Wer die Welt von jungen Wiener Youtubern und Influencerinnen betritt, wird schnell feststellen, dass dort kaum noch etwas "leiwand" ist, dafür vieles "richtig nice". Und vieles schmeckt "lecker". Das hat man zuvor meist im "Laden" gekauft, nicht im "Geschäft".

Umgekehrt wird von anderen – ebenfalls in den sozialen Medien – beklagt, dass das sogenannte österreichische Deutsch vom bundesdeutschen Deutsch verdrängt werde. Auch die inflationäre Verwendung von Anglizismen wird von vielen bedauert. Die Journalistin Claudia Zettel schrieb kürzlich auf Twitter, dass "diese ganzen Gen-Z-Menschen in der Stadt alle so reden, als würden sie am Burgtheater spielen", und bekam viel Zustimmung. Mit der Generation Z sind grob gesagt Menschen gemeint, die von 1997 bis 2012 zur Welt gekommen sind.

Junges Paar in der Wiener U-Bahn schaut aufs Handy
Sprechen junge Paare in der Wiener U-Bahn noch Wienerisch – und wenn ja, wie viele?
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Identitätsstifter

Sprache wird wohl so emotional diskutiert, weil sie unser Ausdrucksmittel ist, "um unsere Identitäten nach außen zu tragen, aber auch nach innen zu bewahren", wie die Germanistin Alexandra N. Lenz einmal zum STANDARD sagte. Fest steht: Der Sprachgebrauch unterscheidet sich zwischen den Generationen stark. Das betrifft nicht nur einzelne Wörter, sondern auch Satz- und Wortmelodien, wie Sprachforscher bestätigen. Was passiert da gerade, und wie werden wir in Österreich in naher Zukunft sprechen?

Die Wahrnehmung mancher, dass junge Menschen wie Deutsche reden, bezieht sich vor allem auf die Städte in Österreich. Warum wird dort anders gesprochen als im ländlichen Raum? "In Städten treffen unterschiedliche Personengruppen zusammen. Dadurch werden lokalsprachliche Merkmale ausgeglichen und nivelliert", sagt die Grazer Germanistin Stefanie Edler zum STANDARD.

Dialekte am Ausklingen

Die Universität Graz hat im Projekt "Stadtsprachen" die Sprachgewohnheiten in Wien und Graz sowie in je drei Gemeinden im Umland erforscht. Dafür wurde zum einen mit Menschen im Alter von 20 bis 30 Jahren gesprochen, zum anderen mit Menschen ab 65. "Die jungen Sprecher verwenden mehr Standardsprache und weniger Dialekt als die älteren Sprecher", resümiert Edler, die im Projekt mitgearbeitet hat.

Woran die Uni Graz das unter anderem festmachte? Erstens am Kasus (Fall): Die Älteren verwendeten häufiger Formulierungen wie "mit die Kinder", die Jüngeren öfter die standarddeutsche Form, also "mit den Kindern". Zweitens beim Komparativ: Die ältere Gruppe sagte im Vergleich zu den Jüngeren öfter Sätze wie "Wien ist größer wie Graz" oder "Wien ist größer als wie Graz". Drittens am Konjunktiv II: Jüngere sagten häufiger "Ich würde dorthin gehen", Ältere häufiger "Ich tät' dorthin gehen".

Edler erzählt außerdem von einer persönlichen Beobachtung bei den Befragungen: Junge Menschen in Wien und Graz "sagen häufiger als früher 'Könich' statt 'König' oder 'lustich' statt 'lustig'". In weiten Teilen Deutschlands wird die Endung "-ig" wie ein "ich" ausgesprochen, in Süddeutschland und Österreich lange nicht. Am Grazer Institut für Germanistik spricht man dennoch lieber von "Deutsch in Österreich", wie auch ein großes Forschungsprojekt heißt, als von österreichischem Deutsch. Man halte die Vorstellung für falsch, dass an der Staatsgrenze zu Deutschland ein bestimmtes Deutsch beginne oder ende, erklärt Edler.

Junge Städter können nicht switchen

Der Salzburger Linguist Hannes Scheutz beobachtet in seiner Heimatstadt starke Veränderungen in der Alltagssprache, wobei er betont, das passiere "nicht als Quantensprung, sondern in einem Kontinuum". Die Kinder in Salzburg sprächen heute "ein stark am Standarddeutsch orientiertes Deutsch mit zum Teil sogar norddeutschen Einschlägen", sagt Scheutz zum STANDARD. Sein Befund: "Die Kinder in der Stadt Salzburg sprechen durchwegs nicht dialektal. Sie sind nicht muttersprachlich 'bilingual', was mich schmerzt. Da fehlt die innere Mehrsprachigkeit." Eine Ursache dafür sei die Sprache, die in deutschen TV-Sendern, aber auch in sozialen Medien wie Youtube und Tiktok zu hören sei.

Scheutz hat sogenannte Sprachatlanten entworfen, in denen man österreichische Dialekte online anhören und vergleichen kann. Er beobachtet, dass die Dialekte erodieren, immer großräumiger werden und teilweise verschwinden. "Auch in ländlichen Gebieten, die durchwegs noch dialektfester sind, sind sehr viele 'altdialektale' Merkmale verlorengegangen. Wenn man den jüngeren Leuten in der Stadt zuhört, sind dialektale Merkmale zumeist fast vollständig verschwunden. Diese Kinder und Jugendlichen können nicht mehr zwischen Standardsprache und Dialekt switchen", sagt Scheutz. Auch in Zukunft werde es im ländlichen Raum noch Dialekte geben, aber nicht so kleinteilige.

Das Falsche kann richtig sein

Kann die Politik oder die Schule eigentlich etwas machen, um österreichische Sprachmerkmale zu bewahren? Mit Tipps für die Bildungspolitik will sich die Germanistin Edler zurückhalten, macht aber einen Vorschlag: "Man könnte im Deutschunterricht zum Beispiel darüber sprechen, welche unterschiedlichen Sprachausprägungen es im Sprachalltag gibt. Dabei kann man auch bewusst machen, dass das sprachlich Richtige nicht immer richtig ist." Wie ist das gemeint? "In manchen Situationen kann auch das Falsche richtig sein", sagt Edler. "Wenn ich zum Beispiel mit meiner Oma spreche, ist die informellere Variante vermutlich die richtigere."

In der Phonetik, der Lautlehre, beobachtet man in Österreichs Städten auch Veränderungen in der Aussprache. Im Österreichischen gebe es das stimmhafte S im Anlaut traditionell nicht, erklärt Sprachwissenschafter Scheutz. "Bei den Kindern in Salzburg hört man es in Wörtern wie 'Sonne' und 'sicher' aber mittlerweile."

Unser Sprechen in 50 Jahren

Werden die Menschen in Städten wie Wien, Graz, Linz und Salzburg in wenigen Jahrzehnten also wie Deutsche klingen? Das schließt Scheutz aus: "In 50 Jahren wird man auch noch großflächige regionale Zuordnungen vornehmen können. Man wird sehr wohl noch hören können, ob ein Mensch aus Wien oder Frankfurt kommt." In anderen Worten: Die Alltagssprache der Österreicherinnen und Österreicher in den Städten wird der Sprache der Bundesdeutschen künftig näher sein, aber sicher nicht dieselbe wie im Nachbarland. "Wenn Sie heute einen Nachrichtensprecher im Fernsehen aus Wien, Innsbruck, Saarbrücken und München vergleichen, dann werden Sie natürlich Unterschiede hören, obwohl die alle 'lupenreines' Standarddeutsch sprechen", begründet das Scheutz.

Die Entwicklung der Sprache gehe hin "zur überregionalen Vereinheitlichung mit immer noch hörbaren regionalen Einflüssen", sagt der Professor. Wer das sogenannte österreichische Deutsch bewahrt wissen will, kann sich also trösten: In unserem Sprachgebrauch ist zwar nichts safe, aber auch nicht alles lost. (Lukas Kapeller, 22.7.2023)