Verfassungsrechtler Peter Bußjäger schreibt in seinem Gastkommentar über Österreichs Bereitschaft, Sky Shield beizutreten.

Noch ist nichts passiert: Die Absichtserklärung Österreichs, dem Projekt Sky Shield beizutreten, ist eine Interessenbekundung, irgendwann einmal Partner eines Abkommens werden zu wollen, das die rechtliche Basis für einen militärischen Schutzschirm werden soll, mit dem in den österreichischen Luftraum eindringende Flugobjekte identifiziert und – gegebenenfalls – zum Abschuss gebracht werden können. Eine solche Absichtserklärung kann die Neutralität Österreichs nicht verletzen. Dazu kommt, dass der Äußerung ein Vorbehalt beigelegt wurde, wie dies übrigens auch die Schweiz tat, was allein schon ein gutes Zeichen ist. Dabei wurde auf die "besonderen verfassungsrechtlichen Gegebenheiten" der beiden Staaten hingewiesen. Das bedeutet sinngemäß: Im Ernstfall sind wir nicht dabei.

Verteidigung Sicherheit Nato Heer
Hat am vergangenen Freitag in Bern eine Absichtserklärung hinsichtlich eines Sky-Shield-Beitritts Österreichs unterzeichnet: Verteidigungsministerin Klaudia Tanner.
APA / Keystone / Alessandro della Valle

Das ist auch schon das Kernproblem des Projekts, dessen Konturen noch nicht recht klar sind. Es soll ein gemeinsamer Einkauf und ein "Informationsaustausch" erfolgen, hieß es anfänglich. Mit dem Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs scheint das durchaus vereinbar. Grundsätzlich kann sich Österreich am Einkauf von militärischem Gerät beteiligen und auch an einem System, das dem Austausch von Informationen über Flugkörper, die sich auf dem Weg nach Westeuropa befinden, zwischen beteiligten Staaten dient.

Das Kleingedruckte

Eine wechselseitige Beistandspflicht, wie sie bei einem Militärbündnis typischerweise besteht, soll, so wird versichert, nicht bestehen. Ob dies von vornherein ausgeschlossen ist oder erst durch den Neutralitätsvorbehalt bewirkt wird, wissen wir (noch) nicht. Dies bedeutet dann wohl, dass für Österreich keine rechtliche Verpflichtung bestehen soll, einen Angriff, der offensichtlich gegen einen anderen Staat geführt wird, abzuwehren. Österreich habe zudem, wie ein führender Vertreter des Heeres in der ORF-Sendung ZiB 2 sinngemäß ausführte, volle Souveränität darüber, welche Maßnahmen von seinem Territorium aus im Ernstfall ergriffen werden. Dies wurde in der Zwischenzeit auch von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner bestätigt.

Überhaupt wird man erst das Kleingedruckte lesen müssen. Die Gelegenheit dazu ergibt sich spätestens, wenn das endgültige Abkommen vorliegt, das als Staatsvertrag dem Nationalrat zur Genehmigung vorgelegt werden muss. Ob es wegen der "Ausgliederung" der Luftraumüberwachung auch einer Verfassungsänderung bedarf, wird noch zu prüfen sein. Das Kleingedruckte eben.

Neutralitätsrechtlich unproblematisch also? Die Probleme stellen sich erst jenseits von Informationssystemen und gemeinsamer Beschaffung, nämlich dann, wenn es ernst wird. Klar ist, dass Österreich sein Territorium bedrohende Flugobjekte unschädlich machen darf, woher es auch immer die Information über die Gefahr beziehen mag. Ebenso wird man die Frage bejahen können, ob Österreich ein seinen Luftraum überquerendes militärisches Flugobjekt wie eine Drohne oder eine Rakete abschießen darf, auch wenn es "nur" eine Bedrohung für andere sein mag. Die Verpflichtung dazu wäre neutralitätsrechtlich aber bereits problematisch.

Darf ein anderer Staat über österreichischem Luftraum ein Objekt abschießen? Nein. Darf Österreich das Objekt über dem Luftraum eines anderen Staates abschießen, wenn es keine Bedrohung für unser Land selbst darstellt? Auch nein.

Das ist allerdings eher der Easy-Modus der Probleme. In aller Regel wird die feindliche Rakete im Kontext mit einem bereits bestehenden militärischen Konflikt zwischen dem fremden Staat und Nato- (EU-)Staaten abgefeuert werden, in den Österreich, will es sich neutral verhalten, nicht eingreifen darf. Dann würde sich Österreich wohl unter Berufung auf seine Neutralität aus der gemeinsamen Raketenabwehr zurückziehen müssen.

Nur Gedankenspielerei

Gerade im Ernstfall ist aber das nur eine Gedankenspielerei. Werden nämlich Mitgliedstaaten der Union angegriffen, besteht auf der Grundlage des Vertrages über die Europäische Union eine sogenannte Beistandspflicht. Aus dem Nicht-Militärbündnis EU wird damit ein Ad-hoc-Verteidigungsbündnis.

Zwar könnte sich Österreich auch in seiner solchen Situation europarechtlich auf die Neutralität berufen, realpolitisch ist die Vorstellung, dass das Land einen Flugkörper, der ein EU-Mitglied bedroht, buchstäblich durchwinkt, absurd. Verfassungsrechtlich wäre ein Einschreiten zugunsten eines anderen Mitgliedstaates der Union auf der Grundlage des Bundes-Verfassungsgesetzes wohl gedeckt. Nur: Neutral wären wir dann natürlich nicht mehr. (Peter Bußjäger, 11.7.2023)