Bienen sind erstaunliche Geschöpfe. Manche wildlebende Arten rollen Schneckenhäuser meterweit, andere tapezieren ihr Zuhause mit Blüten oder Blättern. Die domestizierte Honigbiene wiederum lebt in komplexen Staaten mit klarer Arbeitsteilung. Eines ist aber praktisch all den Arten gemein: Ihr kurzes Leben ist im wahrsten Sinne des Wortes vorprogrammiert. Im Normalfall wissen sie nach ihrer Geburt genau, was sie zu tun haben. 

Biene sammelt Futter bei Blüte
Bienen entscheiden schnell und machen kaum Fehler.
APA/dpa/Julian Stratenschulte

Abgesehen von der genetischen Programmierung sind die Tiere aber auch in der Lage, gewisse Verhaltensweisen zu erlernen. Von Hummeln weiß man, dass sie Werkzeuge verwenden können, um an Pollen zu gelangen, und Artgenossinnen imitieren können, um besser und schneller an ihr Ziel zu gelangen. Doch wie entscheiden Bienen, welche Blüten sie anfliegen sollen und welche sie lieber auslassen?

Bienengehirn schnell und effizient

Neue Forschungsergebnisse, die im Fachjournal "eLife" veröffentlicht wurden, zeigen, dass Honigbienen extrem schnell akkurate Entscheidungen treffen und damit sogar Primaten wie den Menschen in den Schatten stellen können. Das ist umso erstaunlicher, da das Bienengehirn gerade einmal die Größe eines Sesamsamens mit weniger als einer Million Nervenzellen aufweist. Zum Vergleich: Ein menschliches Gehirn verfügt laut Schätzungen über 86 bis 100 Milliarden Nervenzellen.

Den Experimenten zufolge, die von Forschenden der Macquarie University in Sydney und der University of Sheffield durchgeführt wurden, landeten die Bienen nach nur 0,6 Sekunden auf einer Blüte, wenn sie sicher waren, dass dort Futter zu finden war. Bei Blüten, die in der zuvor durchgeführten Trainingssituation ausnahmslos keine Belohnung nach sich zogen, wurde die Entscheidung, nicht zu landen, ebenso schnell und bestimmt gefällt. Trotz der schnellen Reaktion entpuppte sich diese als in der Regel richtig.

Im Trainingsmodus hatten die Forschenden drei weitere, farblich gekennzeichnete Blütengruppen platziert, bei denen die Bienen nur manchmal belohnt wurden, manchmal leer ausgingen. Im zweiten Teil des Experiments, in dem die Blütengruppen zufällig in einem Labor-"Garten" platziert wurden, dauerte es bei diesen Blüten mehr als doppelt so lang, bis die Bienen sich zur Entscheidung zu landen durchringen konnten.

Länger nachdenken nicht besser

Diese Unsicherheit, die mit einer längeren Entscheidungsfindung und somit deutlich höherem Energieverbrauch in der Luft einhergeht, ist in mehrerer Hinsicht spannend. Denn offenbar hatten sich die Bienen genau gemerkt, welche Blütenarten nicht zuverlässig zum Futtererfolg führen, und wägten in der Luft ab, ob sie die mit dem Risiko zusätzlicher Fressfeinde wie Spinnen und Fangschrecken behaftete Landung überhaupt durchführen sollten.

Bienen und Hummeln sind intelligenter als gedacht
Science Magazine

Zum anderen widerspricht die schnelle Entscheidung bei erfolgversprechenden Blüten unserer landläufigen Annahme, dass eine wohlüberlegte Handlung eher zum Ziel führt als ein gedanklicher Schnellschuss. Bei den Bienen war es genau umgekehrt der Fall. Je schneller sie sich für den Anflug auf eine Blüte entschieden, desto wahrscheinlicher war es, dass sie richtig lagen und mit einer futtergebenden Pflanze belohnt wurden.  

Vorbild für Roboter

Die besonderen kognitiven Fähigkeiten des Bienengehirns wollen die Forschenden nun nutzen, um autonom agierende Drohnen und Roboter schneller und vor allem auch effizienter gestalten zu können. "Ein Roboter, der dazu programmiert ist, den Job einer Biene zu machen, braucht aktuell einen Supercomputer im Hintergrund", erklärt Studienautor Andrew Barron von der Macquarie University. Auf Basis der Erkenntnisse wolle man künstliche Intelligenz schaffen, die ähnlich energie- und platzsparend wie Insekten sehen, fühlen, navigieren und vor allem Entscheidungen treffen kann.

Jahrmillionen Jahre der Evolution hätten bei Insekten zu unglaublich effizienten Gehirnen mit extrem energiesparenden Anforderungen geführt. Die Zukunft der künstlichen Intelligenz werde nicht zuletzt von der Biologie inspiriert werden, indem man Insektengehirne algorithmisch für Computermodelle nachbaue, sagte der ebenfalls an der Studie beteiligte James Marshall von der University of Sheffield. Sein universitäres Spin-off Opteran arbeitet derzeit an kostengünstigen, leichten Computerchips, mit denen das Vorhaben realisiert werden soll. Das Unternehmen spricht dabei nicht von "künstlicher", sondern von "natürlicher" Intelligenz. (Martin Stepanek, 12.7.2023)