Die EU-Kommission hat mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied nach Monaten ein "Memorandum of Understanding" zu verstärkter Kooperation in Sachen Migration unterzeichnet. Glaubt man EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, liegt "ein gutes Paket" an Maßnahmen auf dem Tisch, das rasch umgesetzt werden muss. Es verfolgt vor allem zwei Hauptziele, die die 27 Staats- und Regierungschefs der Union beim EU-Gipfel im Dezember 2022 vorgegeben haben.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht ein „gutes Paket“.
Reuters/Johanna Geron

Erstens: Der organisierten Schleppermafia, die tausende Menschen in klapprige Boote setzt und jedes Jahr hunderte in den Tod schickt, wenn sie kentern, soll das Leben schwergemacht werden. "Irreguläre Migration", wie es amtlich heißt, über das Mittelmeer von Tunesien nach Italien soll eingebremst werden.

Zweitens: Diejenigen, die es trotzdem nach Italien oder Malta oder weiter in den Norden in ein EU-Land schaffen, die aber kein Aufenthaltsrecht bekommen, weil sie keine Fluchtgründe vorweisen können, sollen leichter wieder abgeschoben werden können. Das waren zuletzt tausende Tunesier, die ihre Heimat verlassen wollen, weil das Land am Rand der Pleite steht, vom autoritären Präsidenten Saied demokratiefeindlich geführt.

Der Arabische Frühling ist gescheitert. Das kleine Tunesien braucht vom Internationalen Währungsfonds und der EU Milliarden Euro an Finanzhilfen, um das Jahr 2023 budgetär zu überstehen.

Das sind die überaus schlechten Rahmenbedingungen, die das geplante EU-Tunesien-Abkommen begleiten. Auch deshalb sind Zweifel angebracht, ob die Maßnahmen je gut wirken werden. Bisher hat Saied wenig konstruktive Haltung im Umgang mit Migranten gezeigt. Im Gegenteil, er hetzte die Bevölkerung gegen sie auf.

Nicht mit ihm zu kooperieren, wie das deutsche Grüne fordern, führt aber auch nicht weiter. Man kann die Kommission, die lediglich ausführt, was die 27 Mitgliedsstaaten ihr auftrugen, für Saied nicht verantwortlich machen. Das gemeinsame Europa kann sich nicht aussuchen, mit wem es EU-Außengrenzen hat, wer in benachbarten Drittländern Vereinbarungen trifft, Geschäfte macht.

Keine nachhaltige Lösung

Von Marokko bis Belarus ist die EU von einem "Feuerring" an Problemstaaten, von Krisen und Kriegen umgeben. Der EU-Deal mit Tunesien wird vielleicht eine kleine Abhilfe im Umgang mit dem gesamteuropäischen Problem bei Asyl und Migration, mit geordneter Zuwanderung sein. Aber eine nachhaltige Lösung ist er nicht, bestenfalls ein Mosaikstein, sofern Saied denn wirklich mitspielt.

Dennoch: Vielleicht lässt sich die eine oder andere Tragödie im Meer zwischen Tunesien, Italien und Malta verhindern. Vielleicht gelingt es, den Zuzug von jungen Tunesiern, die im EU-Raum arbeiten und sich ein besseres Leben aufbauen wollen, in geordnetere Bahnen zu lenken. Immerhin ist auch vereinbart, das Visasystem wechselseitig zu verbessern. Am Kernproblem der Union ändert das nichts. Solange die 27 EU-Mitgliedsstaaten zerstritten sind, unfähig zu einer echten gemeinsamen wie entschlossenen Politik im Inneren, bleiben alle Maßnahmen zu Asyl- und Migrationspolitik nach außen Stückwerk. Wenn sich die Lage in Tunesien normalisiert, wird die Schleppermafia weiterziehen. Daran hat sich seit Oktober 2013 wenig geändert.

Damals sanken vor Lampedusa zwei Boote mit fast 1.000 Menschen an Bord, mehr als 550 Menschen starben. Das ist zehn lange Jahre her. (Thomas Mayer, 18.7.2023)