Die Klimakrise ist nicht das einzige globale Problem mit großer lokaler Bedeutung. Parallel findet – und das großteils unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit – eine stille Biodiversitätskrise statt. Ökosysteme schrumpfen, zigtausende Arten sterben aus oder stehen kurz davor. Doch es gibt ein weiteres Problem: Klimaschutz ist nicht automatisch Naturschutz, wie auch eine vor kurzem an der Universität für Bodenkultur Wien (Boku) veranstaltete Diskussionsrunde zeigte.

Österreichischer Staudamm in Bergmassiv.
Österreich verfügt über vergleichsweise viel Wasserkraft, die als erneuerbare Energiequelle gilt. Doch das Verbauen von Flüssen ging in den vergangenen Jahrzehnten stark zulasten der Fischbestände.
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Die angestrebte Energiewende mit dem Ausbau von Wasserkraft, Wind und Photovoltaik veranschaulicht das Dilemma Klimaschutz versus Naturschutz besonders eindrücklich. Denn einerseits hat die EU ihre Richtlinien geändert, um die Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien zu beschleunigen. Andererseits fürchten Biodiversitätsfachleute, dass dies zulasten von Ökosystemen und folglich der Artenvielfalt gehen könnte.

"Es ist wichtig, die Ausweisung von Flächen für erneuerbare Energien mit der Ausweisung von Schutzgebieten gleichzeitig anzustreben, etwa für Vogelarten", sagt Gesa Geißler vom Boku-Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung.

Sensible Standortwahl

Das trifft etwa bei Windenergieanlagen zu, die neben der starken Veränderung des Landschaftsbilds zum Verlust von Lebensräumen für Vögel und Fledermäusen führen können. "Man sieht bezüglich der Windkraft leider vielerorts Konflikte, welche sich auf lokaler Ebene entzünden", erklärt auch Geißlers Institutskollege Thomas Schauppenlehner. Die sorgfältige Auswahl der Standorte sei entscheidend, um die Auswirkungen auf die lokale Tierwelt zu minimieren.

Windpark mit vielen Rotorenblättern.
Windkraft ist für die Energiewende wichtig. Sie ist aber auch bei Naturschützerinnen und -schützern nicht unumstritten.
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Während bei Photovoltaik-Anlagen der Flächenverlust, die Veränderung des Mikroklimas und Landnutzungskonflikte für Landwirtschaft, Tourismus und Naturschutz potenzielle Streitpunkte sind, hat auch die Wasserkraft ihre Tücken.

"In Österreich gibt es diesbezüglich eine sehr intensive Nutzung und kaum noch Fließstrecken, die frei von irgendeiner Form der Beeinflussung sind", sagt Schauppenlehner. Dies stelle eine enorme Belastung für den Fischbestand da.

Ersatzlebensräume für gefährdete Arten

Als konkretes Beispiel wurde der Huchen, auch Donaulachs genannt, erwähnt. Sein Bestand ist zuletzt stark zurückgegangen, die Art kommt nur noch auf einer Strecke von 53 Kilometern vor. "Artenschutz hört leider oft an der Wasseroberfläche auf", sagt Stefan Schmutz vom Institut für Hydrobiologie an der Boku. In Österreich seien zwei Drittel der Fischarten in irgendeiner Form gefährdet.

Juristisch gesehen ist das Thema Klima- versus Naturschutz vertrackt. Selbst in Natura-2000-Gebieten, die besonderen Schutz genießen, kann eine Interessenabwägung zu Ausnahmegenehmigungen führen, etwa wenn keine Alternativlösung möglich ist. Wenn nachgewiesen wird, dass das geplante Vorhaben keine erhebliche Beeinträchtigung des ökologischen Systems zur Folge hat, kann die Genehmigung erteilt werden.

Dieselben Regelungen gelten übrigens auch außerhalb der Natura-2000-Gebiete, beispielsweise in Siedlungsgebieten. In solchen Fällen muss jedoch ein Ersatzlebensraum geschaffen werden. Die EU will zudem per Gesetzesnovelle den Bau von Windkraftanlagen erleichtern. "Laut dieser darf die Beeinträchtigung des Landschaftsbilds künftig keinen Grund mehr darstellen, um einen Bau einer Anlage zu verhindern", erklärt der Wirtschaftswissenschafter Daniel Ennöckl.

Klimakrise und Naturschutz

Dieser "erhebliche juristische Wandel" spiegle zwar die wachsende Priorität wider, die auf Klimaschutzmaßnahmen gelegt werde. Wenn bestimmte Maßnahmen zulasten des wichtigsten Verbündeten, nämlich des Naturraums und der Ökosysteme gehe, sei dies jedoch auch für die Erreichung der Klimaschutzziele der falsche Weg, warnt etwa die grüne Nationalratsabgeordnete Astrid Rössler.

Im Klimaschutzministerium ist man deshalb um eine integrative, breite Sichtweise bemüht, wie Waltraud Petek stellvertretend für das Ministerium betonte. Dafür müsse auch die Bevölkerung in den Prozess einbezogen und aufgeklärt werden, und es müsse mehr interdisziplinär und sektorübergreifend zusammengearbeitet werden. Die große Herausforderung sei, dass man bei der Bewältigung der Klimakrise gleichzeitig aber auch den Naturschutz berücksichtigen müsse. "Man kann nicht das eine auf Kosten des anderen machen", sagt Petek. (Karin Grabner, 24.7.2023)