Der Physiker J. Robert Oppenheimer,
Der theoretische Physiker mit kommunistischem Umfeld J. Robert Oppenheimer war ein unwahrscheinlicher Kandidat für die Leitung des US-Atomwaffenprojekts. Sein Organisationstalent brachte das Manhattan-Projekt zum Erfolg.
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Am Morgen des 16. Juli 1945 ging eine künstliche Sonne über der Wüste des US-Bundesstaates New Mexico auf, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Die gigantischen Anstrengungen der USA zur Entwicklung von Atomwaffen erreichten um 5 Uhr, 29 Minuten und 45 Sekunden ihren vorläufigen Höhepunkt: Die erste Atombombe der Geschichte explodierte auf einem militärischen Testgelände und bescherte den Augenzeugen eine radioaktive Morgendämmerung.

"Wir wussten, die Welt würde nicht mehr dieselbe sein", erinnerte sich J. Robert Oppenheimer später an den historischen Moment. "Ein paar Leute lachten, ein paar Leute weinten, die meisten waren still." Oppenheimer, der wissenschaftliche Leiter des Manhattan-Projekt genannten Atomwaffenprogramms der USA, konnte zufrieden sein. Der Test war ein voller Erfolg. Davon zeugten ein 330 Meter breiter Krater im Wüstensand und eine Pilzwolke, die zwölf Kilometer in den Himmel wuchs.

Zerstörer der Welten ohne Reue

Die Tragweite seiner Arbeit war Oppenheimer bewusst, er musste beim Anblick der Explosion an eine Zeile aus der hinduistischen Bhagavad Gita denken: "Jetzt bin ich zum Tod geworden, dem Zerstörer der Welten." Die Ereignisse der nächsten Wochen gaben ihm recht. Im August 1945 wurden die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki durch US-Atombomben zerstört, unzählige Menschen kamen ums Leben.

Bereut hat Oppenheimer seine Rolle bei der Entwicklung der Atombombe entgegen weitverbreiteten Annahmen nie. Im Gegenteil: In den 1960er-Jahren drohte er sogar mit gerichtlichen Schritten gegen den deutschen Schriftsteller Heinar Kipphardt, weil ihn dieser in einem Stück als tragischen Helden skizzierte, der mit den Folgen seiner Arbeit haderte. Zu diesem Zeitpunkt war Oppenheimers Höhenflug allerdings längst vorbei. Aus dem prominenten Physiker und gefeierten Patrioten war ein gedemütigter Außenseiter geworden.

Atompilz des ersten Atombombentests am 16. Juli 1945 in New Mexico in Orangetönen.
Oppenheimer verantwortete den ersten Atombombentest im Juli 1945 in New Mexico.
Science Photo Library / picturedesk

Das Leben des "Vaters der Atombombe" zieht Historikerinnen, Autoren und Filmemacher bis heute in seinen Bann. Aktuell versucht sich auch US-Regisseur Christopher Nolan daran, mit "Oppenheimer" kommt am 20. Juli ein Spielfilm über den exzentrischen und zugleich introvertierten Physiker in die Kinos – mit Hollywood-Starbesetzung. An Material für einen dreistündigen Oppenheimer-Blockbuster mangelt es nicht.

Psychische Krise

Die Voraussetzungen, zu einem der bedeutendsten Wissenschafter des 20. Jahrhunderts zu werden, standen gut für Oppenheimer. 1904 in New York City in eine wohlhabende jüdische Familie deutscher Abstammung geboren, genoss er große Förderung durch seine Eltern. Französische Poesie begeisterte ihn ebenso wie Gesteinsfunde oder sein Segelschiff auf Long Island, das er auf den Namen Trimethy taufte – abgeleitet von der Bezeichnung einer chemischen Substanz.

In seiner Studienzeit an der Universität Harvard widmete er sich zunächst der Chemie, entdeckte aber bald seine Faszination für die Physik. Oppenheimer brillierte in Harvard und galt als Ausnahmetalent. Seine eigentliche wissenschaftliche Ausbildung erhielt er dann im damaligen Zentrum der Physik – in Europa. Dort erlebte der erfolgsverwöhnte junge Mann einen ersten Dämpfer: An der Universität Cambridge stellte er sich als äußerst unbegabter Experimentator heraus.

Seine Misserfolge im Labor und persönliche Probleme stürzten Oppenheimer 1925/1926 in eine tiefe Krise. Er beschäftigte sich intensiv mit Psychoanalyse, war fasziniert von Sigmund Freuds Schriften und fand schließlich den Weg zurück in die Physik. In Europa wurde er in die Grundzüge der neuen Quantenmechanik eingeführt – an den US-Hochschulen wurde diese epochale Theorie der modernen Physik Mitte der 1920er-Jahre noch nicht unterrichtet.

Charismatischer Leiter des Geheimprojekts

Sein wissenschaftliches Talent so richtig entfalten konnte Oppenheimer dann in Göttingen, das zu dieser Zeit eines der Zentren der theoretischen Physik war. Zurück in den USA sprach sich schnell herum, dass Oppenheimer fundiertes Wissen der Quantenmechanik aus erster Hand besaß. Er entschied sich schließlich für eine geteilte Stelle zwischen der Universität Berkeley bei San Francisco und dem Caltech in Pasadena bei Los Angeles. Dass seine Wahl auf Kalifornien fiel, hatte auch damit zu tun, dass er seine Sommer seit Jugendtagen immer wieder in New Mexico bei Los Alamos verbrachte – ein Ort, den er liebte wie keinen anderen.

Als Oppenheimer 1942 zum wissenschaftlichen Leiter der Atomwaffenentwicklung ernannt wurde, brachte er bald Los Alamos als Standort für das streng geheime Projekt ins Spiel. Viele zweifelten anfangs an seiner Fähigkeit, ein derartiges Unterfangen zu leiten. Doch mit seiner charismatischen Art führte er das Projekt auf Erfolgskurs. "Er war ein Anführer, aber er war nie dominant, er diktierte uns nie, was wir tun sollten. Er brachte das Beste aus uns hervor", erinnerte sich der spätere Physiknobelpreisträger Hans Bethe.

Konkurrenz zu Nazideutschland

Das 1942 gestartete Manhattan-Projekt verschlang bis 1945 zwei Milliarden US-Dollar, was heute rund 25 Milliarden Dollar entsprechen würde. Mehr als 150.000 Forscher und Forscherinnen arbeiteten direkt oder indirekt mit. Viele Beteiligte waren durch die Befürchtung angetrieben, Nazideutschland könnte an der Entwicklung von Atomwaffen arbeiten. Auch Oppenheimer, der sich politisch links verortete und Sympathien für den Kommunismus hegte, teilte diese Sorge. Tatsächlich erreichte das Nazi-Kernwaffenprojekt nie jenes Ausmaß, das für den Bau einer Bombe nötig gewesen wäre.

"Ein paar Leute lachten, ein paar Leute weinten, die meisten waren still."
– J. Robert Oppenheimer über den ersten Atombombentest.

Nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki wurde Oppenheimer zum Star: Porträts des Physikers zierten Magazine wie "Time", und er wurde zum gefragten politischen Berater. Auf den kometenhaften Aufstieg folgte bald der Absturz.

Jagd auf Kommunisten

Seit den 1930er-Jahren hatte Oppenheimer etliche Freunde und Familienmitglieder, die der Kommunistischen Partei angehörten. Er selbst war zwar vermutlich nie Parteimitglied gewesen, seine Kontakte führten aber dazu, dass er ab den frühen 1940er-Jahren unter Beobachtung durch das FBI stand.

Anfang der 1950er-Jahre kippte das politische Klima in den USA. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und angefacht durch den republikanischen Senator Joseph McCarthy, setzte eine rigorose Verfolgung echter und vermeintlicher Kommunisten ein. Auch Oppenheimer, der nach dem Krieg unter anderem für die Atomenergiekommission der USA arbeitete, wurde denunziert. Ihm wurde gar Spionage für die Sowjetunion vorgeworfen. Belege gab es dafür keine, dennoch wurde Oppenheimer 1954 in einer demütigenden Anhörung die Sicherheitsfreigabe für die Arbeit an geheimen staatlichen Projekten entzogen. Seine Karriere war damit vorbei.

J. Robert Oppenheimer starb zurückgezogen 1967 an Kehlkopfkrebs. An folgenreicher Spionage mangelte es im Manhattan-Projekt zwar nicht, Oppenheimer spielte dabei aber keine Rolle. Auch in der Sicherheitsanhörung 1954 wurde er eigentlich weitgehend entlastet, wie aus den erst 60 Jahre später veröffentlichten Protokollen hervorgeht. Bis zu Oppenheimers vollständiger Rehabilitierung sollte es noch lange dauern: Erst 2022 erklärte US-Energieministerin Jennifer Granholm die Entscheidung von 1954 für ungültig und sprach von einem mangelhaften Verfahren. (Tanja Traxler, David Rennert, 15.7.2023)