Unsere Sonne zeigt sich aktuell von ihrer ungestümen Seite. Ihr Lebenslauf wird von mehreren einander überlagernden Zyklen bestimmt, deren auffälligster – der sogenannte Schwabe-Zyklus – im Schnitt alle elf Jahre zu einem Sonnenfleckenmaximum mit entsprechend häufigeren Ausbrüchen auf der Sonnenoberfläche führt. Der aktuelle Zyklus begann mit einem Minimum im Dezember 2019, unser Zentralgestirn nähert sich demnach rasant seinem nächsten Aktivitätshöhepunkt, mit allen turbulenten Begleiterscheinungen.

Wohin die Reise geht, daran ließ die Sonne mit ihren zahlreichen Plasma- und Strahlungsausbrüchen und vereinzelten geomagnetischen Stürmen in den vergangenen Wochen keinen Zweifel aufkommen. Nun ist es erneut kurz hintereinander zu zwei koronalen Massenauswürfen gekommen. Die beiden haben sich zu einer riesigen Teilchenwolke vereinigt, die am Dienstag und Mittwoch auf die Erdatmosphäre treffen dürfte. Fachleute rechnen mit einem leichten geomagnetischen Sturm, der unter Umständen auch für einige Polarlicher sorgen könnte, allerdings kaum in mitteleuropäischen Regionen.

Solare Aktivität, Sonneneruption geomagnetischer Sturm
Aufnahme der Sonne bei einer Wellenlänge von 304 Ångström. Die markierte Region zeigt den koronalen Massenauswurf vom 15. Juli. Die ausgestoßene Plasmawolke heftete sich auf die Fersen eines Ausbruchs vom 14. Juli und vereinigte sich schließlich mit dieser.
Foto: Nasa/SDO

Massenauswürfe und ihre Folgen

Koronale Massenauswürfe (CMEs) sind große, sich schnell bewegende Wolken aus magnetisiertem Plasma und Strahlung, die gelegentlich bei Sonneneruptionen ins All geschleudert werden. Die Eruptionen selbst entstehen in Regionen mit hoher magnetischer Feldstärke in den äußersten Schichten der Sonne. Kommt es dort zu einer plötzlichen Umordnen der magnetischen Feldlinien, wird Material und Strahlung mit unterschiedlicher Heftigkeit ausgestoßen.

Zeigt ein solcher Ausbruch direkt in Richtung Erde, können drei Phänomene beobachtet werden: Es kommt zu einem Röntgenblitz, auch Flare genannt, der nur Minuten nach der Sonneneruption die Erde erreicht und als erstes Anzeichen für einen Sonnensturm registriert wird. Nach einigen Stunden treffen Protonen und andere hochenergetische Teilchen ein. Diese Partikel können im Ernstfall den Satelliten im Orbit große Unannehmlichkeiten bereiten, bis hin zum Totalausfall. Tage später schließlich bekommen wir es mit einer Plasmawolke aus geladenen Teilchen zu tun.

Kaum sichtbare Auswirkungen

Wenn solche Plasmawolken auf die Erde treffen, können sie Störungen im Magnetfeld unseres Planeten auslösen, sogenannte geomagnetische Stürme. Diese sind teilweise für Radioausfälle verantwortlich und malen bisweilen selbst weit entfernt von den Magnetpolen der Erde farbenfrohe Polarlichter an den Himmel. Aktuell haben wir es mit einem "kannibalischen" koronalen Massenauswurf zu tun. Dabei folgt auf einen ersten CME ein zweiter, schnellerer; holt dieser den Vorgänger ein, verschlingt er ihn gleichsam und erzeugt so eine einzige, gewaltige Plasmawolke.

Sonnensturm, CME, Polarlicht
Die schönen Seiten der Sonnenstürme: Sie können bisweilen auch weit entfernt von den Polen zu farbenprächtigen Polarlichtern führen.
Foto: APA/AFP/ALL ABOUT LAPLAND/ALEXAN

Der Doppelschlag startete vom kleinen Sonnenfleck AR3370 am 14. Juli mit einer "dunklen" Eruption, bei der vergleichsweise kühles Plasma ausgestoßen wurde. Am 15. Juli folgte ein zweiter, schnellerer CME, dessen Ursprung im deutlich größeren Sonnenfleck AR3363 lag. Eine Simulation des Weltraumwetter-Zentrums der US-amerikanische Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA ergab, dass der zweite Sturm den ersten CME einholt und eine kannibalische Wolke bildet, die mit großer Wahrscheinlichkeit am 18. oder 19. Juli auf die Erde trifft.

Beide CMEs resultieren aus Sonneneruptionen der Klasse C, der mittleren Stärkestufe von solaren Ausbrüchen. Jeweils allein wären sie zu schwach, um bedeutende geomagnetische Stürme auszulösen. Mit vereinten Kräften wären sie jedoch in der Lage, eine Störung der G2 auszulösen; die Skala beginnt bei G1 und endet bei den extremsten geomagnetischen Stürmen mit einer Stärke von G5. In diesem Fall jedoch wiesen die Eruptionen nicht direkt Richtung Erde, Fachleute rechneten daher nur mit einem schwachen "Streifschuss" mit kaum sichtbaren Folgen.

Steigende Aktivität

Kannibalen-CMEs sind normalerweise selten, da sie aufeinanderfolgende Massenauswürfe erfordern, die perfekt ausgerichtet sind und sich mit bestimmten Geschwindigkeiten bewegen. In den vergangenen Jahren wurden dennoch mehrere beobachtet: Im November 2021 traf ein kannibalischer CME auf der Erde ein und löste einen der ersten großen geomagnetischen Stürme des aktuellen Sonnenzyklus aus. Zwei weitere kannibalische CMEs trafen im Jahr 2022 auf unseren Planeten, der erste im März und ein weiterer im August. Beide lösten Stürme der Klasse G3 aus.

Insgesamt wurde die Erde heuer bereits von fünf geomagnetischen Stürmen der Stärke G1 oder G2 heimgesucht, darunter auch der stärkste Sturm seit mehr als sechs Jahren. Diese Stürme haben die Thermosphäre – die zweithöchste Schicht der Erdatmosphäre – auf die höchste Temperatur seit mehr als 20 Jahren aufgeheizt. Auch die Zahl der Sonnenflecken nimmt zu, im Juni erreichte sie den höchsten Stand seit fast 21 Jahren.

Falsche Prognosen

Aufgrund dieser und anderer recht heftiger Aktivitäten der Sonne in den vergangenen Monaten mussten Forschende ihre ursprüngliche Prognose für die Entwicklung des aktuellen Sonnenzyklus einigermaßen revidieren. Zunächst hatten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter das nächste solare Maximum für 2025 vorhergesagt. Es würde im Vergleich zu früheren Sonnenzyklen eher schwach ausfallen, hieß es damals. Mittlerweile zeigt sich jedoch ein etwas anderes Bild. Das explosive Maximum der Sonne dürfte tatsächlich etwas früher eintreten und deutlich stärker sein als bisher angenommen. Man kann sich also für die nächsten Monate noch auf das eine oder andere solare Feuerwerk gefasst machen. (Thomas Bergmayr, 18.7.2023)