Im Gastkommentar schreibt der Theologe und Ethiker Kurt Remele über "die grundsätzlichen Legitimationsprobleme von Zoos".

Mitte vergangener Woche verkündete Stephan Hering-Hagenbeck, der Direktor des Tiergartens Schönbrunn, dass die Namen der Tiere seines Zoos von nun an nur mehr intern, jedoch nicht mehr öffentlich bekanntgegeben würden. Er wolle damit einer Vermenschlichung des Wildtiers entgegentreten und den Artenschutz in den Mittelpunkt seiner Bemühungen stellen.

Offensichtlich waren sehr viele Menschen über diese Entscheidung entsetzt und verärgert. Hering-Hagenbeck ruderte zurück. Der Übergang vom individuellen Tier zum Artenschutz sei zwar weiterhin sein Ziel, man werde der Öffentlichkeit Tiernamen jedoch auch in Zukunft nicht vorenthalten. Kurz darauf erfuhr man, dass die Pflegekräfte des Zoos einer neugeborenen weiblichen Giraffe den Namen Nio gegeben hatten.

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Alltag im Tiergarten: Wer beobachtet da wen?
APA/HELMUT FOHRINGER

Das rasche Umschwenken hinsichtlich der Namensgebung von Zootieren hat die Öffentlichkeit weitgehend beruhigt. Doch wie Muzayen Al-Youssef in ihrem Kommentar im STANDARD aufgezeigt hat, sind die grundsätzlichen Legitimationsprobleme von Zoos damit nicht gelöst. Darüber soll hier weiter nachgedacht werden.

Historisch betrachtet stehen "Tiergärten" in der Tradition einer Instrumentalisierung und Alterisierung von Mitmenschen und Mitgeschöpfen: Bestimmte andere Menschen werden aufgrund ihrer Hautfarbe und ethnischen Herkunft moralisch abgewertet und rechtlich diskriminiert (Rassismus). Empfindungsfähige nichtmenschliche Tiere werden aufgrund ihrer Artzugehörigkeit als reine Gebrauchsartikel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse betrachtet (Speziesismus). "Fremde" Lebewesen, sowohl Menschen als auch Tiere, haben dann keinen oder einen wesentlich geringeren moralischen Status als die Angehörigen der eigenen Gruppe. Sie dürfen als Objekte der Unterhaltung und des Voyeurismus gebraucht werden. Zutreffend definiert das österreichische Tierschutzgesetz Zoos deshalb kurz und bündig als "dauerhafte Einrichtungen, in denen Wildtiere zwecks Zurschaustellung ... gehalten werden".

Massiver Protest

Auch Menschen wurden zur Schau gestellt. Im Jahre 1906 wurde ein junger Afrikaner namens Ota Benga, der dem Batwa-Volk im damaligen Belgisch-Kongo angehörte, im Zoo der New Yorker Bronx zu einem Orang-Utan und einem Schimpansen in den Affenkäfig gesteckt und dem Publikum regelmäßig präsentiert. Der Direktor des Bronx-Zoos und sonstige New Yorker betrachten Benga als enorme Bereicherung für den Tierpark. Erst der massive Protest afroamerikanischer baptistischer Geistlicher führte zu seiner Freilassung.

Ota Benga gehört zur langen Geschichte der Zurschaustellung von "anderen" Menschen, von "Freakshows" und Völkerschauen. Der Hamburger Carl Hagenbeck stellte in seinem Zoo nicht nur exotische Tiere, sondern auch indigene Menschen aus. Noch im Jahre 1958 wurde im Rahmen der Weltausstellung in Brüssel eine Völkerschau eingerichtet, in der "wilde menschliche Kreaturen" aus den belgischen Kolonien als Kuriositäten zu "begaffen" waren. Es gab ein detailgetreu nachgebautes "Eingeborenendorf", in dem kongolesische Künstlerinnen und Handwerker mit ihren Familienangehörigen lebten und ihrer Arbeit nachgingen, während sie von den Ausstellungsbesucherinnen und -besuchern verspottet und mit Geld und Bananen beworfen wurden. Ausstellungen wie diese brachten viel Geld und dienten dazu, hierarchische Rassenideologien zu propagieren. Menschen mit weißer Hautfarbe, so glaubte man, seien allen anderen überlegen und hätten ein Recht, über sie zu herrschen. Der Historiker Jürgen Zimmerer von der Forschungsstelle (post-)koloniales Erbe der Uni Hamburg wies vor kurzem darauf hin, dass die Familie Hagenbeck die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels ihrer Geschichte bisher blockiert habe.

Vier Säulen

Menschenzoos sind offiziell abgeschafft. Zoos, die Tiere ausstellen, nicht. Aber sie werden zunehmend infrage gestellt. Die erstarkende Tierschutz- und Tierrechtsbewegung sowie vielgelesene tierethische Publikationen führten ab Mitte der 1970er-Jahre dazu, dass Zoos gezwungen waren, ihre Existenz mit guten Gründen zu rechtfertigen.

Eine Reihe von Zoos verschrieb sich deshalb einem Vier-Säulen-Konzept, das für tiergärtnerisches Handeln maßgeblich sein sollte: Bildung, Artenschutz, Forschung und Erholung. Immerhin. Renommierte Zookritikerinnen und -kritiker wie der am University College in London lehrende Anthropologe und Primatologe Volker Sommer weisen jedoch nachdrücklich darauf hin, dass keine der vier Säulen einer Überprüfung standhält: Zoos seien Orte, in denen Menschen, speziell Kinder, gegenüber ihren Mitgeschöpfen desensibilisiert würden. Das Forschungsinteresse von Zoos würde sich primär auf zoospezifische, rein innerbetriebliche Belange richten. Und trotz kleiner Erfolge bei der Wiederansiedlung in der Wildnis ausgestorbener Arten änderten Zoos letztlich nichts am Massensterben von Spezies.

Zoos, so resümiert Sommer, seien weiterhin vorrangig Unterhaltungsbetriebe, in denen wilde Tiere instrumentalisiert und objektiviert würden. Das erscheint manchem als ein allzu harsches und pauschales Urteil, das die Reformbemühungen zahlreicher Zoos nicht entsprechend würdigt. Wie auch immer. Alles in allem ist Sommers Urteil freilich ein unabweisbares Wahrheitsmoment zu eigen. (Kurt Remele, 18.7.2023)