es Zweifel an der offiziellen Blindgängerquote, die das Pentagon genannt hat.

2009 hat der US-Kongress beschlossen, dass das Land keine Streumunition mit einer Blindgängerquote von über einem Prozent exportieren darf. Doch der Präsident kann diese Auflage aussetzen, was er nun tut. Laut Pentagon beträgt die Blindgängerquote der nun für die Ukraine vorgesehenen Waffen weniger als 2,35 Prozent. Da jedes 155-Millimeter-Geschoß 72 kleinere Granaten freisetzt, würden selbst bei dieser Relation bei zwei Abwürfen im Schnitt drei lebensgefährliche, nicht detonierte "Bomblets" am Boden zurückbleiben.

Auflage ausgesetzt

Doch laut einem Bericht der New York Times ist die offizielle Zahl deutlich zu niedrig angesetzt. Zwar hat die Industrie in den vergangenen Jahren die Präzision der Streumunition deutlich verbessert – in der Lieferung des Pentagon für die Ukraine soll aber eine modifizierte Version von Granaten enthalten sein, die bereits 1991 im Zweiten Golfkrieg gegen irakische Ziele eingesetzt wurden. Deren Reichweite wurde erhöht, doch sie sollen die alten Bomblets freisetzen, deren Blindgängerquote das Pentagon zwischenzeitlich als inakzeptabel hoch bezeichnet hatte.

Laut New York Times liegt der Prozentsatz der Blindgänger deshalb tatsächlich bei 14 Prozent oder höher. Die Abweichung von der offiziellen Zahl ergibt sich offenbar auch, weil die Streubomben im Wüstenstaat Arizona auf hartem, ebenem und vegetationsfreiem Grund getestet werden. Landen die Minigranaten hingegen in Wasser, Sand oder Matsch oder bleiben in Bäumen und Gebüsch hängen, ist das Risiko einer Nichtdetonation wesentlich höher.

Keine Sicherheit

"Die Realität ist: Es gibt keine sicheren Streubomben", kritisieren deshalb linke Politiker der Demokraten. 19 Parlamentarier um die Abgeordnete Pramila Jayapal haben einen Appell gegen die Lieferung unterzeichnet: "Wir können und werden weiter die Verteidigung unserer ukrainischen Verbündeten unterstützen", heißt es darin: "Aber diese Unterstützung erfordert nicht, dass wir die Führung der USA im Kampf für Menschenrechte rund um die Welt untergraben."

Die Unterstützer nennen allerdings keine Alternative angesichts der Nachschubprobleme. Auch fällt auf, dass die prominente Parteilinke Alexandria Ocasio-Cortez den Aufruf nicht unterzeichnet hat. So bleibt die politische Wirkung des Protestes eher verhalten.

Umso lauter protestieren derweil einige ultrarechte Republikaner: "Statt sich auf eine friedliche Lösung zu konzentrieren, schickt Biden uns in den Dritten Weltkrieg", erregte sich der Abgeordnete Andy Biggs aus Arizona. Und Richard Grenell, der einstige Trump-Botschafter in Berlin, ätzt: "Die Regimepresse hat die Mitteilung erhalten: Streubomben sind in Ordnung, wenn die Demokraten sie bereitstellen." (red, Karl Doemens aus Washington, 9.7.2023)