Bruce Springsteen
Bruce Springsteen live im Wiener Ernst-Happel-Stadion: So sieht ein Mann aus, dem die Arbeit auch noch nach bald 60 Jahren im Geschäft Spaß macht.
APA/HANS KLAUS TECHT

In der vollgestopften U-Bahn zum Konzert von Bruce Springsteen im Wiener Ernst-Happel-Stadion ist schon einiges los. Ein ganz ein Lustiger fragt sich lautstark, ob er im Gedränge als "Transdschända" gerade sexuell belästigt werde. Nein, leider, Kurti, du musst auch weiterhin für körperliche Zuwendung bezahlen. Zwei andere haben sich zur Jause ihren Grünkernsalat in Pappdosen mitgenommen. Der Rest der Belegschaft vertraut auf Schwitzen, Atemnot und Blechbier. Willkommen bei Bruce Springsteen! Willkommen im prallen Leben!

Jockel

Nach knapp drei Stunden Konzertlänge wird dann ein gut gelaunter, hart arbeitender und bestens in Form befindlicher Bruce Springsteen vor 60.000 völlig zu Recht begeisterten Leuten seinen alten Hadern Glory Days von 1984 anstimmen. Die alten Zeiten waren niemals gut. Sie waren auch nicht schlecht. Die Zeiten sind, wie sie sind: "Well, time slips away and leaves you with nothing, mister, but boring stories of … glory days!" So jung wie heute kommen wir jedenfalls nicht mehr zusammen.

Ein Volksheld wird empfangen

Geschlagene elf Jahre lang hat Bruce Springsteen nicht in Wien gespielt. Seinem Status als hiesiger Volksheld hat das nicht geschadet. Im traditionell hemdsärmeligen Autoschrauber-Outfit und in rattenscharfen roten Doc Martens wird der Mann mit seinen drei Handvoll Musikern und Musikerinnen der E Street Band begeistert empfangen. Gleich zu Beginn beim Song No Surrender wird klar, warum der heute 73-Jährige aus New Jersey so vielen Menschen so viel bedeutet. Es geht in den Liedern von Bruce Springsteen nicht nur um das Aus- und Durchhalten jener engen Lebensumstände, die die Erwachsenenwelt mit voller Breitseite so zu bieten hat.

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Bruce Springsteen setzt laut dem Text von No Surrender vor allem auf die befreiende Kraft des Rock 'n' Roll. Von einem dreiminütigen Song habe er mehr für das Leben gelernt als während der gesamten Schulzeit, singt er. Okay, Schreiben, Lesen, Rechnen, ein aufsässiges Kind sein ist schon wichtig auf seine Art. Das denkt man beim Hören aber eh mit. Man dürfe sich allerdings, so unser Rock-'n'-Roll-Apostel, von den Verhältnissen, die niemals so sind, wie man es sich erhofft, nicht verbiegen oder entmutigen lassen. Wer aufhört zu träumen, der kann sich gleich die Kugel geben.

Bruce Springsteen hackt in seine über die Jahrzehnte beachtlich lädierte Fender Telecaster den nach Aufbruch und Freiheit klingenden D-Dur-Akkord. Schlagzeuger Max Weinberg, der rein äußerlich auch als Anlageberater durchgehen würde, spielt den angezogenen und durch die Bank kräftigen Herzschlag-Beat. Gitarrist Little Steven alias Steven Van Zandt reißt auf seiner Klampfe herum. Der Motor muss sich erst warmlaufen. Little Steven steht im etwas aus der Zeit gefallenen Piratenkostüm auf der Bühne.

Etwas Besseres als den Tod findest du überall

Er erinnert mit seinem spätestens seit seiner Mitwirkung in den Fernsehserien The Sopranos und Lilyhammer einzementierten, nur in Spurenelementen vorhandenen Eduard-Wallnöfer-Gedächtnislächeln, das man am kurzen Heben eines Mundwinkels im Millimeterbereich erkennt, an etwas, das im Rock 'n' Roll schon auch wichtig ist: Bei allem Glauben an bessere Zeiten, die verdammt noch einmal irgendwann kommen müssen, muss man auch ein wenig misstrauisch und widerständig sein. Sonst packen dich die Verhältnisse irgendwann am Genick: "Now young faces grow sad and old and hearts of fire grow cold / We swore blood brothers against the wind / I'm ready to grow young again."

Klimaschützerinnen werden das jetzt nicht so goutieren, aber Bruce Springsteen kommt aus einer anderen Zeit: Im Laufe des Konzerts wird sich der Benzinbruder in The Promised Landlaut Text seinen Schmerz aus dem Herzen schneiden und das Auto aus der Garage Richtung Autobahnzubringer bewegen. Wie heißt es bei den Bremer Stadtmusikanten der Gebrüder Grimm: "Etwas Besseres als den Tod findest du überall."

Bruce Springsteen geht zu den vorderen Reihen. Seine Mundharmonika verschenkt er nach dem Song vom verheißenem Land an ein glückseliges Kind. Dieses wird nun die Schule nicht abschließen, sich von den Eltern nichts mehr gefallen lassen und statt Filialleiter ein Rock 'n' Roller werden. Es ist immer auch eine Entscheidung der Erziehungsberechtigten, wenn man die lieben Kleinen auf ein Konzert mitnimmt, das einem die Freiheit verspricht. Bei der innig interpretierten und schon wieder mit Verbrennungsmotor unternommenen, eigentlich ziemlich tristen Ballade The River im Zeichen von Birth, School, Work, Death ziehen Tränen der Rührung auf. Sogar Little Steven hat mit ihnen zu kämpfen. Man erkennt das am besten daran, dass er kurz einen Mundwinkel im Millimeterbereich nach unten zieht.

Auf dem Highway ist die Hölle los

Because the Night, das Soul-Cover Nightshift von den Commodores, Darlington County, The Rising, Badlands, Thunder Road, der Abend gerät auch ganz ohne Born in the USA zum Triumphzug. Im Zugabeblock schließlich vielleicht Springsteens bestes und oktanhaltigstes Lied. Born to Run startet mit den Zeilen: "In the day we sweat it out on the streets / Of a runaway American dream / At night we ride through the mansions of glory / In suicide machines …"

Mit Dancing in the Dark und Tenth Avenue Freeze-Out geht es ins Finale. Bruce Springsteen reißt sich das Hemd auf. Wenn du sein Herz willst, dann nimm es. Akustisch solo endet mit dem Lied I'll See You in My Dreams ein großer Abend. Hoffentlich verkleben sie Bruce Springsteen auf seinem Weg zum Privatjet in Schwechat nicht die Straße. (Christian Schachinger, 19.7.2023)