Wham!
"Bad Boys": Das britische Popduo Andrew Ridgeley (links) und George Michael alias Wham! am Beginn seiner Karriere um das Jahr 1982. Bald sollten die Hits noch größer und die Frisuren noch dramatischer werden.
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Irgendwer dreht gerade zum Kaffeekochen das Regionalradio auf oder steht als "Ö3ver" auf der Wiener Südosttangente im Stau. Definitiv innerhalb der nächsten halben Stunde werden es alle hören: Wake Me Up Before You Go-Go. Neben Last Christmas poppt das Erweckungslied regelmäßig auf den vorderen Rängen der Liste von Liedern auf, die man meist als schwer wieder wegzukriegende Ohrwürmer bezeichnet. Rivers of Babylon, Live is Life, "Agathe Bauer", Pump Up the Jam, Barbie Girl: Suchen Sie sich einen Wurm aus.

Mit dem erstaunlich zeitresistent klingenden Schlager Wake Me Up Before You Go-Go des britischen Duos Wham! erreichte die Popmusik 1984 damals im Jahrzehnt der hochgekrempelten pfirsichfarbenen Sakkos mit Schulterpolstern und dramatischen Föhnfrisuren ihren frühen Höhepunkt. Eine Netflix-Doku namens Wham! führt nun zurück in ein Jahrzehnt, das in der Popkultur wohl niemals enden wird. Regie bei diesem "dirty job" führte übrigens der auf Katastrophen wie Tiger King oder Fyre: The Greatest Party That Never Happened spezialisierte Chris Smith.

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Der 2016 mit 53 Jahren gestorbene George Michael und sein Schulfreund Andrew Ridgeley gründeten Wham! 1981 im Jugendzimmer. Dort nahm man mit Kassettenrekorder erste Demos auf, schon ein Jahr später waren Wham! in den Hitparaden zu finden. Wie jetzt auch das Boxset The Singles: Echoes from the Edge of Heaven dokumentiert, hatte vor allem George Michael ein untrügliches Gespür für Gassenhauer.

Gute Laune in übler Gegend

In der Doku sieht man vor allem auch unbekanntes Material aus den Privatarchiven der Musiker. Dazu werden Zeitzeugen und Wegbegleiterinnen befragt. Die Karriere von Wham! als neben Culture Club oder Duran Duran größte Pop-Band der frühen 1980er-Jahre verbuchte bis zur Auflösung des Duos 1986 insgesamt zehn Top-Ten-Hits allein in Großbritannien, davon erreichten fünf die Nummer eins.

Das alles geschah zu Hochzeiten von MTV und trotz heute noch für Frisurenskeptiker mühsam anzuschauender Videos wie Wake Me Up, Club Tropicana, Bad Boys oder Everything She Wants. Der satirisch-gesellschaftskritische Feelgood-Rap Wham! Rap (Enjoy What You Do?) von 1982 bejubelte die Arbeitslosigkeit als Lebensmodell unter der Regentschaft Margaret Thatchers. Sie brachte als damalige britische Premierministerin viel Unglück in die Welt. Wham! sorgten für einen eskapistischen Gegenentwurf. Postmodern wurde damals ja auch gern auf den Unis das Motto "Subversion durch Affirmation" ausgegeben.

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Den frühreifen (Solo-)Welthit Careless Whisper schrieb George Michael übrigens schon mit 17. Wie man in der Doku sieht: Kurz vor der Auflösung hin zu Michaels Solokarriere spätestens ab 1986 gastierten Wham! als erste westliche Band in China. Das Publikum wurde streng angewiesen, nicht zu klatschen und zu tanzen. Ein schwieriges Unterfangen bei einer Band, die ausschließlich der guten Laune in übler Gegend verpflichtet war. Die Jammerei kam dann ja erst – so wie auch das späte Coming-out – mit Michaels ebenfalls durchwachsener Solokarriere.

Leider wurde die Musik von Wham! damals sehr quietschbunt mit schlimmen Synthesizersounds und viel zu viel Hall auf Stimme und Schlagzeug abgemischt. Aus dem Schädel kriegt man sie trotzdem nicht.

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Die Wissenschaft hat übrigens herausgefunden, wie man einen Ohrwurm am besten wieder loswird. Da bietet sich etwa ein Gegenohrwurm an, sprich: vom Regen in die Traufe. Man empfiehlt aber auch Kaugummikauen. Beim Kautschikauen werden dieselben Hirnregionen in Anspruch genommen wie bei einem akuten Ohrwurm. Der Körper entscheidet sich im Zweifel lieber für das Kauen. Nahrungsaufnahme wird immer wichtiger als Kunstgenuss bleiben. Noch besser, aber schwieriger ist es natürlich, sich gar nicht erst auf die musikalische Dauerschleife im Kopf zu konzentrieren. Wer sich an einem Lied festbeißt, leidet durchschnittlich bis zu 40 Minuten lang. Aufwachen! (Christian Schachinger, 11.7.2023)