Pinocchio sitzt auf einem Tisch.
Haben Sie schon in Vorstellungsgesprächen gelogen? Der Headhunter Dominik Roth erlebt häufig, dass Menschen in Bewerbungsgesprächen lügen.
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Wer kennt es nicht: Man sitzt im Vorstellungsgespräch und wird gelöchert. "Was sind Ihre Stärken? Welche Erfolge konnten Sie in Ihrem letzten Unternehmen verzeichnen?" Ziel ist es, sich so gut wie möglich zu präsentieren. Wie ist das am besten möglich, ohne zu lügen? Oder schadet eine kleine Unwahrheit vielleicht gar nicht? Der Headhunter Dominik Roth der Personalberatungsfirma Mercuri Urval sucht täglich nach geeigneten Führungskräften. In seiner Karriere hat er schon viele Lügen entlarvt. Trotzdem, meint er, sei es an der einen oder anderen Stelle nicht allzu verwerflich ist, von der Wahrheit etwas abzuweichen.

STANDARD: Lügen Sie manchmal?

Roth: Studien zeigen, dass wir alle lügen. Und zwar ständig. Zwischen ein- und zweihundert Mal am Tag – je nachdem, welcher Studie man glauben schenken will. Antworten Sie zum Beispiel auf die Frage „Wie geht's?“ immer ehrlich?

STANDARD: Legitimiert das, in Bewerbungsgesprächen die Unwahrheit zu sagen?

Roth: Das kommt darauf an. Übertreiben gehört in diesem Setting zum guten Ton. Denn Personaler gehen davon aus, dass das alle Kandidatinnen und Kandidaten tun. Wer sich also nicht außerordentlich gut darstellt, könnte einen Nachteil haben. Aber der Grad zwischen Lügen und Übertreiben ist schmal. Das Gesagte muss glaubhaft und nachweisbar sein.

STANDARD: Haben Lügen also doch kurze Beine?

Roth: Das glaube ich zwar nicht unbedingt, aber gelungene Selbstdarstellung währt länger, und damit hat man größere Chancen, erfolgreich zu sein. Ich erlebe häufig, dass Männer sich besonders schimmernd präsentieren. Im Gegensatz zu Frauen, die sich manchmal bescheidener geben, und das, obwohl ihre Erfolge denen der Männer in nichts nachstehen.

STANDARD: Kann man üben, sich gut darzustellen?

Roth: Auf jeden Fall. Es ist hilfreich, sich vor einem Vorstellungsgespräch hinzusetzen und seine Stärken und Erfolge der Arbeit aufzuschreiben. Sich diese bewusstzumachen ist schon der erste Schritt. Dann fällt es einem vielleicht auch leichter, diese im Bewerbungsprozess überzeugend vorzubringen.

STANDARD: Welche Übertreibungen nehmen Sie den Bewerbenden im Gespräch eher weniger übel?

Roth: Wenn die Bewerbenden die Erfolge bei ihrer letzten Arbeitsstelle besonders positiv darstellen. Ich habe auch schon erlebt, dass Führungskräfte im Gespräch behaupteten, in ihrer letzten Arbeitsstelle ein höheres Gehalt bekommen zu haben.

STANDARD: Und das ist in Ordnung?

Roth: Man sollte immer bedenken, dass Recruiterinnen und Recruiter selbstverständlich die Aussagen nachprüfen. Man weiß zum Beispiel circa, was eine Führungskraft in einer bestimmten Branche verdient. Zu dreist sollte man nicht sein.

STANDARD: Wie stellt man als Personalerin oder Personaler sicher, die Wahrheit zu erfahren?

Roth: Assessment-Center, also Abfragen des Wissens oder realistische Szenarien durchzuspielen, sind gute Möglichkeiten. Oder wenn jemand angibt, ein Teamplayer zu sein, lasse ich die Person eine Situation erklären, die das zeigen soll. Die angegebenen Referenzen anzurufen gehört auch zum Fakten-Check. Aber deren Aussagen genieße ich immer mit Vorsicht. Denn welche Bewerberin oder Bewerber nennt schon Personen, die ihnen nicht wohlgesinnt sind? Wohl niemand.

STANDARD: Ist es schlimm, bei Bewerbungsunterlagen zu schummeln?

Roth: Das empfehle ich auf keinen Fall. Ein Lebenslauf sollte immer und ausschließlich Wahres enthalten. Trotzdem sollte er wie ein Bestseller geschrieben sein.

STANDARD: Lügen Menschen in Bewerbungsgesprächen viel?

Roth: Allerdings. Mir ist ein "Lügentrend" aufgefallen. Menschen sagen häufig, dass sie sehr an der ausgeschriebenen Stelle interessiert sind. Wenn sie diese dann angeboten bekommen, sagen sie aber ab. Ich habe das Gefühl, die Bewerbenden verhalten sich unverbindlicher und kommunizieren ihre Wechselmotivation nicht immer klar oder lügen sogar. (Natascha Ickert, 18.7.2023)