Eine Siedlung mit Neubauwohnungen, die einen bezugsfertig, die anderen noch als Rohbau mit Kränen davor.
Es wurde schon einmal mehr gebaut, das hat auch mit den gestiegenen Kosten zu tun.
imago images/Sven Simon

Nach einem enorm langen Höhenflug ist der Immobilienboom zu Ende. Kritiker geben den seit dem Vorjahr strengeren Vergaberichtlinien für Kredite die Schuld, Immobilien seien seither kaum mehr leistbar.

Frage: Die Debatten über die Vergabe von Immobilienkrediten reißen nicht ab. Was ist das Problem?

Antwort: Vergangenen August führten Österreichs Aufsichtsbehörden deutlich strengere Vergaberichtlinien für Immobilienkredite, bekannt unter der sperrigen Abkürzung KIM-VO, ein. Damit wurde die Finanzierung eines Immobilienkredits für viele schwieriger oder gar unmöglich. Und das trotz guten Einkommens. Auf dem Markt macht sich das bemerkbar: Seit Sommer 2022 ist das monatliche Neugeschäft bei Wohnkrediten von mehr als drei Milliarden Euro auf nur 900 Millionen Euro im April eingebrochen.

Frage: Was besagt die Verordnung?

Antwort: Die Verschärfung der Vergaberichtlinien vor einem Jahr durch die KIM-VO hatte strengere Regeln bei der Maximallaufzeit zur Folge. Ein Kredit muss innerhalb von 35 Jahren zurückgezahlt werden. Dazu muss der Eigenmittelanteil mindestens 20 Prozent der Kreditsumme ausmachen. Und die Rückzahlungsrate darf maximal 40 Prozent des verfügbaren Nettoeinkommens ausmachen. Davor war das alles lockerer.

Frage: Wie kam es überhaupt zu dieser Neuregelung?

Antwort: Die durch die enorm tiefen Zinsen angetriebenen Immobilienpreise sind in lichte Höhen geschossen – speziell auch in Österreich. Dazu kommt, dass die Europäische Zentralbank im Kampf gegen die galoppierende Teuerung eine geldpolitische Kehrtwende um 180 Grad vollzogen hat. Der Leitzins kletterte binnen eines Jahres von null auf vier Prozent, Tendenz steigend – das erhöht die Kreditkosten enorm.

Frage: Was ist das Ziel der Regeln?

Antwort: Haushalte sollen sich ihre Kredite leisten und zurückzahlen können, damit sich in den Bilanzen der Banken notleidende Kredite nicht häufen. Zudem drohten die Immobilienpreise nach dem langen Höhenflug seit der Finanzkrise, angetrieben durch immer tiefere Zinsen, bereits zu überhitzen. Es drohte eine Preisblase, deren Platzen zu schweren Verwerfungen führen kann. Zur Erinnerung: Die globale Finanzkrise 2008 und 2009 wurde ursprünglich durch eine Preisblase am US-Häusermarkt nach einer Niedrigzinsphase ausgelöst.

Frage: Wer ist für die neuen Regeln verantwortlich?

Antwort: Das Finanzmarktstabilitätsgremium (FMSG), in dem das Finanzministerium neben Mitgliedern aus der Finanzmarktaufsicht (FMA), OeNB und Fiskalrat die Mehrheit hat, warnt schon seit Jahren vor dem wachsenden Risiko aus den Immokreditvergaben. 2018 legte es Vorgaben fest, die Banken dürften sie vergleichsweise locker genommen haben. Im März 2022 hat das Gremium eine bereits 2021 angekündigte Empfehlung ausgesprochen. Die FMA war für die rechtliche Umsetzung verantwortlich.

Frage: Woher weht nun der Wind bei der neu aufflammenden Debatte?

Antwort: Banken müssen auf gewisse Kreditgeschäfte verzichten. Auch die Bauwirtschaft ist betroffen. Werden weniger Eigenheime finanziert, wird weniger gebaut. Dazu kommen politische Zwischenrufe. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat wiederholt die FMA wegen der strengeren Vergaberichtlinien attackiert. Würde man die Verordnung kippen, hätte man aber möglicherweise die Rating-Agenturen am Hals. So hat etwa S&P klargemacht, dass Österreichs Rating auch an der KIM-VO hängt. Eine Herabstufung würde die Republik Milliarden kosten.

Ein Sparschwein steht neben drei kleinen Modellhäuschen aus Holz.
Nicht nur das Bauen wurde deutlich teurer, auch die Finanzierung wurde an strengere Bedingungen geknüpft.
IMAGO/Steinach

Frage: Wurden die Vorgaben nicht ohnehin schon etwas gelockert?

Antwort: Es gab minimale Erleichterungen. Zwischenfinanzierungen im Rahmen von zwei Jahren wurden ausgenommen, und die Geringfügigkeitsgrenze von 50.000 Euro, ab der die Regeln der Verordnung zum Tragen kommen, stieg in einer Partnerschaft auf 100.000 Euro.

Frage: Wie hat sich der Markt für Wohnimmobilien seit der Einführung der KIM-VO Anfang August 2022 entwickelt?

Antwort: Da im Monat zuvor die EZB erstmals seit elf Jahren die Leitzinsen angehoben hatte und damit Finanzierungen verteuerte, ist der jahrelange Boom der Immobilienpreise abrupt abgerissen. Doch der Markt hat dies bisher relativ gut verkraftet – zumindest was die Preisentwicklung betrifft. Zwar wurde im Schlussquartal 2022 mit minus 1,9 Prozent der stärkste Rückgang seit 2011 verzeichnet, jedoch hat sich der Markt heuer wieder weitgehend gefangen. Nach einem Rückgang um 0,4 Prozent im ersten Quartal sanken die Preise im zweiten Quartal nur noch um 0,2 Prozent – sie stagnierten also beinahe.

Frage: Wie wird sich der Markt weiterentwickeln?

Antwort: Verglichen mit dem vorherigen Höhenflug haben die Preise nur wenig korrigiert, wie auch die Experten von Raiffeisen Research betonen: Das seit dem ersten Quartal 2020, also zu Beginn der Corona-Pandemie, verzeichnete Preisplus beläuft sich ihnen zufolge trotz der jüngsten Rückgänge immer noch auf 29 Prozent. "Umso mehr gilt daher, dass Wohneigentum auch nach der laufenden Konsolidierungsphase deutlich teurer bleiben wird als vor der Pandemie", heißt es dazu.

Frage: Die Preise entwickeln sich also recht stabil. Warum steht dann die KIM-VO in der Kritik?

Antwort: Wesentlich mehr Bewegung nach unten gab es bei der Anzahl der Transaktionen. Im ersten Quartal wechselten Eurostat zufolge um 27 Prozent weniger Wohnimmobilien den Besitzer als im Vorjahresquartal. "Der Markt befindet sich also in einer Findungsphase, in der die Preisvorstellungen von Käufern und Verkäufern auseinanderklaffen und daher weniger Transaktionen zustande kommen", meinen die Raiffeisen-Experten.

Frage: Bleiben also Wohnimmobilien wegen der KIM-VO weiterhin kaum erschwinglich? Besonders am geforderten 20-prozentigen Eigenmittelanteil scheitert es oft.

Antwort: Entscheidend ist nicht die nominale Preisentwicklung der Immobilien, sondern die reale, also abzüglich Inflation. Auch wenn die Preise leicht fallen oder fast stagnieren, werden sie real wegen der extrem hohen Teuerung signifikant günstiger. Arbeitnehmende erhalten die Inflation aber als Lohnerhöhungen abgegolten, wodurch Häuser und Wohnungen für sie erschwinglicher werden. Raiffeisen Research rechnet ausgehend vom Preishoch mit einem realen Wertverlust von insgesamt 20 Prozent.

Frage: Kann die Bank zusätzliche Sicherheiten verlangen, sollte der Wert einer Immobilie stark sinken?

Antwort: Solange die Kreditraten pünktlich bezahlt werden, brauchen Privatpersonen dies einem Experten zufolge nicht zu befürchten. (Regina Bruckner, Alexander Hahn, 20.7.2023)