Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) und Landwirtschaftsminister Norbert Toschnig (ÖVP) sitzen im Parlament auf der Regierungsbank.
Wirtschaftsminister Martin Kocher zeigte sich in Sachen Mercosur-Abkommen zuletzt aufgeschlossen, Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (beide ÖVP) blieb bei seiner Ablehnung.
APA/ROLAND SCHLAGER

Österreich, wie hältst du es mit dem Handelsdeal zwischen Südamerika und Europa? Diese Frage treibt derzeit wohl so manchen EU-Diplomaten um. Denn richtig schlau wurde man aus jüngsten Aussagen von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor dem Südamerika-EU-Gipfel am Montag und Dienstag in Brüssel nicht.

"Wir kennen die Änderungsvorschläge noch gar nicht, wir werden sehen, wie dann die Entwicklungen weitergehen, aber die österreichische Position ist klar", erklärte Nehammer. Lehnt die Regierung den Deal also weiterhin ab, egal ob nachverhandelt wird? Oder gibt es sehr wohl Raum für "Neubewertungen", wie kürzlich Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) erklärte?

DER STANDARD hat im Büro des Kanzlers nachgefragt, was mit dem Zitat gemeint war. Antwort kam bisher keine – und es ist gut möglich, dass sich Nehammer gezielt unklar ausgedrückt hat. Schließlich zieht sich der Riss in der Debatte über das umstrittene Mercosur-Abkommen quer durch seine eigene Partei.

Altes Veto

Das geplante Handelsabkommen mit den südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay wurde im Jahr 1999 zum ersten Mal verhandelt. 2019 stand das Abkommen kurz vor dem Abschluss. Doch mehrere EU-Staaten wie Frankreich, die Niederlande und Österreich legten sich quer. Während die Industrie Exportchancen wittert, sehen sich Landwirtinnen und Landwirte von billigen Agrarimporten bedroht. 

In der Phase der Expertenregierung, kurz vor den Neuwahlen im Jahr 2019, stimmten alle österreichischen Parlamentsparteien mit Ausnahme der Neos im Nationalrat gegen das Abkommen. Die türkis-grüne Bundesregierung schrieb das Veto später in ihrem Programm fest, worauf auch Kanzler Nehammer jüngst hinwies.

Neue Weltlage

Vier Jahre später sieht die weltpolitische Lage völlig anders aus. Die Corona-Krise hat gezeigt, wie fragil globale Lieferketten sein können. Der Krieg in der Ukraine macht dem Westen deutlich, wie abhängig er von Autokratien wie Russland und China ist. In Brasilien regiert mittlerweile nicht mehr der rechtsextreme Jair Bolsonaro, sondern der linksliberale Luis Inácio Lula da Silva.

Die EU-Kommission sah das Momentum deshalb auf ihrer Seite – und rollte das Abkommen in den vergangenen Monaten neu auf. Gerade jetzt, da sich die geopolitische Situation nachhaltig verändert habe, müsse die Europäische Union ihre Handelspolitik vorantreiben, erklärte Handelskommissar Valdis Dombrovskis.

Beim Gipfel in Brüssel steht nun ein Zusatzprotokoll mit Umweltauflagen zur Debatte, das Kritikerinnen und Kritiker besänftigen soll. Ob sich dadurch die Position der österreichischen Bundesregierung ändert, bleibt abzuwarten. Aus derzeitiger Sicht ist das aber unwahrscheinlich: Die Grünen sind – anders als ihre deutschen Parteikollegen – gegen das Abkommen. Und auch die ÖVP ist gespalten.

Industrie gegen Bauern

Während die ÖVP-dominierte Wirtschaftskammer den Deal mit Südamerika befürwortet, lehnt ihn die ÖVP-dominierte Landwirtschaftskammer strikt ab. Das spiegelt sich auch auf Regierungsebene wider: Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) bleibt bei seinem "Nein" zu Mercosur. Wirtschaftsminister Kocher (ÖVP) zeigte sich dagegen offen für "Neubewertungen".

Warum das so ist, erklärt ein Blick auf die Handelsstatistik: Österreich exportiert zu 75 Prozent Maschinen, verarbeitete Produkte und chemische Erzeugnisse nach Südamerika. Eine Studie der London School of Economics aus dem Jahr 2020 zeigt, dass die Exporte dieser klassischen Industriegüter mit dem Abkommen stark wachsen könnten.

Aus dem Mercosur kommen dagegen hauptsächlich Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte nach Österreich – etwa Soja oder das mittlerweile berühmt-berüchtigte Rindfleisch. Zwar hat die EU-Kommission strenge Exportquoten in das Abkommen verhandelt, im Gegensatz zur Situation in anderen Ländern konnte das die österreichischen Bauern aber nicht besänftigen.

Deal bis Jahresende?

Die europäische Ratspräsidentschaft und der brasilianische Präsident Lula da Silva zeigen sich am Gipfel in Brüssel jedenfalls zuversichtlich, das Abkommen im nächsten halben Jahr abschließen zu können. Den EU-Diplomatinnen und -Diplomaten stehen zähe Verhandlungen bevor – nicht nur mit Südamerika, sondern auch mit den eigenen Mitgliedsstaaten. (Jakob Pflügl, 18.7.2023)