Das Thema geht nicht weg: Das bedrohlich fortgeschrittene iranische Atomprogramm wird derzeit kaum thematisiert, aber das wird sich ändern, wenn demnächst – im Oktober – Sanktionen gegen das iranische ballistische Raketenprogramm zu fallen drohen. Die EU wird wohl, wie andere westliche Staaten auch, ihre Maßnahmen aufrechterhalten und damit etwa den möglichen Verkauf iranischer Raketen an Russland bestrafen. Die Islamische Republik Iran wird umso mehr ihr Atomprogramm vorantreiben und angereichertes Uran anhäufen.

Der damalige US-Präsident Donald Trump hat den internationalen Atomdeal mit Teheran, den 2015 in Wien abgeschlossenen JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action), im Mai 2018 verlassen und damit das Abkommen sabotiert. Das wurde von den Iran-Hardlinern begrüßt, gleichzeitig blieb jegliche Politik zur Eindämmung des iranischen Atomprogramms aus. Als die USA aus dem Deal ausstiegen, war der Iran mindestens ein Jahr davon entfernt, über genug spaltbares Material für eine Bombe zu verfügen. Jetzt sind es keine zwei Wochen. Der Iran reichert auf 60 Prozent an – das ergibt kein waffenfähiges Uran, aber es ist nicht weit davon entfernt.

Eine Frau in Simbabwe hält zum Empfang des iranischen Präsidenten Bilder von General Ghassem Soleimani hoch, der 2020 von den USA getötet wurde.
Anti-US-Allianz: Irans Präsident Ebrahim Raisi wurde in Harare (Simbabwe) mit Bildern des Revolutionsgarden-Generals Ghassem Soleimani empfangen, der 2020 von den USA getötet wurde.
AFP/JEKESAI NJIKIZANA

Über ein mögliches militärisches Vorgehen Israels gegen den Iran, vielleicht mit US-Segen, wird immer wieder spekuliert: Aber die arabischen Verbündeten Israels wie die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch – nicht so offen – Saudi-Arabien zeigen durch ihre diplomatische Annäherung an den Iran, was sie von der Idee eines neuen bewaffneten Konflikts in der Region halten. Auch der Schattenkrieg, den Israel mit Sabotage und Angriffen auf iranische Anlagen führt, hat nicht die erhofften Resultate gezeitigt.

Hinter den Kulissen läuft die Diskussion über eine mögliche Iran-Diplomatie weiter: Politisch ist sie noch schwieriger, seit die Islamische Republik die im September 2022 begonnenen feministisch inspirierten Proteste brutal niedergeschlagen hat. Am Sonntag wurde bekannt, dass nun auch die suspendierten Kontrollen der Sittenwächter auf den Straßen wieder aufgenommen werden sollen.

Raketen nach Moskau?

Die EU will zweierlei von den Iranern: erstens, dass sie Moskau keine Raketen verkaufen und aufhören, Drohnen für den Ukrainekrieg an Russland zu liefern; und zweitens, dass sie mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zusammenarbeiten und sich wieder an die Vorschriften des JCPOA halten. Die Iraner verletzen den Deal massiv, beziehen sich dabei jedoch auf eine Klausel, laut der die eigenen Verpflichtungen fallen, wenn sich die anderen nicht daran halten – wie die USA seit 2018.

Auch die US-Regierung von Joe Biden hat angesichts der rasanten nuklearen Fortschritte des Iran die Fühler ausgestreckt, ob es zu einem Atomkompromiss kommen kann, auch wenn ein neuer JCPOA derzeit außer Reichweite scheint. Im Mai war das Sultanat Oman Schauplatz von seltenen Gesprächen zwischen den USA und Iran. Dort fanden auch 2013 die ersten Annäherungen statt, die 2015 in den JCPOA mündeten. Eine Aussage des religiösen Führers des Iran, Ali Khamenei, dass "gegen einen Atomdeal nichts einzuwenden" sei, ließ im Juni kurz vermuten, dass auch Teheran interessiert sei. Offene Entwicklung gibt es seither jedoch keine.

Bidens Atomdiplomatie hat schon Ende April einen peinlichen Schlag erlitten. Robert Malley, US-Sondergesandter für den Iran, wurde beurlaubt, bei den Gesprächen im Oman war er nicht mehr dabei. Er bestätigte im Juni, dass seine Sicherheitsfreigabe überprüft werde. Das FBI soll gegen ihn wegen der nicht adäquaten Behandlung von Geheiminformationen ermitteln. Es ist davon auszugehen, dass es sich um schwerwiegende Vorwürfe handelt. Da nichts über die Ergebnisse nach außen dringt, verlangen die Republikaner im US-Kongress laut "Politico" nun eine Offenlegung.

US-Verhandler beurlaubt

Malley, der schon an den Verhandlungen von 2013 bis 2015 teilnahm, war als Verfechter des Deals stets ein Feindbild der Iran-Falken. Auf seinem Posten als Chefverhandler mit Teheran war er umstritten, auch innerhalb seines Teams. Der frühere Präsident der International Crisis Group (ICG) hatte schon Staub aufgewirbelt, als er nach dem katastrophalen Treffen zwischen Israelis und Palästinensern in Camp David im Sommer 2000, unter US-Präsident Bill Clinton, dem Narrativ widersprach, die Palästinenser seien allein an dessen Scheitern schuld.

Beim Nato-Gipfel in Vilnius äußerte sich US-Außenminister Antony Blinken in einem Interview mit MSNBC wertschätzend über Malley: Er kenne diesen seit vielen Jahren, Malley habe sein Leben dem Dienst an seinem Land gewidmet und dies in bewundernswerter Art getan. Blinken und Malley gelten allerdings seit ihrer gemeinsamen Schulzeit in Paris als befreundet.

In all dem Atomschlamassel gibt es den einzigen Trost, dass auch Russland und China keinerlei Interesse daran haben, dass der Iran nach Atomwaffen greift. Durch Russlands schwieriges Ukraine-Engagement ist jedoch die iranische Rolle, etwa in Syrien, in den russisch-iranischen Beziehungen aufgewertet. China würde, wenn der Iran durch einen Atomkompromiss wirtschaftliche Erleichterungen bekommt, mitprofitieren: Es gibt ein 25-Jahre-Kooperationsabkommen zwischen Teheran und Peking. Es zeigt sich jedoch, dass der Iran die Wirtschaftsbeziehungen zum Westen nicht mit jenen zu China und Russland ersetzen kann. (Gudrun Harrer, 16.7.2023)