Die von Friedensreich Hundertwasser behübschte Müllverbrennungsanlage in Wien-Spittelau.
Weißer Rauch für neue Strom- und Fernwärmetarife – oder doch heiße Luft? Den neuen Stromtarifen von Wien Energie fehlt es an Transparenz und Vergleichbarkeit.
Imago Images / Volker Preußer

Wien – Nach dem Chaos im Vorjahr, als hunderttausende Haushaltskunden von Wien Energie mehr oder weniger unsanft in neue, teurere Strom- und Gastarife verfrachtet wurden, sorgt der Versorger der Bundeshauptstadt erneut für Verwirrung. Ebendiesen in das Tarifmodell "Optima entspannt" migrierten Verbrauchern bietet der städtische Versorger nun ein neues, billigeres Tarifmodell gleichen Namens an.

Mit dem beworbenen Verbrauchspreis von 20,28 Cent pro Kilowattstunde brutto, also inklusive Umsatzsteuer und sechs Prozent Gebrauchsabgabe (in Wien), klingt das neue Entgelt tatsächlich nicht unattraktiv. Ein Blick aufs Kleingedruckte lohnt allerdings, denn auch das neue Strompreisangebot von Österreichs größtem Versorger enthält einige Besonderheiten. Und vor allem: Es ist für den gemeinen Verbraucher alles andere als einfach nachvollziehbar, wie sich in der Jahresabrechnung zu erwartende Preis zusammensetzt. Die in Aussicht gestellten 30 Prozent Ersparnis bei Strom für einen durchschnittlichen Haushalt, mit denen der Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien wirbt, bleiben eine Fiktion.

Tarifvergleich
Wien-Energie-Preisvergleich Tarif "Optima entspannt" 2022 und 2023
DER STANDARD

Ein Blick in das zum neuen "Optima entspannt" gehörige, auf der Wien-Energie-Website gut versteckte "Informations- und Preisblatt Privatkunden" offenbart, dass sich die in stadteigenen Werbebroschüren als Entlastung gepriesene Tarifsenkung erst nach Abzug aller Rabatte, Boni und Gratisstromtage (an denen kein Verbrauchspreis verrechnet wird), einstellt. Der standardmäßige Verbrauchspreis "Öko" laut Liste ist mit 33,26 Cent (netto) pro Kilowattstunde (kWh) nämlich um 46 Prozent höher als der im September 2022 eingeführte Tarif (siehe Tabelle). Inklusive Umsatzsteuer und Gebrauchsabgabe kostet die Kilowattstunde schlanke 42,30 Cent.

Fiktiver Gratis-Energie-Tag

Die eingangs erwähnten 20,28 Cent pro Kilowattstunde hingegen finden sich in keinem Preisblatt explizit ausgewiesen, sondern lediglich in dem auf der Website von Wien Energie veröffentlichten Preisbeispiel. Dieses Entgelt kommt nur durch diverse Rabatte wie Frei-Energie-Tage zustande. Es ist somit ein fiktiver Preis, der dadurch entsteht, dass der städtische Versorger pro Vertragsjahr 190 Gratis-Energie-Tage gewährt, die bei einjähriger Bindung zu einer kräftigen Absenkung des letztlich zu zahlenden Verbrauchspreises führen.

Diese Gratis-Energie-Tage, auch Bonus genannt, senken nicht nur den Verbrauchs- bzw. Arbeitspreis erheblich, sondern auch den sogenannten Grundpreis. Auch dieser einmal pro Jahr fällige und mit der Telefonanschluss-Grundgebühr vergleichbare Fixpreis wurde gegenüber dem Vorjahr kräftig erhöht, er beträgt mit 50 Euro brutto (40 Euro netto) um 151 Prozent mehr als im derzeit noch laufenden "Optima entspannt" von September 2022. Dank Frei-Energie-Tagen reduziere sich dieser Grundpreis auf 24,39 Euro, betont eine Sprecherin von Wien Energie.

Staatliche Stütze

Mit den wenigen anderen, österreichweit anbietenden Stromanbietern mithalten kann der neue "Optima entspannt" vor allem aufgrund eines Umstands: der Stromkostenbremse (gemäß Stromkostenzuschussgesetz) . Diese staatliche Zuwendung senkt den Strompreis auf zehn Cent pro Kilowattstunde (netto) ab. Das senkt in der von Wien Energie publizierten Modellrechnung die bereits rabattierte Jahresstromkosten von 430,09 Euro um 138 Euro. Zuzüglich der Netzgebühren und Abgaben komme mit Gesamtkosten von 515 Euro ein überaus attraktiver Strompreis heraus, ist man bei Wien Energie überzeugt. Unterm Strich ergibt dies bei einem Jahresverbrauch von 2000 Kilowattstunden rechnerisch Jahresstromkosten von 430 Euro pro Jahr, rechnet man vor.

Nach- oder Vorausberechnen der in zwölf Monaten zu erwartenden Elektrizitätskosten lässt sich dies pro Haushalt kaum. Denn der neue "Optima entspannt", dessen Vorgängermodell samt Umstiegsmodalitäten auf Klage des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) noch immer das Handelsgericht Wien beschäftigt, ist nicht transparenter als das Vorgängertarifmodell, bei dem ebenfalls mit Bonus, Rabatten und Strompreisbremse operiert wurde. Denn was die 190 Gratis-Energie-Tage konkret an Ersparnis in Geld bringen, ist nicht ersichtlich. Es lässt sich auch nicht errechnen.

Rabatt im Rückblick

Denn der Wert dieser Gratis-Energie-Tage steht erst bei der Jahresabrechnung fest. Der Wert eines Frei-Energie-Tages ergibt sich aus der Division des Energiepreises pro Vertragsjahr durch 365 Tage und ist somit verbrauchsabhängig, er beträgt laut Angaben auf dem Preisblatt aber mindestens 25 Cent (exkl. USt.) für 365 Tage pro Zählpunkt, heißt es in den Fußnoten des Angebots. Bei einem Verbrauch von 1.662 Kilowattstunden zwischen 30. September 2022 und 24. Mai 2023 und einem Verbrauchspreis von 22,7 Cent pro Kilowattstunde war das Energie im Wert von 106 Euro netto.

In der Praxis ist das mit den Gratis-Energie-Tagen übrigens noch etwas komplizierter, denn die Bonustage sind nicht gleich viel wert. Aus einer Jahresabrechnung aus dem Mai 2023 erschließt sich, dass der Geldwert des Frei-Energie-Aktionsrabatts höchst unterschiedlich sein kann. Die 100 Tage, die für die 60 Tage von 30. September bis 30. November 2022 gewährt wurden, brachten netto 26 Euro an Ersparnis, die weiteren hundert Aktionstage im Zeitraum 1. Dezember 2022 bis 24. Mai 2023 (174 Wochentage) hingegen in Summe nur 80 Euro (netto), Das lässt man bei Wien Energie nicht gelten, Das Ergebnis sei über den gesamten Zeitraum gerechnet dasselbe, wird betont.

Preissenkung statt Rabatt

Wiewohl rechtmäßig und zulässig, befindet man bei der Energie-Regulierungsbehörde E-Control Preismodelle mit diversen Boni und Rabatten grundsätzlich als nicht transparent und somit für den Endkunden auch nicht vorteilhaft. Auf welche Entgelte konkret Rabatte gewährt würden und wie lang diese gelten, sei für die Verbraucherinnen und Verbraucher meist kaum zu durchschauen, sagt E-Control Vorstand Alfons Haber. "Energie ist ein kostbares Gut, deshalb brauchen wir Preistransparenz", appelliert Haber im Gespräch mit dem STANDARD an die Versorger.

Ist neue Tarif nun preisgünstig, wie Wien Energie betont – um zugleich für einen raschen Tarifabschluss zu werben –, oder doch nicht so billig? Möglicherweise nicht so billig, wie der Strompreis aufgrund der gesunkenen Großhandelspreise sein könnte. Denn gedrückt wird der Preis durch die Stromkostenbremse des Bundes. Sie garantiert den Verbrauchern die oben genannten zehn Cent netto pro Kilowattstunde – und den Versorgern höhere Preise und damit höhere Margen. Denn alles, was beim Preis der Kilowattstunde zehn Cent übersteigt, zahlt der Bund. Ein Anreiz, die Preise weiter zu senken, ist diese Zuzahlung mit Sicherheit nicht. Im Gegenteil: Energiekonzerne würden sich geradezu selbst schädigen, wenn sie Elektrizität billiger verkaufen würden, denn diese Aufgabe übernimmt ja der Bund.

Die Zeit nach dem Zuschuss

Der neue "Optima entspannt"-Listenpreis ist teurer als vor einem Jahr, räumt Wien-Energie-Sprecherin Lisa Grohs auf Nachfrage ein. Aber er sei niedriger als noch im zweiten Quartal 2023. "Sowohl der österreichische Strompreisindex (ÖSPI) als auch der Verbraucherpreisindex sind im Vergleich zum Juli 2022 gestiegen. Der ÖSPI ist der marktnäheste Index, den es aktuell in Österreich gibt." Allerdings sei der Strompreisindex sehr träge, spiegle Preisschwankungen nur sehr zeitverzögert wider, sagen Energieexperten und Wirtschaftsforscher. Deshalb sollten Kunden möglichst oft den Anbieter wechseln, das belebe den Wettbewerb zwischen den Anbietern und deren Preisgestaltung.

Einen Wermutstropfen enthält das neue Tarifmodell übrigens: die zwölfmonatige Bindungsfrist, in der der rabbattierte Strompreis garantiert ist. Je nach Zeitpunkt der Jahresabrechnung kann diese Bindung allerdings dazu führen, dass die Stromkostenbremse nicht mehr wirkt, denn dieser Zuschuss läuft Ende Juni 2024 aus. Wer dann ab Juli 2024 noch an "Optima entspannt" gebunden ist, zahlt deutlich mehr, nämlich die 33 Cent pro kWh (netto), die ohne Rabatte und Zwölfmonatsbindung jetzt schon gelten. Oder mehr, denn an bestimmten Stichtagen wie bei Wien Energie der 1. Juli dürfen Versorger ihre Tarife anheben.

Mit oder ohne Bindung?

Mit zehn Euro netto zusätzlich lässt sich die Zwölfmonatsbindung übrigens aufweichen. Um 50 Euro netto Grundpreis erhält man den Strom im neuen "Optima entspannt" einmalig ohne Bindung auf zwölf Monate. Allerdings gewährt der städtische Versorger bei dieser Option nur 135 Tage Frei-Energie statt 190. Der Tarif von 20,58 Cent pro Kilowattstunde ist damit nicht mehr erreichbar.

Wer auf 100 Prozent Ökostrom keinen Wert legt, kann für den billigeren "Basismix" optieren. Dieser Basismix kostet laut Preisblatt 33,06 Cent pro Kilowattstunde (statt 33,26 Cent im Öko-Modell; beides Nettopreise). Das gilt umgekehrt natürlich auch: "Wer im dritten Quartal 2022 'Optima entspannt' abgeschlossen hat und das neue Angebot nicht annimmt, zahlt nach Ablauf der Preisgarantie 33,26 Cent", sagt die Wien-Energie-Sprecherin. "Eine Vertragsbindung besteht nicht mehr." (Luise Ungerboeck, 26.7.2022)