Alle gegen Modi – so könnte man die neue Koalition aus 26 Oppositionsparteien nennen, die sich seit einigen Wochen in Indien formt. Diese Woche fand das zweite große Treffen der Allianz statt, die im nächsten Jahr verhindern will, dass Premierminister Narendra Modi eine dritte Amtsperiode regieren darf. Wie schwer das wird, davon zeugt die Natur der Allianz selbst: Unter den 26 Partien finden sich so unterschiedliche Kräfte wie die Traditionspartei Indian Congress, das westbengalische Schwergewicht Trinamool Congress, die Kommunistische Partei Indiens – aber auch die ultrarechte Shiv-Sena-Partei aus Maharashtra.

Das Treffen in Bengaluru im südindischen Karnataka war gut besucht. Mamata Banarjee, Rahul Gandhi, Mallikarjun Kharge – die wichtigsten Oppositionsführer und -führerinnen Indiens waren anwesend.
Das Treffen in Bengaluru im südindischen Karnataka war gut besucht. Mamata Banarjee, Rahul Gandhi, Mallikarjun Kharge – die wichtigsten Oppositionsführer und -führerinnen Indiens waren anwesend.
EPA/JAGADEESH NV

Man sei zusammengekommen, um "Hass und Gewalt, die gegen Minderheiten fabriziert wird", zu vernichten, hieß es in einem gemeinsamen Dokument der Allianz. Es gehe darum , "die Demokratie zu retten", gab wiederum Kongress-Präsident Mallikarjun Kharge gegenüber Journalisten an. Dessen Parteikollege Rahul Gandhi aus der Politdynastie Gandhi/Nehru muss sich gerade gegen die Versuche, die Opposition mundtot zu machen, behaupten: Ein indisches Gericht hatte ihn im März in erster Instanz wegen Verleumdung verurteilt, er hat den Namen "Modi" beleidigt. Als Abgeordneter ist er daher suspendiert, er legte aber Berufung ein.

Für viele ist der Fall beispielhaft für die wachsende Repression von kritischen Stimmen im Land unter der seit 2014 andauernden BJP-Regierung – sowohl aus der politischen Opposition, den Medien als auch der Zivilgesellschaft. Minderheiten klagen über zunehmende Unterdrückung und Verdrängung ihrer Interessen. Insgesamt fährt dieBJP unter Modi allerdings seit mittlerweile neun Jahrenmit ihren hindunationalistischen Ansätzen einen äußerst erfolgreichen Kurs – unter anderem auch durch eine gut geölte Medienmaschinerie von Message-Control. Als sich Modi 2019 der Wiederwahl stellte, konnte er gar die absolute Mehrheit von 303 von 543 Sitzen im Parlament erringen.

Schulterschluss mit den Ultrarechten

Für Parlamentswahlen Allianzen zu bilden gehört in Indien zur politischen Praxis. Auch die BJP tritt in der Allianz der NDA (National Democratic Alliance) an, der aber neben der BJP nur kleine Regionalparteien angehören. So ist die neue Allianz der Opposition der bisher breiteste Versuch, sich gegen die weitere "BJPifizierung" Indiens zu stemmen. Da kommt es gar zum Schulterschluss zwischen der Kommunistischen Partei Indiens und der rechtsreligiösen Shiv-Sena-Partei aus Maharashtra: Nach einer Parteiteilung 2022 ist der eine Flügel des ultrarechten Schreckgespensts für viele heute im Vergleich zu BJP fast schon moderat. Shiv-Sena-Vertreter Aaditya Thackeray twitterte: "Alle wichtigen Partien Indiens haben sich gegen die in Delhi vereint, die die Demokratie in Indien beenden wollen und einen Diktator bringen wollen." Die Allianz sei ein oppositioneller "Donnerkeil", um die Einheit und Souveränität Indiens zu erhalten, erwähnte er in einem anderen Beitrag in Anspielung auf hinduistische Symbole.

Dass es bei einem so breiten politischen Spektrum auch zu Reibereien kommt, zeigte sich schon bei den Gründungstreffen. So war die Namensfindung der Allianz nicht ganz konfliktfrei. Durchsetzen konnten sich die Verfechter des Namens "India", der für "Indian National Developmental Inclusive Alliance" steht. Der Chief Minister des nördlichen Bundesstaates Bihar, Nitish Kumar, hatteMedienberichten zufolgezu bedenken gegeben, dass dies zu sehr wie "NDA" klingen würde. Am Ende konnten sich Gandhi (Congress) und Mamata Banerjee (Trinamool Congress) durchsetzen.

Hinter der Chose stecken allerdings Machtkämpfe, die sich über die kommenden Monate mit zunehmender Intensität des Wahlkampfs wohl verstärken werden. Doch den oppositionellen politischen Gegnern ist gleichzeitig klar: Ohne die Allianz haben die Partien so gut wie keine Chance, gegen Modi zu gewinnen – auch wenn manche von ihnen in den vergangenen Monaten regionale Erfolge erzielen konnten.

Frauen in Manipur nackt durch Dorf gezerrt

Aktuell versuchen Modis Herausforderer, die furchtbaren Gewaltausbrüche im nordöstlichen Bundesstaat Manipur öffentlichkeitswirksam gegen die Regierung auszuspielen. Congress-Präsident Kharge etwa beschuldigte die Modi-Regierung am Donnerstag, aus einer Demokratie eine "Mobokratie" zu machen. Er spielt damit darauf an, dass in dem abgelegenen Bundesstaat an der burmesischen Grenze seit Wochen Mobs für bürgerkriegsähnliche Zustände sorgen: Ein Konflikt zwischen zwei ethnischen Clans ist dort seit Anfang Mai vollkommen eskaliert. Am Donnerstag tauchte ein grauenvolles Video online auf, auf dem zu sehen ist, wie zwei Frauen nackt durch ein Dorf gezerrt werden. Es war das erste Mal seit Anfang Mai, dass sich Modi zu den Gewaltausbrüchen öffentlich äußerte: Die Vorfälle seien "beschämend", sagte er am Donnerstag und kündigte harte Maßnahmen an. Bisher sind dort mindestens 125 Menschen gestorben.

Nach über zwei Monaten spricht Premierminister Narendra Modi erstmals über die Gewalt in Manipur – auch er bringt sich für die Wahlen im nächsten Jahr in Stellung.
Nach über zwei Monaten spricht Premierminister Narendra Modi erstmals über die Gewalt in Manipur – auch er bringt sich für die Wahlen im nächsten Jahr in Stellung.
IMAGO/Ravi Batra

Modi tat die neue Oppositionsallianz wiederum als "Hardcore-Korruptionstagung" ab. Allianzen, die "auf Negativität gebaut sind, haben noch nie gewonnen", sagte er am Dienstag. Wie es mit der Allianz weitergeht, ist noch nicht bekannt. Das nächste Treffen soll von Shiv Sena in Maharashtra ausgerichtet werden. Neben dem Namen konnte man sich bisher auch auf einen Slogan einigen: "Jeetega Bharat", was so viel heißt wie "Indien wird gewinnen". (Anna Sawerthal, 20.7.2023)