Jedermann Buhlschaft
Arthouse-Filme und Hollywood-Produktionen: Darin glänzte die Oberösterreicherin Valerie Pachner in den letzten Jahren.
Jan Friese

Die Dreadlocks und Doc Martens gehören schon länger der Vergangenheit an. Heute trägt Valerie Pachner Highheels und Abendrobe, wenn sie über den roten Teppich in Cannes oder Berlin schreitet. Oder wie jetzt, an diesem heißen Nachmittag eine Woche vor der Premiere in Salzburg, ein cremefarbenes Strick-Tanktop zu einer schwarzen Bundfaltenhose. Nur die Ohrringe, die nicht am Ohrläppchen, sondern in der Ohrmuschel befestigt sind, erinnern noch ein wenig an Pachners unkonventionelle Vergangenheit.

"In meiner Jugend sah ich die Welt in erster Linie durch eine politische Brille", sagt die Schauspielerin, auf die in diesem Sommer viele Blicke gerichtet sein werden. Nach der Salzburgerin Verena Altenberger gibt ab heuer die Oberösterreicherin Pachner die Buhlschaft auf dem Salzburger Domplatz. Regisseur Michael Sturminger wird mit einer beinahe komplett neuen Besetzung (den Jedermann spielt Burgschauspieler Michael Maertens) zum dritten Mal Hofmannsthals Evergreen neu einstudieren. Eine der Neuerungen: Erstmals in der 103-jährigen Salzburger Aufführungsgeschichte wird die Buhlschaft in einer Doppelrolle zu sehen sein – Pachner gibt neben Jedermanns Gefährtin auch den Tod.

Die Buhlschaft und ihr Jedermann - Valerie Pachner und Michael Maertens
Jan Friese

Die Minirolle der Buhlschaft allein wäre für die in Berlin lebende Schauspielerin mehr als eine Herausforderung gewesen: "Jeder ihrer Sätze ist auf Jedermann bezogen", sagt Pachner. "Wie kann man dieser Frau ein eigenständiges Profil verleihen?" Genau darum geht es der 36-Jährigen aber: zu wissen, was die gesellschaftliche Relevanz ihrer Rollen ist. Bei einer Frau, die erst durch den Blick des Mannes zum Leben erweckt wird, tut man sich da mitunter schwer. "Aber gerade die Auseinandersetzung damit liefert ihre Relevanz. Der Tod wiederum steht für sich. Er spricht eine andere Sprache, hat eine andere Haltung als die Buhlschaft." Wie sie die Rolle anlegen wird? Das Zarte, das Verständnisvolle in der Rolle des Todes sei ihr wichtig, sagt die Schauspielerin.

Es sind diese beiden Aspekte, die Haltung und das Mitgefühl, die im Spiel Pachners von Anfang präsent waren. Schauspielerin wurde sie eher durch Zufall. Nach einem Jahr Freiwilligenarbeit in Honduras studierte sie erst mal in Wien Internationale Entwicklung und Germanistik. Mit einem kritischen Blick auf die Welt schauen, ja, sie zu verändern, das waren Pachners Anliegen: "Die Schauspielerei allein wäre mir damals nicht politisch genug gewesen." Als sie dann doch die Aufnahmeprüfung am Max-Reinhardt-Seminar probierte, wurde sie prompt genommen.

Pachner Buhlschaft Jägerstätter
Valerie Pachner und Kollege August Diehl, der in der Franz Jägerstätter-Verfilmung "Ein verborgenes Leben" ihren Ehemann gab.
imago images/Eventpress

Von da an ging es Schlag auf Schlag: Das Vorsprechen für eine Gastrolle am Münchner Residenztheater endete mit einer Festanstellung. Bald spielte Pachner unter der damaligen Intendanz von Martin Kušej die Irina in Tschechows Drei Schwestern oder die Elisabeth in Horváths Glaube Liebe Hoffnung. Fast alles Hauptrollen. Das Problem dabei war nur: "Ich fürchtete, dass das Theater für mich zu einer routinierten Langzeitbeziehung werden könnte. Und das wollte ich nicht." Der Film dagegen lockte mit dem Versprechen einer prickelnden Affäre.

Valerie Pachner hat das, was im Filmgeschäft eine heiße Währung ist: ein Gesicht, das genauso markant wie einprägsam ist und auf dem die Kamera gern sekundenlang verweilt. Schon bald interessierten sich Regisseure und Regisseurinnen wie Dieter Berner, Maria Schrader oder Marie Kreutzer für die Newcomerin. Pachner spielte in einer Jack-Unterweger-Verfilmung und in einer Stefan-Zweig-Eloge. Sie wurde als Schieles Muse und Liebhaberin Wally Neuzil besetzt (Egon Schiele: Tod und Mädchen) oder als toughe Unternehmensberaterin, deren Leben aus den Fugen gerät (Der Boden unter den Füßen). Und auch jenseits des Atlantiks wurde man bald auf die Schauspielerin mit dem immer etwas historisch anmutenden Gesicht aufmerksam.

EIN VERBORGENES LEBEN - Trailer (HD)
Pandora Film Verleih

Die Franz-Jägerstätter-Verfilmung Ein verborgenes Leben des US-Amerikaners Terrence Malick ist bis heute Pachners wichtigste Filmerfahrung. In den vergangenen Jahren drehte sie zwar mit Eddie Redmayne in The King’s Man oder die Netflix-Serie The English mit Emily Blunt: Es war aber die Rolle von Jägerstätters Frau Franziska, einer zutiefst religiösen Bäuerin, die sich hinter ihren Mann stellt, in der Pachner ihr Können ausspielen konnte. "In richtig großen Filmproduktionen wie Fantastic Beasts oder The King’s Man steht das Technische im Vordergrund. Wohin drehe ich meinen Kopf? Ist das Filmbild ja auch perfekt komponiert?" Für jemanden wie Pachner keine wirklich erfüllende Angelegenheit – vor allem, wenn sich ein Dreh wie bei der Warner-Bros-Produktion Fantastic Beasts acht Monate hinzieht.

Bei Terrence Malick musste Pachner dagegen alte Gewissheiten über Bord werfen. Ganz im Moment sein, sich dem Spiel hingeben, und das über eine Filmdauer von beinahe drei Stunden – es sind genau diese Erfahrungen, die Pachner sucht und die sie nach einer längeren Abwesenheit jetzt auch wieder zurück zum Theater geführt haben: "Ich habe kein Problem damit, Englisch zu sprechen, auf Deutsch steht mir allerdings eine unmittelbarere schauspielerische Breite zur Verfügung."

Ob Pachner nach der Erfahrung des heurigen Sommers also auch wieder öfters auf Theaterbühnen zu sehen sein wird? "Ich tu mir schwer mit langen Commitments", lacht sie. Nach Salzburg geht es erstmal zu einem Dreh nach Südfrankreich. Was dann kommt, darüber kann und will Pachner nicht sprechen. Nur so viel: Das Angebot, auch nächstes Jahr wieder auf dem Salzburger Domplatz aufzutreten, gibt es bereits. Jetzt muss sich Valerie Pachner nur noch für die Langzeitbeziehung entscheiden. (Stephan Hilpold, 16.7.2023)