Katta mit Jungtier auf dem Rücken
Kattas (Lemur catta) gehören zu den tierischen Besonderheiten der Insel Madagaskar, die mit einem einzigartigen Ökosystem aufwartet. Das Eiland rückt nun allerdings in den Fokus verstärkter Abbau-Interessen am Rohstoffsektor, wodurch ihre Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Natur unter Druck geraten.
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Die grüne Wende kommt nicht ohne entsprechenden Preis: Allein um die Ziele des Erneuerbaren-Pakets der EU bis 2030 zu erreichen, prognostiziert eine Foresight-Studie der EU-Kommission einen "beispiellosen Anstieg des Materialbedarfs". Für die Permanent-Magneten von Windturbinen werde sich die Nachfrage nach Seltenerdmetallen verfünffachen, für die Batterien von Elektroautos werde elfmal mehr Lithium benötigt als heute. Diese Rohstoffe sind aber nicht nur für die Energie- und Mobilitätswende essenziell.

Dilemma der Dekarbonisierung

Seltene Erden sind wegen ihrer elektrischen, optischen und magnetischen Eigenschaften zentrale Bestandteile von Smartphones, Autos mit Verbrennungsmotoren, Kernspintomografen oder Kampfjets. Welche Studie man auch zurate zieht, die Bedarfskurven zeigen steil nach oben, und die Aussage ist im Kern "Mehr von allem". Dieses "Mehr" kommt meistens einen langen Weg über das Meer.

Denn Europa wird seine Importabhängigkeit von Seltenerdmetallen selbst im günstigsten Fall - etwa wenn die Zulassungsverfahren für die jüngst entdeckte Lagerstätte im schwedischen Kiruna beschleunigt werden - erst nach längerer Anlaufphase verringern können. Dass Bergbauvorhaben langwierige Prozesse sind, wissen viele Menschen im Globalen Süden nur zu gut.

Abgesehen von China, das laut US Geological Survey mit mehr als zwei Dritteln der weltweiten Minenproduktion (2022: 210.000 Tonnen) und einem Drittel (44 Millionen Tonnen) der geschätzten Vorkommen an Seltenerd-Oxiden den Weltmarkt dominiert, kommen die an sich gar nicht so seltenen 17 Elemente in Lagerstätten rund um die Welt vor.

Baumsteigerfrosch-Art (Boophis pyrrhus)
Schätzungen zufolge kommen bis zu 95 Prozent der auf Madagaskar heimischen Tier- und Pflanzenarten weltweit nur auf dieser Insel vor. Im Bild ein Baumsteigerfrosch der Art Boophis pyrrhus.
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Afrika im Visier

Vor allem auf Afrika komme nun eine neue Welle der Ausbeutung zu, fürchtet Samantha Hargreaves, Koordinatorin des Frauennetzwerks WoMin African Alliance: "Wir nennen das grünen Extraktivismus. Er dient hauptsächlich dem Bedarf an Mineralien und Metallen im Globalen Norden", erklärte sie in einem Videostatement im Rahmen einer von Global 2000 veranstalteten Diskussion in Wien. Mit auf dem Podium waren dabei auch Vertreter des Europäischen Parlaments und des Klimaschutzministeriums.

Als die Firma Tantalum Rare Earth Malagasy von 2011 bis 2014 auf der Halbinsel Ampasindava auf Madagaskar fast 6500 Löcher mit einem Quadratmeter Durchmesser und zehn Meter Tiefe bohrte, hatte sie die ansässigen Landwirte meist zuvor nicht um Erlaubnis gefragt, die Schächte wurden anschließend teilweise nicht angemessen geschlossen.

Chemikalien im Grundwasser

Es kam zu Verletzungen und Notschlachtungen von Haustieren, wie aus der Studie "Seltene Erden: Umkämpfte Rohstoffe der Zukunft" der NGO Südwind, CRAAD-OI, WoMin und der Dreikönigsaktion hervorgeht. Gefördert wurde die Publikation auch vom Digifonds der Arbeiterkammer Wien. Der Inhalt der Studie ist brisant: So förderten die Probebohrungen nicht nur die begehrten Seltenerdmetalle wie Praseodym, Neodym, Terbium und Dysprosium zutage, sondern auch ersten Widerstand innerhalb der lokalen Bevölkerung.

Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort. 900 Quadratkilometer der für ihren Artenreichtum bekannten Halbinsel stehen unter Naturschutz, unweit davon sind 238 Quadratkilometer für das Bergbauprojekt vorgesehen.

Auffangbecken in Ampasindava
Ein Auffangbecken in Ampasindava, wo die zum Rohstoff-Abbau genutzten Chemikalien aufgefangen werden. Land, das einst der lokalen Bevölkerung gehörte, wird nun zunehmend für wirtschaftliche Interessen des Globalen Nordens genutzt.
CRAAD-OI

Die Seltenerdmetalle kommen dort in Ionenadsorptionstonen vor, die per In-situ-Laugung mithilfe von Ammoniumsulfat, Ammoniumbikarbonat und Schwefelsäure aus dem Boden herausgelöst und an die Oberfläche gepumpt werden sollen. Auch wenn das Verfahren im Vergleich zum offenen Tagbau als theoretisch umweltfreundlicher gilt, verbleiben stets Chemikalien im Boden und können weiter in das Grundwasser sickern.

Widerstand auf Madagaskar

Für die Gewinnung eines Kilos der Seltenerdmetalle werden 2300 Liter Wasser verbraucht, dabei entstehen etwa 21 Kilogramm CO₂-Äquivalente. Bei der verwendeten Technik wären in den nächsten 40 Jahren laut Berechnung der NGO CRAAD-OI 7000 Hektar von Bergbauaktivitäten betroffen, auf einem Drittel davon müssten für Bohrlöcher, Auffangbecken, Minen-Infrastruktur und Zufahrtsstraßen Wälder gerodet und Ackerflächen vernichtet werden - was ungefähr vier Mal der Fläche des Wiener Praters entspricht.

Seit zehn Jahren verhindert der anhaltende Protest den Ausbau der Mine, aber "noch sind die Pläne, weiterzugraben, nicht begraben", heißt es in der Südwind-Studie. Entgegen allen Widerständen erscheint der Abbau von Seltenerdmetallen schon aufgrund der galoppierenden Nachfrage ungeheuer lukrativ.

Forschende der Universität für Bodenkultur Wien haben sich deshalb angesehen, wie unterschiedliche Zukunftsszenarien im Bereich Energie und Verkehr die Nachfrage nach den vier auf der Halbinsel gefundenen Seltenen Erden beeinflussen.

Demonstration in Antananarivo
In Madagaskar regt sich seit Jahren heftiger Widerstand gegen geplante Bergbauvorhaben. Immer wieder demonstrieren Menschen, um gegen die Zerstörung ihrer Heimat anzukämpfen.
CREED-OI

Der Bedarf daran sinke, wenn zusätzlich zum Recycling auf ein geringeres Verkehrsaufkommen und auf Carsharing gesetzt werde oder etwa kleinere E-Autos gebaut würden, geht aus der Studie hervor. "Außerdem ist sichtbar, dass weniger E-Autos - und damit weniger Strombedarf zum Laden - auch weniger Windräder bedeuten", wird in der Studie Willi Haas vom Boku-Institut für Soziale Ökologie zitiert.

Umbau der Wirtschaft nötig

Die Rohstoffproblematik ist auch wegen jüngster geopolitischer Entwicklungen Thema strategischer und umweltpolitischer Überlegungen auf höchster Ebene. Die im März präsentierte "Europäische Verordnung zu kritischen Rohstoffen" der EU-Kommission gibt vor, dass künftig mindestens zehn Prozent der strategisch besonders wichtigen Rohstoffe in der EU gefördert, 40 Prozent verarbeitet und 15 Prozent recycelt werden.

Passend dazu ist es das Ziel des geplanten EU-Lieferkettengesetzes, Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu verpflichten. In Österreich wiederum sieht die im Dezember 2022 beschlossene Kreislaufwirtschaftsstrategie eine Reduktion des Materialfußabdrucks von derzeit 33 Tonnen pro Kopf und Jahr auf sieben Tonnen bis 2050 vor.

"Das wäre ein grundlegender Umbau unserer Wirtschaft von linear auf zirkulär", erklärte Herbert Wasserbauer von der Dreikönigsaktion und der AG Rohstoffe im Rahmen der Diskussion. Doch selbst wenn alle regulatorischen Rädchen in den nächsten Jahren ineinandergreifen, wird man an einem großangelegten Umdenkprozess in Richtung einer "Postwachstumsgesellschaft" nicht vorbeikommen, zeigten sich die Fachleute überzeugt.

Einen Grundstein dafür könnte die Wissenschaft legen, hofft Anna Leitner von Global 2000: "An österreichischen Universitäten und auch am Umweltbundesamt wird ganz stark an Möglichkeiten geforscht, wie wir unsere Fiskalpolitik und unsere Pensionssysteme von der Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum entkoppeln können." (Mario Wasserfaller, 23.7.2023)