Die Lage gefällt, Verkehrsanbindung und Infrastruktur passen und ein kleiner Garten – nach längerem Suchen hat eine glücklich wirkende Jungfamilie ihre Traumimmobilie gefunden. Sichtlich länger werden die Gesichter der Eltern während des Finanzierungsgesprächs in der Bank: Kein Kredit, heißt es dort. Trotz guten Einkommens geht es sich finanziell einfach nicht aus. Das ist kein Einzelfall, wie auch die Zahlen belegen: Seit vergangenem Sommer ist das monatliche Neugeschäft bei Wohnkrediten von mehr als drei Milliarden Euro auf nur noch 900 Millionen Euro im April eingebrochen.

Ein neues Zweifamilienhaus vor blauem Himmel.
Für viele Jungfamilien endet der Traum vom Wohneigentum beim Bankberater – es geht sich finanziell einfach nicht aus. Aber bedeutet das auch, dass es die Elterngeneration in den 1900ern einfacher hatte?
IMAGO/U. J. Alexander

Die Zeitspanne ist nicht zufällig gewählt, denn vergangenen August führten Österreichs Aufsichtsbehörden deutlich strengere Vergaberichtlinien für Immobilienkredite, bekannt unter der etwas sperrigen Abkürzung Kim-Vo, ein. Offenbar waren die durch enorm tiefe Zinsen angetriebenen Immobilienpreise in zu luftige Höhen geschossen. Zudem legte die Europäische Zentralbank (EZB) binnen eines Jahres das geldpolitische Ruder so rasch wie noch nie um, da sie zuvor die Inflation unterschätzt hatte: Als Folge schoss der Leitzins binnen eines Jahres von null auf vier Prozent, Tendenz steigend – das erhöht auch die Kreditkosten enorm.

Mehr als 60 Jahre Arbeit

Ist das für Jungfamilien wirklich kaum mehr zu stemmen? Gemäß dem gewerkschaftsnahen Momentum-Institut sind die Preise für Wohnimmobilien von 2010 bis 2022 in Österreich im Mittel um 116 Prozent angestiegen, haben sich also mehr als verdoppelt. Dem stehe jedoch nur eine durchschnittliche Lohnsteigerung von 32 Prozent gegenüber. Das Institut rechnet vor: Wenn eine Person etwa 2.900 Euro im Jahr wegsparen kann, würde es bei zwei Prozent Zinsen 62 Jahre dauern, bis sie eine Immobilie mit 80 Quadratmetern um etwa 350.000 Euro kaufen könnte. 

Aber war es für vorangegangene Generationen wirklich einfacher, sich Wohneigentum zu leisten? Oder standen die Eltern damals in den 1990ern vor ähnlichen Problemen wie Jungfamilien heute?

Äpfel mit Birnen

Ein Grundproblem besteht darin, einen gewissen Zeitpunkt wie heute mit der Zeitspanne eines Jahrzehnts wie den 1990ern zu vergleichen. Aber eines ist klar: Nach dem langen Boom seit der Finanzkrise sind die Preise hoch und die Zinsen deutlich gestiegen. Für einen Häuser- oder Wohnungskauf ist es Mitte 2023 "nicht die beste Zeit", meint WU-Professor Gunther Maier. "Es ist aber auch am Immobilienmarkt so, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen", ergänzt er. Die Verschärfung der Kreditvergabe sei "dringend notwendig" gewesen, da es die Gefahr einer Blasenbildung gegeben habe. Für die Zukunft erwartet er entweder eine Fortsetzung der Preiskorrektur nach unten oder zumindest länger stagnierende Preise.

Ein Blick auf die 1990er-Jahre zeigt: Auch zu deren Beginn waren Wohnungen und Häuser teuer, die Zinsen hoch. Es folgte aber eine Seitwärtsbewegung der Preise bis Mitte der 2000er-Jahre bei gleichzeitig tendenziell sinkendem Zinsniveau und steigenden Einkommen – sprich, ein Immobilienkauf war zu Beginn des Jahrzehnts auch sehr schwer zu stemmen, es wurde dann aber von Jahr zu Jahr leichter. Das arbeitgebernahe Institut Agenda Austria zeigte unlängst in einer Statistik, dass die hohen Immobilienpreise und gestiegenen Zinsen derzeit dafür sorgen, dass ein Wohnungskauf wieder so teuer ist wie 1996. Davor war es also noch schwerer als heute und erst danach tatsächlich etwas einfacher.

Viel höhere Zinsen

Es gibt aber einen Unterschied zu damals, es mussten viel höhere Zinsen gestemmt werden: "In den 1990er-Jahren waren die Zinsen bei neun Prozent, also um ein Vielfaches höher", sagt Philipp Schroefl. Er leitet bei der Raiffeisen Stadtbank Wien das Regionalzentrum Döbling und berichtet, dass ein Fixzinskredit über 400.000 Euro auf 30 Jahre derzeit ab 3,9 Prozent zu haben sei. Dennoch betont er: "Kunden brauchen heute 20 Prozent Eigenmittelanteil, das ist für Jungfamilien kaum zu leisten." Selbst wenn das Einkommen für die Zinsbelastung ausreichen würde, sei es wegen der hohen Mieten derzeit auch schwierig, die nötigen Eigenmittel anzusparen.

Gestiegen sind seit den 1990ern Schroefl zufolge allerdings die Anforderungen an die eigene Wohnimmobilie. Sprich, sie soll mehr Platz bieten und über bessere Sanitäreinrichtungen verfügen. Auch WU-Professor Maier sagt über den heutigen Flächenbedarf: "Da sind die Ansprüche schon höher geworden." Klar ist, dass dadurch auch die Anschaffungskosten einer Immobilie steigen – was deren Erwerb für Jungfamilien heute weniger leicht erschwinglich macht.

Schwierige Situation

Raiffeisen-Experte Schroefl will sich nicht festlegen, ob ein Immobilienkauf derzeit schwieriger ist als früher – zu viele Faktoren hätten sich geändert, was sich nicht über einen Kamm scheren lasse. Sein Fazit lautet: "Ich denke, dass wir im Jahr 2023 eine Situation haben, in der es schon schwierig ist. Es geht sich bei vielen Kunden nicht mehr aus." Besonders der durch die Kim-Vo erhöhte Eigenmittelanteil mache potenzieller Kundschaft schwer zu schaffen.

War es also in den 1990ern leichter? "Nein, sicher nicht", sagt WU-Professor Maier. Warum diese Annahme dennoch durch die Welt geistert, hat für ihn mehrere Gründe: einerseits eine verzerrte Wahrnehmung junger Erwachsener des heutigen Zinsniveaus, die bis ins Vorjahr nichts anderes kennengelernt hätten als die Tief- samt der jahrelangen Nullzinsphase der EZB. Zudem machten die höheren Ansprüche heutiger Jungfamilien den Kauf teurer. Berichte über eine angebliche Unleistbarkeit von Wohnimmobilien führt er aber auch "zu 50 Prozent auf zielgerichtetes Jammern" jener zurück, die zuvor vom Immobilienboom profitiert hätten und denen nun die Kim-Vo ein Dorn im Auge sei. "Früher war es auch nicht so einfach", fasst Maier zusammen. (Alexander Hahn, 7.7.2023)