Steve McCurry
Die größte Armut schaut durch die Linse von Steve McCurry ästhetisch einnehmend aus: hier ein Blick auf die spektakuläre Hängung im Wiener Semperdepot.
Nikola Milatovic; Georges Schnei

Als Steve McCurrys Fotografien im Sommer vor zwei Jahren in Graz gezeigt wurden, lockte dies 43.000 Besucherinnen und Besucher an – und das, obwohl die farbensatten Bilder in der Messehalle auf eine etwas sehr nüchterne Umgebung trafen. Im Wiener Semperdepot, wo die Fotos seit Ende letzter Woche zu sehen sind, trifft jetzt McCurrys Bilder- auf Sempers Gebäudespektakel. Perfekte Voraussetzung für einen neuerlichen Publikumserfolg.

Dafür hat der Veranstalter, das Atelier Jungwirth in Graz, auch einiges getan. Die Fotografien wurden auf zwei mal drei beziehungsweise vier mal sechs Meter aufgeblasen und perfekt hinterleuchtet über das Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste verteilt. Man entwickelte eine eigene App für Hintergrundinfos und holte eine Reihe Partner an Bord; die Bilder des 1950 in Philadelphia geborenen Fotografen haben schließlich alles, was es für den großen Auftritt braucht.

McCurry
Ein Mann watet auf diesem Bild von Steve McCurry durch ein indisches Überschwemmungsgebiet.
atelierjungwirth/McCurry

Nur eines vermisst man an ihnen: den doppelten Boden, die Selbstreflexion, die Hintergründigkeit. McCurrys Blick auf die Welt ist einer, der aus dem Staunen nicht herauskommt: über die Farbenpracht des (zumeist) indischen Subkontinents, die treuherzigen Augen der Kinder, die malerischen Sorgenfalten der Alten. Es sind Bilder, die nahe am Kitsch gebaut sind.

Durchbruch mit afghanischem Mädchen

Die größte Armut schaut bei McCurry ästhetisch einnehmend aus; watet ein Mann mit einer Nähmaschine auf den Schultern durch ein indisches Überschwemmungsgebiet, hat er ein Lächeln auf den Lippen; fotografiert McCurry Kinder, sind die Kalaschnikows meist nicht weit. Jedes Bild hat das Zeug zum Symbol. Und es ist kein Zufall, dass genau das am Beginn von McCurrys Karriere passiert ist. Mit seinem in einem Flüchtlingslager bei Peschawar geschossenen Foto eines ausnehmend hübschen afghanischen Mädchens gewann der Fotograf 1985 den World Press Award – nachdem das in farbenprächtige Lumpen gehüllte Mädchen mit dem schmutzigen Gesicht zuvor auf dem Cover von National Geographic abgedruckt wurde.

McCurry Bilder sind nichts weniger als perfekt, sowohl was ihre Technik als auch was ihre Komposition anbelangt – und genau deswegen wohl auch immer etwas hohl. Sie erzählen mehr von Klischees, als den begeisterten Betrachtern wahrscheinlich lieb ist, drücken auf die Tränendrüse oder bedienen – wie die Bilder von 9/11 oder des ersten Irakkriegs – die Lust am Spektakel. Als Reportagefotograf und als Autor zahlreicher Bildbände im Phaidon-Verlag hat sich McCurry einen Namen gemacht. Jetzt richtet man ihm im Semperdepot eine gefällige Ausstellung in XXL aus. (Stephan Hilpold, 11.7.2023)