Impulstanz
Grace Ellen Barkey und Ensemble in "Billy´s Joy" der belgischen Theatergruppe Needcompany im Rahmen des Impulstanz-Festivals 2023.
Wonge Bergmann

Wer erinnert sich noch an Roland Emmerichs Film Anonymous (2011)? Darin vertrat der deutsche "Master of Disaster" und Schöpfer von Krachern wie Independence Day oder White House Down die These, dass es William Shakespeare (1564–1616) gar nicht gegeben hat. Heute droht dem Klassiker anderes Diskurs-Ungemach. Seine Werke werden als frauenfeindlich angesehen, was die Choreografin Florentina Holzinger letzthin zu ihrem jüngsten Stück Ophelia’s Got Talent inspirierte, oder als antisemitisch – vor allem Der Kaufmann von Venedig.

Und die belgische Needcompany befasste sich 2021 unter dem Titel Billy’s Violence mit der Gewalt in Shakespeares Werken. Bei Impulstanz im Akademietheater wird seit Dienstag die Uraufführung der neuen Needcompany-Produktion Billy’s Joy gezeigt, kommenden Freitag im Doppelpack mit Billy’s Violence. In Letzterer geht es um Shakespeares Tragödien. Das aktuelle Stück dagegen tanzt vor allem durch seine Komödien.

Als waschechte Satire ist Billy’s Joy selbst absolut komisch. Auf die Schaufel genommen werden sowohl Puristen der Werktreue als auch gestrenge Shakespeare-Gegner. Unter dem Druck der jüngeren Debatten wird Shakespeare von der Brüsseler Tanzperformance-Kompanie aufgemischt. Mit Blick auf Emmerichs Anonymous, der übrigens an den Kassen floppte, ist zu erkennen, dass erst die Person des britischen Autors angezweifelt wurde – und jetzt gegen das Werk polemisiert wird.

Shakespeare schlägt Tarantino

Der Film bezieht sich unter anderem auf die rund hundert Jahre alte "Oxford-Theorie" mit der Spekulation, dass ein gewisser Edward de Vere Urheber der Shakespeare-Werke sei. Dieses neckische Motiv lässt sich die Needcompany leider entgehen. Stattdessen meint Needcompany-Mastermind Jan Lauwers, der im November an der Wiener Staatsoper seine Inszenierung von György Ligetis Le Grand Macabre vorstellen wird, verglichen mit Shakespeare sei Quentin Tarantino ein Chorknabe. Ist das so? Vielleicht sollte man sich Pulp Fiction oder die beiden Teile von Kill Bill doch noch einmal anschauen und wieder durch die Aufführungsgeschichte von Shakespeare-Dramen, zum Beispiel im Regietheater Peter Zadeks, flanieren oder sich Macbeth und Richard III. des Tanztheatermachers Johann Kresnik in Erinnerung rufen.

Natürlich ist Lauwers’ Anmerkung schelmisch gemeint, so wie das von seinem Sohn Victor Afung geschriebene Billy’s Joy. Da taucht das "Pourquoi" aus Was ihr wollt als tanzender Bär auf, der Feenkönig Oberon aus dem Sommernachtstraum ist verheiratet und zerstritten mit Sycorax, der Hexe aus Der Sturm; die sexbesessene Julia tauft sich auf Eden um, Romeo ist Oberons Sohn und mutiert zu Richard II. – und so weiter. Die turbulente Rollentausch-Orgie mit Bratstation und Brause, einem gewichtigen Marx-Zitat und philosophischen Anmerkungen situiert Shakespeare ebenso in der Kontroverse über sein Werk wie auch in Krisen der Gegenwart. Sehenswert? Auf jeden Fall. (Helmut Ploebst, 12.7.2023)