Demarkationslinie zu Nordkorea
Archivfoto von Soldaten aus Südkorea (links) und von den Vereinten Nationen an der Demarkationslinie.
AFP/ANTHONY WALLACE

Ein US-Bürger hat bei einer Tour in die entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea die Demarkationslinie zu Nordkorea überquert und befindet sich offenbar in nordkoreanischem Gewahrsam. Dies teilte das Kommando der Vereinten Nationen am Dienstag mit. Wie die US-Streitkräfte später mitteilten, handelt es sich um einen US-Soldaten.

"Ein US-Staatsangehöriger, der sich auf einer JSA-Orientierungstour (Joint Security Area, Anm.) befindet, hat ohne Genehmigung die militärische Demarkationslinie zur Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) überquert", teilte das UN-Kommando auf Twitter mit. "Wir glauben, dass er sich derzeit in Gewahrsam der DVRK befindet, und arbeiten mit unseren KPA-Kollegen zusammen, um diesen Vorfall aufzuklären", fügte es mit Bezug auf die nordkoreanische Volksarmee hinzu.

Video: Archivaufnahmen der demilitarisierten Zone vom Februar 2023.
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Die südkoreanische Tageszeitung "Dong-a Ilbo" berichtete unter Berufung auf die südkoreanische Armee, dass es sich bei der Person um einen US-Soldaten handelte, der in Südkorea stationiert ist. Der Mann soll dem Bericht nach gemeinsam mit einer Touristengruppe an einer Besichtigung der Zone zwischen den beiden Staaten teilgenommen haben. Beim gemeinsamen Anschauen der blauen Pavillons, die an der Demarkationslinie zwischen den beiden Staaten liegen, war er demnach in nordkoreanisches Gebiet gerannt. Die in der Zone stationierten UN-Soldaten hätten ihn nicht mehr aufhalten können, ebenso wenig wie jene Südkoreas und der USA.

Wie US-Medien schreiben, handelt es sich bei dem Geflüchteten um einen Soldaten, der wegen dienstlicher Verfehlungen von seiner Stationierung in Korea aus zurück in die USA hätte überstellt werden sollen. Er schloss sich den Berichten nach der Touristengruppe an, und flüchtete während der Besichtigung bewusst.

Ein Augenzeuge, der nach eigenen Angaben an derselben Besichtigungstour teilnahm, sagte CBS, die Gruppe habe eines der Gebäude auf dem Gelände besucht, als "dieser Mann laut 'Ha-ha-ha' ruft und einfach zwischen einigen Gebäuden hindurchläuft". "Zuerst dachte ich, es sei ein schlechter Witz, aber als er nicht zurückkam, wurde mir klar, dass es kein Witz war", sagte der Zeuge.

Die US-Streitkräfte teilten später mit, der US-Soldat habe die Demarkationslinie bei einem Besuch der entmilitarisierten Zone zwischen beiden Staaten "absichtlich und ohne Erlaubnis" überquert. Die US-Armee arbeite mit den nordkoreanischen Streitkräften zusammen, "um diesen Vorfall aufzulösen", erklärte der Sprecher weiter.

DER STANDARD

In der Joint Securty Area stehen sich die beiden Staaten, die sich seit dem Beginn des Koreakrieges noch immer formell im Kriegszustand befinden, gegenüber. Eine formelle Grenze gibt es dort mangels eines Friedensvertrags nicht, allerdings läuft durch die Mitte des Areals eine Demarkationslinie, die de facto als Grenze fungiert. Sie läuft unter anderem durch mehrere blaue Pavillions, die für Verhandlungen zwischen den beiden Staaten als eine Art neutrales Gebiet dienen sollen. Überschritten wurde die Linie unter anderem vom damaligen Präsidenten Donald Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un, die einander 2019 bei den blauen Pavillons trafen. Verwaltet wird die Joints Security Area von UN-Soldaten aus Schweden und der Schweiz.

Vorfälle sind dort wegen der strengen Sicherheitsvorkehrungen selten. 2017 flüchtete ein nordkoreanischer Soldat namens Oh Chong-song über die Demarkationslinie und überlebte, obwohl ihn fünf Schüsse der nordkoreanischen Grenzsoldaten trafen. 2008 wurde ein US-Tourist von nordkoreanischen Truppen erschossen, der offenbar versehentlich in nordkoreanisch kontrolliertes Gebiet stapfte.

Einst standen einander auch Soldaten der beiden Seiten direkt an der Linie gegenüber, diese Praxis endete aber mit der Corona-Pandemie. Das Medium "NK News" befragte einen ehemaligen US-Soldaten, der einst für die amerikanischen Truppen in der (nur dem Namen nach) entmilitarisierten Zone tätig war. Dieser bewertete den Vorfall als "äußerst ungewöhnlich", wollte sich aber keine weitere Bewertung der Situation anmaßen. Seit dem Zusammenbruch fast aller Kontakte während der Corona-Pandemie sei die Reaktion Nordkorea auf derartige Vorfälle noch schwerer zu berechnen.

Angespannte Lage

Die Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea sind auf einem historischen Tiefpunkt. Südkorea gehört zu den Verbündeten der USA, das kommunistische Nordkorea zählt die Vereinigten Staaten zu seinen größten Feinden. Die USA verkündeten am Dienstag die Stationierung eines mit Atomwaffen bestückten U-Boots der US-Marine in Südkorea. Das letzte Mal, dass die USA eines seiner atomwaffenfähigen U-Boote nach Südkorea entsandte, war 1981. Washington hatte im April ein Abkommen mit Seoul vereinbart, um den atomaren Schutzschild für Südkorea zu stärken.

Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un droht immer wieder mit einer militärischen Eskalation in der Region und hatte angekündigt, das eigene Atomwaffenarsenal "exponentiell" auszubauen. Washington und Seoul warnen deshalb bereits seit Monaten, dass Nordkorea in näherer Zukunft einen Atomwaffentest ausführen könnte. Es wäre der erste solche Test seit 2017.

Nordkorea hatte die Stationierung des U-Boots, das Raketen mit Atomwaffen abschießen kann, bereits zuvor verurteilt. Damit drohe die Situation auf der koreanischen Halbinsel näher an die "Schwelle eines Atomkonflikts" zu rücken, hieß es aus Pjöngjang. (luza, mesc, ag, APA, 18.7.2023)