Rutte Niederlande Regierungskrise
Für Rutte ist Schluss.
IMAGO/Phil Nijhuis

Amsterdam – Nach dem Platzen der Regierungskoalition in den Niederlanden will Ministerpräsident Mark Rutte nicht mehr für eine fünfte Amtszeit antreten. Er werde sich nach der Neuwahl im November aus der Politik zurückziehen, kündigte der dienstälteste Regierungschef in der Geschichte des Landes am Montag an. Der 56-jährige Rutte hatte zuvor noch erklärt, er wolle gern erneut kandidieren, dies hänge aber von seiner konservativen Partei VVD ab.

"In den vergangenen Tagen wurde viel darüber spekuliert, was mich motiviert hat. Die einzige Antwort sind die Niederlande", sagte Rutte nun in einer Rede im Parlament vor einer Debatte über den Zusammenbruch der Regierung. "Gestern Morgen habe ich die Entscheidung getroffen, dass ich nicht mehr als Vorsitzender der VVD zur Verfügung stehen werde. Sobald das neue Kabinett nach der Wahl gebildet ist, werde ich die Politik verlassen."

Streit um Asylpolitik

Ruttes Mitte-rechts-Koalition aus vier Parteien war am Freitag am Streit über den Familiennachzug von Asylsuchenden zerbrochen. Ruttes Partei wollte Familien mindestens zwei Jahre auf eine Zusammenführung warten lassen, was von Koalitionspartnern abgelehnt wurde. Diese gaben daraufhin am Wochenende weitgehend ihm die Schuld an der Regierungskrise.

Video: Niederländische Regierung stürzt über Streit um Asylpolitik
AFP

Rutte erklärte seinen Rückzug zu Beginn einer Parlamentsdebatte in Den Haag über die Lage nach dem Bruch der Regierung und sagte, dass es sich um eine persönliche Entscheidung handle, die von der aktuellen Situation unabhängig sei. "Diese Debatte muss um unser Land gehen", sagte er vor dem Beginn der Sitzung, bei der unter anderem die Opposition einen Misstrauensantrag gegen den Premier hatte stellen wollen. 

Am Montagabend wollte König Willem-Alexander die Parlamentsvorsitzende Vera Bergkamp empfangen, die das Staatsoberhaupt über die politische Lage informieren wollte, teilte das Königshaus mit. Rutte hatte dem König den Rücktritt des Kabinetts angeboten und mit Willem-Alexander am Samstag bereits über die Lage beraten.

Politischer Stillstand befürchtet

Eine Festlegung auf einen Termin für die Neuwahl gibt es noch nicht. Die Rede ist aber von Mitte November. Da in den Niederlanden in der Regel mittwochs an die Wahlurnen gerufen wird, könnte der Termin der 15. November sein. Sobald es dazu eine Verständigung gibt, kann Willem-Alexander das Wahldatum verkünden und den Rücktritt der Regierung annehmen. Dies war bisher noch nicht geschehen.

Bis dahin könnte Stillstand die Arbeit der amtierenden Regierung dominieren, wie viele befürchten. Neben der Migrationspolitik sorgen sich die Menschen in den Niederlanden auch um die Wohnungsnot, die Energiewende sowie die Klimapolitik. Einer der großen Konflikte ist die Zukunft der Landwirtschaft angesichts angekündigter Umweltauflagen. Noch völlig offen ist, wer bei der VVD oder in einer der übrigen Parteien der Favorit für Ruttes Nachfolge sein wird.

Rutte galt als Kurz-Vertrauter

Rutte wurde 2010 Ministerpräsident und ist nach Viktor Orbán in Ungarn der dienstälteste Regierungschef in der Europäischen Union. Doch im eigenen Land ist er nach zahlreichen Affären längst nicht mehr unangefochten, und zuletzt wurde ihm von Anhängern seiner Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) vorgeworfen, den stramm rechten Kurs seiner Partei verlassen zu haben. Vor allem bei Klima- und Asylpolitik sei er eingeknickt, warf ihm auch sein großer Widersacher, der Rechtspopulist Geert Wilders, vor. Viele Niederländer sahen Rutte indes lange als guten Krisenmanager, einen, der den Laden zusammenhält.

Rutte galt auf EU-Ebene vor dem Beschluss des EU-Finanzrahmens 2020 als enger Vertrauter des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP). Im Verbund mit Schweden und Dänemark bildete man auf EU-Ebene die informelle Kooperation der "Sparsamen Vier". Sie traten für EU-Haushaltserleichterungen und eine straffe Finanzpolitik in der Eurozone ein und sprachen sich generell gegen einen großen europäischen Verteilungshaushalt und kollektive EU-Schulden aus. Eine Kernforderung während der Coronavirus-Pandemie war, dass die Corona-Wiederaufbauhilfen der EU als Kredite und nicht als Zuschüsse vergeben werden. (APA, 10.7.2023)