Der 15. Juli ist erstmals als Europäischer Tag des Gedenkens an die Opfer der Klimakrise gewidmet. Frans Timmermans, geschäftsführender Vizepräsident und Kommissar für Klimaschutz in der EU-Kommission, schreibt in seinem Gastkommentar über Europas Klimaprobleme.

Die Klimakrise ist mittlerweile so ernst, dass Extremwetterereignisse wie die verheerenden Überschwemmungen in Norditalien im Mai nicht mehr als Ausnahme abgetan werden können. Auch Österreich ist immer häufiger von Hochwasser, Trockenperioden und Ernteeinbußen betroffen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig: Wir werden Extreme immer öfter erleben. Seit Monaten setzen Dürren in ganz Europa unserer Landwirtschaft zu, in Spanien und Frankreich kam es bereits im März zu Waldbränden. Im Burgenland ist der Zicksee ausgetrocknet.

Die Trockenheit ist in vielen Ländern schon seit längerem ein großes Problem.
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Der Klimawandel betrifft sämtliche Aspekte unseres Lebens: Dürren, Hitze und Stürme lassen die Ernteerträge einbrechen. Fehlendes Kühlwasser zwingt zum Abschalten von Kraftwerken und Industrieanlagen. Starkregen flutet Keller, spült den fruchtbaren Oberboden fort und macht Straßen unbenutzbar. Niedrige Wasserstände verhindern die Stromerzeugung aus Wasserkraft. Einst fruchtbares Ackerland droht zur Wüste zu verkommen. Schädlinge wie der Borkenkäfer gedeihen und dezimieren die Wälder Europas. Unsere Gesundheit ist zunehmend durch Hitze und "Tropenkrankheiten" wie Denguefieber, die in Europa Fuß fassen, in Gefahr. Klimaschutz wird uns in Zukunft nicht nur Geld sparen, er wird vor allem Leben retten.

In der gesamten Europäischen Union fordern Klimaextreme Todesopfer und verursachen wirtschaftliche Schäden in Höhe von über zwölf  Milliarden Euro pro Jahr. Davon sind die wenigsten Schäden versichert oder versicherbar. Gleichzeitig steigen die Temperaturen in Europa schneller als auf anderen Kontinenten, und es wird immer wahrscheinlicher, dass wir das Ziel des Pariser Klimaabkommens, den menschengemachten globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, bereits in diesem Jahrzehnt nicht einhalten werden.

Vor Extremen wappnen

Die ständigen Warnungen vor dem Klimawandel können natürlich psychisch stark belasten, die Herausforderung ist aber zu groß, um sie zu ignorieren. Wir dürfen nicht weitermachen wie bisher. Gleichzeitig besteht immer noch Grund zur Hoffnung. Die EU hat erst kürzlich Maßnahmen beschlossen, um die Emissionen deutlich rascher zu senken, und auch andere Länder der Welt verstärken ihre Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel. Kommendes Frühjahr wird die EU erstmals eine Bewertung der Klimarisiken veröffentlichen, in der sie analysiert, wie sich der Klimawandel jetzt und in Zukunft auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft in Europa auswirken könnte. Diese Bewertung wird unser Kompass für weitere Schritte sein.

Wir arbeiten außerdem mit Hochdruck daran, uns vor Extremen zu wappnen, zum Beispiel durch bessere Satellitenüberwachung gegen die Waldbrandgefahr und eine Verdoppelung der EU-Einsatzkräfte für die Waldbrandsaison schon diesen Sommer. Es laufen europäische Projekte zum Schutz der Landwirtschaft und für Ernährungssicherheit, für kühlere Städte durch das Pflanzen von Bäumen und eine bessere Stadtplanung und für widerstandsfähigere Gesundheits- und Energiesysteme durch Stresstests und die Modernisierung von Infrastrukturen. Aber wir müssen noch mehr tun.

Natürlich kostet das Geld, doch Nichtstun käme uns noch viel teurer zu stehen, wie zahlreiche Studien belegen. In Österreich gehen Forscher davon aus, dass die klimawandelbedingten Schäden und Anpassungskosten deutlich steigen und hierzulande zu Mitte des Jahrhunderts im Bereich von sechs Milliarden bis zwölf Milliarden Euro jährlich liegen werden. Bei all dem müssen wir auch bedenken, wie viele Opfer der Klimawandel und die damit einhergehenden Extreme schon jetzt fordern. Aufgrund der verheerenden Überschwemmungen in Belgien, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden verloren 2021 mehr als 200 Menschen in nur wenigen Stunden ihr Leben. Klimabedingte Naturkatastrophen haben fast überall in der EU schon Menschenleben gekostet. Und jedes Opfer ist eines zu viel. Sie und ihre Geschichten dürfen nicht in Vergessenheit geraten.

Deshalb haben das Europäische Parlament und die EU-Staaten den 15. Juli zum Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer der weltweiten Klimakrise erklärt – es ist ein Tag des Erinnerns und des Austauschs darüber, wie wir weiter vorgehen wollen. Dieser Tag soll uns allen eindringlich vor Augen führen, dass wir jetzt handeln müssen, wenn wir die Folgen des Klimawandels so gut wie möglich eindämmen wollen.

Denn wir müssen das schützen, was für uns alle am wertvollsten ist: das Leben und die Gesundheit unserer Familien und Freunde. (Frans Timmermans, 15.7.2023)