Wolf im Gras
Er ist gekommen, um zu bleiben – doch die Wiederansiedlung des Wolfes sorgt für hitzige Debatten.
APA/AFP/THOMAS KIENZLE

Für Gaia alias JJ4 geht es am heutigen 13. Juli um Leben oder Tod. Das 17-jährige Braunbärenweibchen steht bekanntermaßen unter dringendem Tatverdacht, Anfang April in der norditalienischen Region Trentino einen 26-jährigen Jogger angegriffen und getötet zu haben. Der Präsident der Region Trentino-Südtirol, Maurizio Fugatti, hatte recht schnell nach dem Angriff auf einem Forstweg im Val di Sole ein Dekret zur Tötung der Bärin erlassen. Nach einer Klage von Tierschützern – bezweifelt wird mittels Gutachten, dass Gaia den Jogger überhaupt getötet hat – setzte das Verwaltungsgericht in Trient diese Anweisung bereits Mitte April vorerst aus. Auch ein späterer zweiter Tötungsbefehl wurde abgelehnt. Der Trentiner Staatsrat hat die Entscheidung für 13. Juli angekündigt.

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DER STANDARD

Probleme im Wald

JJ4, eine Schwester des 2006 in Bayern getöteten "Problembären" Bruno, wurde daraufhin eingefangen und harrt indessen in einem abgesicherten Wildgehege in der Region ihres Schicksals. Und auch wenn noch offen ist, ob Gaia letztlich der Pelz über die Ohren gezogen wird – die Debatte um ein Zusammenleben von Großraubtier und Mensch wurde dadurch in ganz Europa kräftig angeheizt.

Der Bär ist in Österreich schon seit vielen Jahren nicht mehr los. 2012 verschwand Ötscher-Bär Moritz spurlos. Damit war der Braunbär in Österreich zum zweiten Mal ausgestorben. Im Mai ist zwar ein Bär in der Nähe von Schwarzach von einem Zug erfasst und getötet worden. Der verendete Bär war aber ein Grenzgänger, der kurz zuvor im Berchtesgadener Land in Bayern zwei Schafe gerissen hatte.

Doch ist für Carnivoren nichts leichter geworden – heute hat man den Wolf vielerorts zum Problem degradiert. Nach mittlerweile täglichen Meldungen über Wolfsrisse oder Sichtungen haben mehrere Bundesländer bereits die Jagd auf den Beutegreifer ausgerufen. In Kärnten, Tirol, Salzburg und Oberösterreich werden derzeit Abschüsse von Wölfen per Verordnung der Landesregierung freigegeben. In Kärnten sind so bereits sechs Tiere entnommen worden, in Salzburg wurde vergangenes Wochenende der erste Abschuss gemeldet.

Unklar, ob richtiger Wolf geschossen wurde

Unklar ist noch, ob es sich überhaupt um jenen Wolf handelt, der für mehrere Risse im Gebiet Hochkönig und Steinernes Meer verantwortlich ist. Das soll nun eine wissenschaftliche Untersuchung klären. Sollten die DNA-Spuren nicht mit dem getöteten Tier übereinstimmen, werde weiter gejagt, heißt es vom Land Salzburg. Zudem ist ein weiterer Wolf in Salzburg zum Abschuss freigegeben, der im Gebiet Rußbach für Risse verantwortlich sein soll. In Tirol sorgte zuletzt eine Sichtung im Raum Innsbruck für Aufregung. Derzeit sind sechs Tiroler Wölfe zum Abschuss freigegeben, erlegt wurde jedoch noch keiner.

Der Abschuss per Verordnung ist rechtlich massiv umstritten. Europarechtsexperten halten das für EU-rechtswidrig, weil Verordnungen anders als Bescheide nicht beeinsprucht werden können. Die Aarhus-Konvention räume NGOs und Privatpersonen aber ein entsprechendes Beschwerderecht ein. Auch ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) zur niederösterreichischen Fischotterverordnung hat Auswirkungen auf die Abschussverordnungen. In der Entscheidung hat der VwGH klargestellt, dass anerkannte Umweltschutz-NGOs grundsätzlich bereits an Behördenverfahren, in denen Normen des EU-Umweltrechts betroffen sind, beteiligt werden müssen. In Vorarlberg und der Steiermark zögert man noch mit den Verordnungen.

Gibt es keine Verordnung oder Freigabe zum Abschuss, halten es manche Menschen noch mit der 3-S-Regel: schießen, schaufeln, schweigen. Am Mittwoch wurde in der Donau bei Tulln ein toter Wolf entdeckt. Die Polizei geht davon aus, dass das Tier erschossen und danach im Fluss entsorgt worden ist.

Strenge Rechnung, guter Hirte

Vonseiten des WWF hält man erwartungsgemäß wenig vom Griff zur Flinte. Gefordert wird hingegen eine umfassende Herdenschutzoffensive. "In Kärnten hat es etwa immer wieder Wolfsabschüsse gegeben, trotzdem ist es weiterhin regelmäßig auch zu Übergriffen auf Nutztiere gekommen", sagt WWF-Wolfsexperte Christian Pichler im STANDARD-Gespräch. "Diese Wolfsverordnungen sind sinnlos. Man streut den Bauern letztlich Sand in die Augen. Es wird dadurch suggeriert, dass man nicht auf Herdenschutz setzen müsse, dass alles über den Abschuss geregelt werde."

Im Tiroler Oberland habe sich hingegen bei den aktuell laufenden drei Herdenschutzprojekten sehr wohl gezeigt, dass kein einziger Riss zu verzeichnen war.

Vonseiten des Bundes wurde zumindest das Hirtenwesen neu aufgestellt. Mit dem heurigen Jahr wird den aktuell über 7.000 gelisteten Hirten in Österreich deutlich strenger auf den Stock geschaut. So hat ein Anrecht auf die Prämie nur jener Hirte, der eine "Behirtung der jeweiligen Tierart während mindestens 60 Kalendertagen auf einer oder mehreren Almen" absolviert. Und: "Die Behirtung erfordert eine tägliche, ordnungsgemäße Versorgung der Tiere, erforderlichenfalls auch nächtens. Eine reine Nachschau ist nicht ausreichend." (Stefanie Ruep, Markus Rohrhofer, 13.7.2023)