Migrantinnen Wien
Rund ein Drittel aller in Wien lebenden Menschen sind Migrantinnen und Migranten ohne Staatsbürgerschaft.
Heribert Corn

Das Wort "Austrotürken" gibt es im österreichischen Sprachgebrauch nicht. Das Wort "Deutschtürken" in unserem Nachbarland aber sehr wohl. Deutschtürken sind Menschen türkischer Herkunft, die sich in Deutschland eingelebt haben, dessen Werte und Gebräuche teilen, aber dennoch ihre Wurzeln nicht verleugnen und nach wie vor ihre türkische Kultur hochhalten.

Auch in den USA sind solche doppelten Identitäten gang und gäbe. Man spricht von "African Americans" und "Chinese Americans". Nicht bei uns. Hierzulande sagt man allenfalls "Österreicher mit Migrationshintergrund". Erscheinungen wie der "Verein syrischer Österreicher", gegründet von einem erfolgreichen Bauingenieur, der nebenbei auch Imam ist, bilden die Ausnahmen. Nur ja keine Doppelstaatsbürgerschaften, denn dann ist womöglich "das Herz woanders" (ÖVP-Integrationsministerin Susanne Raab).

Hier ist man entweder hundertprozentiger Österreicher oder Ausländer. Nicht leicht für Menschen, vor allem junge, die ihren Platz in der Gesellschaft suchen.

Reumannplatz

"Der Reumannplatz gehört der Türkei", sagte neulich in einem Caritas-Lerncafé im zehnten Wiener Gemeindebezirk ein Schüler, der dort mit Unterstützung von Freiwilligen seine Hausaufgaben macht.

Nein, der Reumannplatz gehört nicht der Türkei. Aber er "gehört" durchaus den Wiener Türken, die in jener Gegend die Mehrheit bilden und dort viele Läden und Lokale betreiben. Als viele von ihnen nach der türkischen Präsidentenwahl den Sieg von Recep Tayyip Erdoğan feierten, gab es darob große Aufregung, und der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer beklagte, dass in mehreren Wiener Bezirken – "leider, leider" – mehr Ausländer als Inländer wohnen. Niemand kann vernünftigerweise leugnen, dass der durch die Migration bedingte "Clash of Cultures" eine Herausforderung für die Zielländer ist. Österreich hat aufgrund seiner Vergangenheit als Vielvölkerstaat darin einige Erfahrung. Als um die vorletzte Jahrhundertwende eine Masseneinwanderung von Tschechen nach Wien einsetzte, mussten diese, so erzählten es die Alten, mit Prügeln rechnen, wenn sie auf der Straße tschechisch sprachen. Die Geschichte der Juden in Österreich ist ein Kapitel für sich. Und natürlich ist der Zuzug von Menschen aus fernen Ländern und Kulturen noch einmal schwieriger.

Das zeigen nicht zuletzt die jüngsten Unruhen in Frankreich. Trotzdem führt auf die Dauer kein Weg daran vorbei, endlich anzuerkennen, dass in Österreich wie anderswo in Europa hunderttausende Menschen leben, die zwar loyale Staatsbürger sind, ihre angestammte Kultur aber nicht total aufgeben wollen. In der kleinen Wiener Innenstadt gibt es historisch bedingt neunzehn christliche Kirchen, die meisten halb leer, im großen und stark muslimisch geprägten Favoriten aber nicht eine einzige richtige Moschee. Gebetet wird in obskuren Kellerlokalen.

Das kann nicht ewig so bleiben. An Austrotürken – und natürlich auch Austrosyrer und Austro-Afghanen – werden wir uns gewöhnen müssen. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 20.7.2023)