Kunsthistoriker Richard Bösel schreibt in seinem Gastkommentar über die geplante Neugestaltung des Wiener Michaelerplatzes.

Am falschen Ort erzeugt "klimafittes Wohlgefühl" städtebauliches Unbehagen. Und das ist noch gelinde ausgedrückt: Man könnte geradeso von einem pseudoökologischen Gewaltakt gegen die Urbanität einer Metropole sprechen. Sollte das von der amtsführenden Stadträtin für Innovation, Stadtplanung und Mobilität der Stadt Wien gemeinsam mit dem Bezirksvorstand der Inneren Stadt präsentierte, freizeitfreundliche Umgestaltungsvorhaben – Bepflanzung, Wasserspiel mit rund 40 Düsen vor dem Looshaus, Trinkhydranten – für den Michaelerplatz in die Tat umgesetzt werden, hätte unser risikogefährdeter "Weltkulturerbe-Status" eine neuerliche katastrophale Beeinträchtigung hinzunehmen.

Zugegeben: Das Herzstück einer Großstadt hat nicht nur als Konfliktzone zwischen stressgeplagten Berufstätigen und selfiefixierten Touristenmassen zu fungieren, es braucht in ihm gewiss auch Pole des Ausschnaufens. Doch davon gibt es in Wien auch schon bisher ohnehin recht viele, und das in nächster Nähe. An klimabedingten Glutnestern, die nach Aufforstung verlangen, herrscht anderswo – nämlich in den Wohnbezirken – kein Mangel.

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Zweimal der Wiener Michaelerplatz: so, wie er derzeit aussieht ...

Nehmen wir an, ein Wiener Spaziergänger – einer, der die Urbanität seiner Heimatstadt gerade besonders zu schätzen weiß – ist am Ring aus der Straßenbahn gestiegen, hat den weitläufigen Heldenplatz überquert, durchmisst mit freudiger Erwartung die Hofburg und befindet sich bereits unter der eindrucksvollen Michaelerkuppel. Er weiß, er ist angekommen. Er ist dem grauen Alltag entwischt und dennoch nicht ins Grüne hinausgefahren; er ist eben "in die Stadt gegangen"; und das vermittelt eine ganz besondere Stimmung, macht ihn vielleicht sogar glücklich.

Durch das hohe Gittertor erblickt er einen gar nicht einheitlichen und doch harmonischen städtischen Freiraum, der von recht gegensätzlichen Bauwerken umgeben wird – darunter wahre Ikonen der Weltarchitektur. Der Platz ist monumental und doch intim, weil eigentlich ziemlich klein. Es fällt gar nicht leicht, herauszufinden, was daran so fasziniert. Ist es die Vielfalt der Formensprachen oder eher die organische Wirkung einer Platzanlage, deren Grundrissform sich nicht auf Anhieb ergründen lässt? Einer Anlage, die zuerst als Rondell wahrgenommen wird und sodann, in entgegengesetzter Richtung betrachtet, als trichterförmiger Vorhof der großartigen Burgfront, um sich letztlich als Knoten zusammenlaufender Straßenzüge zu entlarven.

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... und ein Rendering, wie er bis Herbst 2024 neu gestaltet werden soll. Das Vorhaben sorgt auch für Kritik.
APA/ZOOM VISUAL PROJECT GMBH

Tatsächlich ist der Michaelerplatz aus einer unscheinbaren Wegkreuzung hervorgegangen und hat sich in einem jahrhundertelangen Prozess zu einem Kristallisationspunkt gestalterischer Kreativität entwickelt – dank der planerischen Präzisionsarbeit vieler Generationen. Man darf ihn ohne jeden Vorbehalt als Inbegriff eines "architektonischen Schauplatzes" bezeichnen und muss ihn als solchen bewahren: ganz so wie er ist und bar jeder verniedlichenden Zutat. Eine unüberlegte, ohne vorherige breite Expertendiskussion durchgeführte Hauruckaktion würde hier alles zerstören.

Zeichenhafte Aussagekraft

Seit der Errichtung des Michaelertraktes durch Joseph Emanuel Fischer von Erlach (als Entwerfer) und den Hofgelehrten Conrad Adolf von Albrecht (als Erfinder des Konzepts) ab 1728 haftet diesem "Architekturplatz" eine über seine rein baukünstlerischen Eigenschaften hinausgehende zeichenhafte Aussagekraft an: Die Stadtfront der Hofburg war von Anfang an als bauliches Emblem kaiserlicher Macht gedacht.

Als Wahrzeichen stellte ihr nach und nach sich wandelndes Erscheinungsbild einen programmatischen Bezugspunkt für zahlreiche Bauwerke in ganz Europa dar: etwa in Berlin, Graz, Budapest und Bukarest; und die charakteristische Glockenform ihrer Kuppeln hat in der gesamten Donaumonarchie und darüber hinaus weite Verbreitung gefunden – als architektonisches Statussymbol, mit dem man auf das kulturelle Prestige der Metropole Mitteleuropas verweisen wollte.

Dem nun zur "klimafitten" Bespaßung und Behübschung zur Diskussion stehenden Platz sollte man also mit Respekt begegnen, mit einem planerischen Verantwortungsgefühl, das leichtfertige Banalisierung vermeidet und nicht Gefahr läuft, sich international zu blamieren.

Repräsentativer Fokus

Der Michaelerplatz wollte nie ein Ort zum Verweilen sein und wird sich auch heute nicht besonders gut dazu eignen. Er diente nie primär kommerziellen Zwecken und nur nebenbei als Wohnadresse; und auch das ist heute so. Er ist ein repräsentativer Fokus im städtebaulichen Gefüge, von einzigartigem Charakter, außergewöhnlicher Bedeutungsdichte und höchstem ästhetischem Anspruch, doch ist er als Raumgebilde auch äußerst sensibel, ja labil. Er lebt von seinen verschiedenen Blickachsen. Er ist vielschichtig und vielgesichtig. Jeder Eingriff in seine Raumgestalt, jeder vor die Fassade eines umstehenden Gebäudes gepflanzte Baum, vor allem aber jegliche Art von Freizeitmöblierung, Wasserspielen und Pflanzentrögen würden ihn in seinem innersten Wesen pervertieren und seinen historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Stellenwert zutiefst missachten.

Und noch etwas: Touristinnen und Touristen aus aller Welt, die unsere Stadt nicht zuletzt deshalb besuchen, weil sie imperiale Größe und Würde erwarten, wären vor den Kopf gestoßen. Sie würden um eines der markantesten visuellen Erlebnisse ihres Wien-Besuches betrogen und wären von der Peinlichkeit eines offensichtlichen stadtplanerischen Missverständnisses gewiss "nachhaltig" irritiert. (Richard Bösel, 19.7.2023)