Schachspielende in der Hauptbücherei Wien
In der Hauptbücherei stehen Tische und Bretter bereit. Wer will, kann einfach mitspielen.
Regine Hendrich

Katharina Karrer besitzt mehrere Schachbretter. Ein Glasbrett, ein Holzbrett, eines zum Trainieren für Turniere, eines war ein Geburtstagsgeschenk. Ihr erstes Brett aber hat sie aus Rumänien, erzählt die 15-Jährige. Als sie dort ihre Großmutter besuchte, sah sie in einem Park "uralte Männer", die auf Tischen mit aufgemalten Brettern Schach spielten. Ihre Neugier war geweckt. In einem Supermarkt kaufte Katharina Karrers Vater ihr das erste Brett.

Die Tochter spielte zunächst gegen ihren Vater, zwei schachspielende Burschen aus ihrer Schule kurbelten ihr Interesse weiter an. Mittlerweile sei sie stärker als ihre damaligen Gegner, sagt Katharina, die sich noch ein pinkes Turnierbrett für ihre Sammlung wünscht – weil sie die Farbe liebe und sie das motiviere.

Schach in der Bücherei

An einem Donnerstagnachmittag sitzt die 15-Jährige im Eingangsbereich der Hauptbücherei Wien. Dort werden zweimal pro Monat Tische mit Schachbrettern aufgestellt – wer will, kann einfach mitspielen.

Katharina Karrer sitzt vor einem Schachbrett
Katharina Karrer kommt in die Hauptbücherei, um Schach zu spielen.
Regine Hendrich

Direkt vor der riesigen Fotografie eines Kaffeehauses haben Karrer und ihr 18-jähriger Gegner Platz genommen. "Er ist besser als ich, aber es gibt trotzdem Spiele, die ich gewinne", sagt die junge Frau mit dunklen Haaren und Stirnfransen. Die beiden bereiten eine Partie vor, die nicht lange dauern wird, die Uhr neben dem Feld ist auf eine Minute gestellt. Dann fliegen Hände über das Brett, bewegen Figuren, drücken die Uhr. Manchmal verharren sie kurz unentschlossen in der Luft, die meiste Zeit aber wirkt es, als würde die Szene in schnellerer Geschwindigkeit abgespult.

Karrers Gegenüber spielt täglich online Schach, aber auch mehrmals pro Woche auf dem Brett, erzählt er. Als Schulsprecher hat er ein Turnier an seiner Schule organisiert. Katharina merkt man die Leidenschaft ebenso an. Als sie von einem Schachcamp im vergangenen Sommer erzählt, gerät sie regelrecht ins Schwärmen. "Ich habe früher wirklich den ganzen Tag nur Schach gespielt und nichts anderes gemacht. Schach war mein Leben", sagt sie. Eine Zeitlang spielte sie dann weniger, nun versuche sie "wieder reinzukommen", wie sie sagt. Wenn sie mal keine Lust habe, versuche ihr Freund, mit dem sie auch Schach spielt, sie zu motivieren.

Schachbrett
"Ich habe früher wirklich den ganzen Tag nur Schach gespielt und nichts anderes gemacht", sagt Katharina.
Regine Hendrich

An diesem Tag spielen in der Bücherei Jung und Alt, Frauen und Männer. Auf die Frage, ob sie hier jemanden getroffen hat, dem sie sonst nicht begegnet wäre, antwortet Karrer überzeugt: "Alle hier." Genau das ist gewissermaßen auch die Intention des Schach-Cafés, denn für die Organisatorin Kineke Mulder ist Schach ein Werkzeug, um verschiedene Menschen miteinander zu verbinden.

Die Wahlwienerin veranstaltet an mehreren Orten in der Stadt Aktionen, die sich an alle, die einfach Spaß am Schachspielen haben, richten. Oft gebe es für Menschen mehrere Gründe zu spielen, etwa um neue Bekanntschaften zu machen, Deutsch zu üben oder "Locals" zu treffen. Mulder versucht auch bewusst, Personen anzusprechen, die ihr zwar interessiert, aber zu schüchtern erscheinen, um von selbst mitzumachen.

Wenige Frauen

Insgesamt seien bei den Aktionen mehr Männer anzutreffen als Frauen, meint Mulder. Zur Situation in den Vereinen liefert der österreichische Schachbund Zahlen: Stand Jänner waren in Österreich mehr als 8.000 Spielerinnen und Spieler aktiv bei einem Verein gemeldet. 6.991 davon haben eine Elozahl, also eine Wertungszahl, die die Spielstärke angibt. Nur 525 davon sind Frauen.

In Wien gibt es auch Angebote, die sich speziell an weibliches Publikum richten, eines davon ist "Frau Schach". Obfrau Dagmar Jenner erzählt am Telefon, dass sich alle drei Wochen bis zu 20 Frauen im Café Schopenhauer treffen, um Schach zu spielen – von der Anfängerin bis zur Könnerin. Viele Frauen, die ins Café Schopenhauer kämen, seien auch Mitglieder in gemischten Schachklubs. Warum also braucht es dann überhaupt ein spezielles Angebot für Frauen? "In einem sehr männlich geprägten Umfeld, wo gerne einmal Mansplaining betrieben wird, ist es anstrengend, wenn man als einzige Frau dort ist", sagt Jenner. Und: "Sexismus ist allgegenwärtig, auch im Schach." Den Frauenschachklub sieht sie als feministisches Projekt und einen geschützten Raum.

Auch Katharina Karrer erinnert sich nicht nur an schöne Situationen. Ein männlicher Gegner habe bei einem Turnier zu ihr gesagt, dass sie viel zu nett sei, um Schach zu spielen. Das habe sie anfangs demotiviert, doch auch gepusht, weiterzuspielen. Bei einem anderen Turnier, dieses Mal an ihrer Schule, wurde sie einst zur besten Dame gekürt, wie sie sagt. Jedoch mit einer kleinen Einschränkung: "Ich war die einzige Dame." Ihre Medaille ist für sie trotzdem "urcool". Die Jugendliche findet es gut, dass es Angebote gibt, die sich speziell an Mädchen und Frauen richten, ausprobiert hat sie solche aber noch nie. Stattdessen spielt sie in Wien in der Bücherei, im Café Baharat oder auf dem Platz der Menschenrechte.

Schach auf dem Platz der Menschenrechte
Auf einem Tisch auf dem Platz der Menschenrechte werden an diesem Tag Schachbretter serviert.
Regine Hendrich

Auch hier vor dem Museumsquartier wird unter der Organisation von Kineke Mulder, die sich selbst als "faule Hobbyspielerin" bezeichnet, Schach gespielt. Zwischen Ende April und Ende Oktober kommt Mulder jeden Freitag zum Platz der Menschenrechte – ausgestattet mit einem Einkaufstrolley, in dem sie zehn Bretter, 320 Figuren und ein paar Uhren transportiert. Wenn alles aufgebaut ist, wird gemeinsam Schach gespielt und das ein oder andere Bier getrunken. Start ist um 17 Uhr, theoretisch ist um 22 Uhr Schluss, doch Mulder sagt: "Eigentlich bleibe ich immer bis Mitternacht." Licht für die Schachspielenden kommt von den Straßenlaternen. Rund 50 Prozent seien Stammspieler. Manchmal seien auch komplette Anfänger dabei.

Viel Erfahrung

"Auf dem Platz der Menschenrechte ist alles möglich", sagt Peter Meixner, Jahrgang 1966, in einem Café in der Mariahilfer Straße nicht weit von der Schachtafel entfernt. Der Bankangestellte kam in seiner Jugend zum Schach, ist Mannschaftsführer im Schachklub Donaustadt und hat eine C-Trainer-Ausbildung gemacht. Während Meixner spricht, streut er immer wieder Schachregeln ein, etwa wann eine Rochade erlaubt ist oder wie En-passant-Schlagen funktioniert. "Beim Schach habe ich das Problem, dass ich immer einen Frontalvortrag halte. Früher hat es geheißen, ich sei zu ruhig und zu schüchtern", sagt er.

Meixner hat auch eine Mappe mit 600 Taktikbeispielen dabei, fein säuberlich in Klarsichtfolien einsortiert. Noch im Kaffeehaus sagt er: "Wenn wir uns da vorsetzen an den Platz der Menschenrechte, wimmelt es von Leuten. Ich werde im Normalfall keinen Platz kriegen, um eine Partie zu spielen."

Peter Meixner sitzt vor einem Schachbrett.
Der Bankangestellte Peter Meixner ist Mannschaftsführer im Schachklub Donaustadt, spielt aber auch manchmal auf dem Platz der Menschenrechte.
Regine Hendrich

Katharina Karrer muss an diesem Tag lange auf ein Brett warten. Es ist ein lauer Abend, Leute stehen um den langen Tisch herum, im Hintergrund brummt der Stadtlärm, sonst ist es ruhig. Schließlich ergattert die Jugendliche einen Platz für eine Partie. Zwischen ihr und ihrem Gegenüber steht ein Holzbrett, die Figuren bereit, das Spiel beginnt.

Etwas später wendet sie sich vom Feld ab und erklärt: "Ich habe gerade meine Dame geblundert, das heißt übersehen, dass die Dame hängt." Für die Jugendliche ist Schach ganz offensichtlich mehr als ein Spiel, das sie verliert oder gewinnt, nämlich eine eigene Sprache und Freude. Oder wie sie bei einem der Treffen sagt: "Man denkt nach, hat Spaß, und es ist etwas Uniques." (Christina Rebhahn-Roither, 20.7.2023)