Im Gastblog schreibt Tobias Goretzki über Möglichkeiten, mit der Digitalisierung Schritt zu halten – ohne dabei in ihr verlorenzugehen.

Die Ära der Digitaltechnik hat einen beispiellosen Wandel in unserem Leben ausgelöst, der unseren Alltag vollständig neu definiert hat. Ob es darum geht, Botschaften in die entlegensten Winkel der Welt zu senden, berufliche Aufgaben zu erfüllen, sich in die Weiten des Wissens zu vertiefen oder der Unterhaltung nachzugehen – Technologien wie Smartphones, Tablets, Computer und das Internet haben ihren festen Platz in unserer Existenz gefunden. Jedoch zeichnet sich in diesem strahlenden Fortschritt ein düsterer Schatten ab: der sogenannte "Digitale Nebel", eine bedrohliche Mischung aus geistiger und emotionaler Erschöpfung, die durch übertriebenen Gebrauch digitaler Gerätschaften entsteht.

Frau sitzt verzweifelt vor Laptop am Abend
Spätabends noch in die E-Mails schauen – wie zieht man die richtige Grenze zu den Geräten?
Getty Images/Jay Yuno

Vom ersten Klingeln des Weckers bis zum nächtlichen Streamen unserer Lieblingsserie – die leuchtenden Bildschirme sind unsere ständigen Begleiter. Gefangen in einer kontinuierlichen Präsenz im World Wide Web, sind wir rund um die Uhr erreichbar und somit permanent einer nicht enden wollenden Welle von Informationen, Nachrichten und Updates ausgesetzt. Der einst klare Unterschied zwischen Berufsleben und persönlicher Auszeit, zwischen dem öffentlichen Dasein und privater Intimität, wird mehr und mehr verwischt. Diese ständige Belagerung durch digitale Reize kann psychische Ermüdung, übermäßigen Stress und andere gesundheitliche Beschwerden hervorrufen – ein Phänomen, das in der Fachsprache als "Technostress" bekannt ist.

Dieser ist nicht wählerisch. Er bedroht uns alle, ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht oder Beruf. Aber eine Gruppe ist besonders exponiert: unsere Kinder, die zukünftigen Gestalter unserer Welt. In einer Epoche, in der digitale Kenntnisse als Schlüssel zum beruflichen Erfolg angesehen werden, werden unsere Nachkommen in eine Umwelt hineingeboren, die von unzähligen Gadgets und der Unendlichkeit des Internets geprägt ist. Doch was bedeutet diese allgegenwärtige digitale Omnipräsenz für die jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft? Wie wirkt sich das auf ihr Wohlbefinden aus? Und was sind die Konsequenzen in der Welt der Erwachsenen? 

Kindheit im Schatten der Bildschirme

In der heutigen, digital dominierten Ära ist es für Kinder selbstverständlich geworden, mit technologischen Geräten aufzuwachsen, die sie als integralen Bestandteil ihrer Umwelt betrachten. Die Vorstellung, auf einem Tablet zu zeichnen, sich ein Video auf dem Smartphone anzuschauen oder ein Computerspiel zu spielen, erscheint ihnen vollkommen gewöhnlich. Obwohl diese Entwicklung zweifellos neue Horizonte eröffnet, birgt sie auch Gefahren und Herausforderungen für das Aufwachsen im digitalen Zeitalter.

Eine von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführte Studie hebt hervor, dass Kinder in der heutigen Zeit mehr Zeit mit digitalen Medien verbringen als mit jeder anderen Aktivität, ausgenommen Schlaf. Dies kann erhebliche Folgen für ihre körperliche und geistige Gesundheit haben. Übermäßiger Bildschirmkonsum kann zu Gewichtsproblemen, einem Rückgang der schulischen Leistungen und Schlafstörungen führen. Darüber hinaus können Kinder, die einen großen Teil ihrer Zeit mit digitalen Medien verbringen, Anzeichen von Angst und Depressionen aufweisen.

Die Anziehungskraft digitaler Medien auf Kinder ist unbestreitbar. Sie fungieren als unerschöpfliche Quellen von Vergnügen, Interaktion und Lernen. Doch wie bei allen Aspekten des Lebens ist eine ausgewogene Balance entscheidend. Zu viel des Guten kann schädlich sein und wir als Eltern, Pädagogen und Gesellschaft tragen die Verantwortung, das richtige Maß zu finden und zu wahren.

Zwischen Arbeitsdruck und Bildschirmflimmern

Auch in der Welt der Erwachsenen wirkt sich der sogenannte "Digitale Nebel" erheblich auf die Arbeitswelt und das psychische Wohlbefinden aus. Mit dem Einzug von Technologie und Internet hat sich die Arbeitsumgebung grundlegend gewandelt. Für eine Vielzahl von Menschen wurde das heimische Umfeld zum neuen Büro, und die Linien zwischen Arbeit und Freizeit begannen sich zu verwischen. Die Notwendigkeit, E-Mails nach Feierabend zu beantworten, unaufhörliche Videokonferenzen und die Erwartungshaltung, stets erreichbar und einsatzbereit zu sein, tragen zu einem erhöhten Stressniveau und dem Risiko des Ausbrennens bei.

Eine von der Universität Zürich durchgeführte Untersuchung hat gezeigt, dass Mitarbeitende, die einer hohen Menge an digitaler Kommunikation und Arbeitslast ausgesetzt sind, ein gesteigertes Risiko für Erschöpfung, chronischen Stress und Burnout-Symptome aufweisen. Diese unaufhörliche digitale Präsenz kann zu "Technostress" führen, einer besonderen Art von Stress, der durch den Gebrauch von Technologie hervorgerufen wird. Dieser kann sich durch Angstzustände, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme äußern und in schwerwiegenden Fällen sogar in Depressionen münden.

Es steht außer Frage, dass das fortwährend intensive Eindringen der digitalen Welt in unseren Alltag sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen gravierende Auswirkungen haben kann. Aber welche Strategien können wir entwickeln, um diesen "Digitalen Nebel" zu durchbrechen und gesunde Verhaltensmuster in unserer zunehmend digitalisierten Welt zu fördern?

Leuchttürme im Nebel

Wie finden wir also unseren Weg durch diesen omnipräsenten "Digitalen Nebel", der sich wie ein Mantel über unsere Gesellschaft legt? Hier sind einige Taktiken, die sowohl Kindern als auch Erwachsenen dabei behilflich sein können, mit dieser Herausforderung umzugehen:

Einrichten von Grenzen Wie in vielen Aspekten des Lebens, ist auch hier eine Balance entscheidend. Versuchen Sie, feste Zeiträume für die Verwendung digitaler Geräte zu etablieren. Für Kinder könnte dies beispielsweise bedeuten, dass die Nutzung auf bestimmte Stunden des Tages oder für spezifische Tätigkeiten begrenzt wird. Bei Erwachsenen könnte es hilfreich sein, Phasen für eine "digitale Entgiftung" einzurichten, während derer sie sich vollständig von digitalen Geräten distanzieren.

Qualität statt Quantität Nicht alle digitalen Erfahrungen sind gleichwertig. Es ist von Bedeutung, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene qualitativ hochwertige digitale Erlebnisse haben. Dies bedeutet, Inhalte zu konsumieren und weiterzugeben, die lehrreich, stimulierend und positiv sind.

Ausweitung der digitalen Kompetenz Es ist von essenzieller Bedeutung, dass Kinder und Erwachsene die Fertigkeiten erlangen, die sie benötigen, um sich sicher und effizient in der digitalen Welt zu bewegen. Dies umfasst das Verständnis dafür, wie man Informationen bewertet, das Wissen über Datenschutz und Online-Sicherheit sowie das Bewusstsein für die Auswirkungen, die digitale Medien auf die Gesundheit und das Wohlbefinden haben können.

Achtsamkeit praktizieren Das Bewusstsein für unsere digitalen Gewohnheiten ist der erste Schritt in Richtung Veränderung. Sowohl Kinder als auch Erwachsene können davon profitieren, sich bewusst zu machen, wie viel Zeit sie online verbringen und wie sie sich dabei fühlen. Achtsamkeitstechniken können dazu beitragen, einen gesünderen Umgang mit digitalen Medien zu fördern.

Nun wollen wir das Phänomen des Dopamins im Kontext des "Digitalen Nebels" genauer beleuchten – ein wesentlicher Aspekt, der sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen eine zentrale Rolle spielt.

Dopamin, der unsichtbare Dirigent

Unsere allgegenwärtige Vernetzung und der uneingeschränkte Zugang zu unendlichen Informationen, Vergnügungen und sozialen Interaktionen, die das Internet bereitstellt, ziehen auch neurochemische Folgen nach sich. Der Hauptakteur in dieser Saga ist Dopamin, ein Neurotransmitter, der oft als "Glücks"- oder "Belohnungs"-Chemikalie bezeichnet wird.

Dopamin nimmt eine Schlüsselrolle im Belohnungssystem unseres Gehirns ein. Wenn wir eine Tätigkeit ausführen, die unser Gehirn als befriedigend einstuft – etwa das Genießen eines köstlichen Essens, das Treffen mit Freunden oder das Betrachten eines amüsanten Videos – setzt unser Gehirn Dopamin frei. Dieses signalisiert Freude und Vergnügen und motiviert uns, diese Aktion zu wiederholen.

Die digitale Welt ist vollgepackt mit Dopamin-Auslösern. Ein "Gefällt mir" auf Instagram, ein neuer Follower auf Twitter, ein Match auf Tinder, ein Aufstieg im Level eines Videospiels – all diese Ereignisse können einen Dopamin-Schub auslösen. Die unmittelbare Befriedigung, die wir daraus ziehen, kann äußerst verführerisch sein und dazu beitragen, dass wir mehr Zeit online verbringen, als wir ursprünglich geplant hatten.

Die kontinuierliche Dopamin-Stimulation kann jedoch dazu führen, dass sich unser Gehirn daran anpasst und mehr Dopamin verlangt, um dieselbe Zufriedenheit zu erreichen. Dies kann zu einer Abhängigkeit von digitalen Geräten führen, die anderen Formen der Sucht ähnelt.

Das Verständnis, dass Dopamin eine zentrale Rolle bei unserer digitalen Bindung spielt, kann dazu beitragen, Strategien zu entwickeln, die einen gesünderen Umgang mit der digitalen Welt fördern. Dies könnte beispielsweise darin bestehen, bewusst Pausen von digitalen Medien zu machen, um das Dopamin-Niveau zu normalisieren, oder alternative Aktivitäten zu fördern, die ebenfalls zu einer gesunden Dopamin-Ausschüttung führen können.

Die Herausforderung liegt darin, einen Weg zu finden, das Beste aus der digitalen Welt zu extrahieren, ohne von dem "Digitalen Nebel" erdrückt zu werden. Mit Bewusstsein, Aufklärung und aktiver Beteiligung können wir lernen, uns durch diesen Nebel hindurch zu manövrieren und ein gesundes digitales Dasein zu führen.

Der richtige Umgang

Obwohl die Herausforderungen, die das digitale Zeitalter mit sich bringt, erheblich sind, besteht kein Anlass zur Verzweiflung. Denn mit Bewusstsein und proaktiven Maßnahmen können wir sowohl unsere eigene Zukunft als auch die unserer Kinder in eine positive Richtung lenken.

Es ist entscheidend zu begreifen, dass Technologie und das digitale Leben per se nicht das tatsächliche Problem darstellen, sondern unsere Art und Weise, mit ihnen umzugehen. Die Digitalisierung bietet uns unzählige Chancen, den Zugriff auf Informationen zu vereinfachen, Menschen weltweit zu verbinden und unseren Alltag effizienter zu gestalten. Es liegt in unserer Hand, diese Vorteile auszuschöpfen und gleichzeitig wachsam gegenüber den potenziellen Gefahren zu bleiben.

Die Wissenschaft wird weiterhin die Auswirkungen der digitalen Welt auf die menschliche Psyche untersuchen. Studien, die diese Zusammenhänge beleuchten, werden uns dabei unterstützen, bessere digitale Gewohnheiten auszubilden und unseren Umgang mit Technologie zu optimieren. Schulen, Arbeitgeber und Gesundheitsorganisationen haben die Chance, diese Erkenntnisse aufzugreifen und Programme zu etablieren, die das digitale Wohlbefinden fördern.

Letztlich liegt es in unserer Verantwortung, sowohl als Gesellschaft als auch als Individuen, uns kontinuierlich weiterzubilden und uns über die neuesten Entdeckungen auf dem neuesten Stand zu halten. Obwohl die digitale Landschaft rasant und manchmal überfordernd sein kann, sind wir nicht wehrlos. Mit der richtigen Einstellung und den passenden Werkzeugen können wir uns durch den digitalen Nebel hindurch bewegen und eine gesunde, ausgewogene Beziehung zur Technologie pflegen.

In der heutigen Welt kann niemand die digitale Revolution ignorieren. Es ist unsere Aufgabe, diese Herausforderung anzunehmen, den richtigen Umgang zu finden und den Weg in eine digital gesunde Zukunft zu ebnen. Denn wie bei jeder Revolution, birgt auch diese eine Gelegenheit: Die Möglichkeit, eine bessere und inklusive Welt zu erschaffen, in der die Technologie uns dient, anstatt uns zu beherrschen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf sollten wir mutig und entschlossen in die Zukunft marschieren, bereit sein, die Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu bewältigen und seine Möglichkeiten vollständig zu nutzen. (Tobias Goretzki, 13.7.2023)