Toni Innauer kommt in Rot. Aber sowas von knallrot ist das Hemd, das der ehemalige Skispringer und Sportdirektor heute zum gemeinsamen Fliegenfischen trägt. Ein Scherz, oder? Ein Jäger – selbst einer am Wasser – muss sich doch tarnen! Der Fisch sieht ihn doch sonst aus meterweiter Entfernung und sucht das Weite. Ein Fauxpas? Keineswegs. Dem Fischauge sagt man nämlich Farbenblindheit nach. Ob das stimmt, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen, schließlich können Fische sehr vieles, aber nicht sprechen, zumindest nicht so, dass Menschen sie verstehen. Deshalb einigt man sich darauf: Den Fischen ist der modische Akzent des Toni Innauer egal. Im Schwarz-Weiß-Sehen unterscheiden die Tiere mit ziemlicher Sicherheit nur hell und dunkel, das Innauer’sche Rot identifizieren sie wahrscheinlich als halbdunkel. Aber was weiß man schon.

Ambitioniertes Unterfangen

Toni Innauer weiß das natürlich. Der einstige Überflieger hat es in der Disziplin dank jahrelangen Trainings zur Meisterschaft gebracht. Ich bin vor Ort im Bregenzerwald und will lernen. Diesen Tag habe ich mir gewünscht. Fliegenfischen mit einem Idol von früher und heute: "Wollen Sie mit mir an der Bregenzer Ache fischen gehen?", habe ich gefragt. Toni Innauer wollte und ist gekommen.

Wir treffen uns in der Früh gleich am Fluss, und natürlich bin ich aufgeregt. "Können wir Du sagen?", fragt er zur Begrüßung, und nachdem ich zu verstehen gebe, dass ich mit meinen Ländle-Wurzeln Vorarlbergerisch zwar nicht gut "rädo", aber doch verstehen kann, ist das Eis schnell gebrochen.

Meister seines Fachs: Fliegenfischen mit Toni Innauer an der Bregenzer Ache.
Fliegenfischen mit Toni Innauer.
Meister seines Fachs: Fliegenfischen mit Toni Innauer an der Bregenzer Ache.
Claus Elmenreich

Die Bregenzer Ache zu befischen ist "ein ambitioniertes Unterfangen", sagt Innauer. Der Fluss entspringt an der Ostflanke der Mohnenfluh oberhalb von Schröcken auf 2400 Meter Seehöhe. Auf 67 Kilometern fließt er durch das ganze Tal des Bregenzerwaldes und mündet schließlich in Bregenz in den Bodensee. Ambitioniert deshalb, weil die Ache, anders als viele andere Bäche in Österreich, kaum mit gezüchteten Fischen besetzt wird. In Teichen gezüchtete Fische sind durch ihre künstliche Umgebung naturfremd und schnappen nach allem, was ihnen vor die Nase kommt. Was wiederum dem Fliegenfischer, der -fischerin zu schnellen Fangerlebnissen verhilft, einem wie dem Toni natürlich nicht genug ist. Der will den in der Natur gewachsenen Fisch, der sich den Umständen anpasst und sich nicht so leicht erwischen lässt – wild, echt, archaisch.

Gute Chancen auf einen Fang

Heute stehen die Chancen aber ganz gut, einen solchen Fang zu machen. Sagt jedenfalls Claus Elmenreich, und er weiß das. Der Guide begleitet uns an diesem Tag, der Bregenzerwälder kennt das Gewässer wie kein anderer. Das Wetter ist strahlend, die Regenfälle der vergangenen Wochen sind abgeklungen, wir schmeißen uns in die Montur – Wathose und Watschuhe, Fünferrute. Fliegen sind am Wasser noch keine zu sehen, wir probieren es trotzdem gleich einmal mit einer Sedge – Köcherfliege, großes Exemplar. Der Fisch soll im sprudelnden Gebirgsbach schließlich sehen, wonach er schnappt.

Erste Würfe weisen Toni als den Stilisten aus, der er schon als Skispringer war. Fokussiert und präzise holt er aus und legt die Fliege ab. Sanft segelt sie an der Wasseroberfläche dahin und schwimmt mit dem Wasser mit, bis Toni sie mit einem Zug wieder in die Luft bewegt. So geht Fliegenfischen.

Schwarz fischen

Fischen geht Toni fast sein ganzes Leben lang. Zuerst mit dem Vater, der auf der Stongenalpe am Sonderdach oberhalb von Bezau mit den Händen gefischt hat. "Er hat sich bis auf die Unterhose ausgezogen und ist losmarschiert. Zwei Stunden später kam er wieder mit ein paar Fischen an einer Astgabel. Beim Zurückgehen hat er mir eingebläut, ich darf ja nicht sagen, dass wir Fischen waren, geschweige denn, dass wir welche im Rucksack hatten."

Der Hut des Fliegenfisches Toni Innauer.
Toni Innauer
Der Hut des Fliegenfisches Toni Innauer.
Coris Priesching

Selbst zu fischen begonnen hat Toni in der Volksschule. "Natürlich schwarz", erzählt er. Und hat dazu gleich eine nette Story parat: Gesprungen ist der spätere Skisprung-Olympiasieger nämlich schon früh, unter anderem als Hauptschüler mit dem Fahrrad. "Neben dem Dorfbach gab es eine Querstraße, über die man gesprungen ist", erzählt Toni. "Ich war einen Meter in der Luft, dann kam der Paketwagen von der Post um die Kurve und hat mich abgeschossen. "Der Briefträger und die Schneiderin Ludvina Ivanovic haben zugesehen. Ludvina hat später zu meiner Mutter gesagt: ,Deine Toni, große Akrobat!‘" Die Schultasche landete im Wasser, der kleine Toni holte sie später raus, und siehe da: Innen zappelte neben den aufgeweichten Schulheften eine lebende Forelle. "Kein Witz", sagt Toni.

Zum Profi ist er mit dem ehemaligen ÖSV-Präsidenten Peter Schröcksnadel geworden. Mit ihm verträgt er sich heute "nicht mehr ganz gut, aber beim Fliegenfischen habe ich Entscheidendes von ihm gelernt".

Fünf Stunden intensiv

Heute ist Toni ein Könner, der sich auf jahrzehntelange Erfahrung berufen kann: "Früher bin ich um vier fischen gegangen und war bis zehn Uhr abends am Wasser. Das packe ich heute nicht mehr. Aber es kann schon einmal sein, dass ich fünf Stunden eine intensive Tour mache, vor allem, wenn unser Sohn aus Wien auf Besuch ist. Er ist eigentlich ein guter Fliegenfischer. Zuerst ein bisschen eingerostet, aber dann fangen wir meistens etwas. Das ist einfach wunderbar."

Das ist es auch hier und jetzt an der Bregenzer Ache. Mit der Trockenfliege geht aber heute nichts. Die Fische lassen die appetitlich servierten Häppchen eiskalt liegen. Wir wechseln auf Nymphen, die zum Einsatz kommen, wenn die Fische nicht steigen. Worin besteht für Toni die Faszination des Sports?

Fliegenfischer übernehmen Verantwortung

"Fliegenfischer leben respektvoll mit der Natur und erkennen: Das Leben ist schön", sagt Toni. "Aber wir übernehmen auch Verantwortung." Die vermisst er am Wasser mitunter schmerzlich: "Flüsse sind gute Gradmesser, was die Leute mit der Umwelt anstellen und welch brutale Auswirkungen das hat." Über Menschen, die Fluss und Ufer als Mistplatz missbrauchen, kann er sich maßlos ärgern: "Was ich am Inn schon alles gefunden habe, spottet jeder Beschreibung. Einmal habe ich gesehen, wie von einem fahrenden Auto ein großer Müllsack in den Inn geworfen wurde. Da waren Windeln drinnen!"

Beim Fliegenfischen geht man den Fluss ab, flussaufwärts hauptsächlich. Der Hintermann, die Hinterfrau ist meistens außer Sichtweite. So sehe ich nicht, wie Toni seine Fische fängt, während ich erfolglos werfe. Wenigstens das kann ich, wie mir meine beiden Begleiter versichern. Aber es hilft nichts. Endgültig demütigend wird es, als Guide Claus die Rute in die Hand nimmt und mir eine spezielle Wurftechnik zeigt – und im Nullkommanichts einen Fisch am Haken hat. "Die meisten beginnen als Beute-Adrenalin-Junkie und entwickeln sich dann weiter. Früher ging es darum, einen Fisch zu fangen und sich nicht erwischen zu lassen. Dann ging es darum, einen größeren Fisch zu fangen und einen noch größeren. Mein Beutetrieb ist etwas kleiner geworden über die Jahre. Man lässt sich die Zeit am Wasser nicht total vermiesen, weil man wenig oder gar nichts fängt. Ich habe Jahre dafür gebraucht und kann es heute emotional besser einordnen", sagt Innauer.

Fliegenfischen Toni Innauer
Toni Innauer bindet seine Kunstfliegen zum Fischen aus ganz praktischen Gründen teilweise selbst: "Sie halten einfach länger." Die Bregenzer Ache ist ein typischer Gebirgsfluss. Die Fliege der Wahl ist eine große Sedge, auch bekannt als Köcherfliege.
Doris Priesching

Ein wenig spiegelt sich in der Fliegenfischerlaufbahn auch die Karriere des Toni Innauer, der als junger Hupfer ehrgeizig an die Spitze sprang, mit nur 17 Jahren 1976 in Innsbruck Vize-Olympiasieger wurde und vier Jahre später bei den Spielen in Lake Placid auf der Normalschanze Gold holte, ehe er verletzungsbedingt früh aufhören musste und nach dem Studium als Trainer und Sportdirektor beim OSV eine zweite Karriere machte. "Das Umgehen mit dem Misserfolg ist mir nie ganz leichtgefallen, aber das Fischen hat geholfen, weil es halt einfach etwas ist, wo man nur zu einem Teil eigenverantwortlich ist. Der andere Teil ist die Natur, der Fisch und das Glück."

"Fliegenfischer leben respektvoll mit der Natur und erkennen: Das Leben ist schön."

Heute managt Toni auch Sportlerinnen und Sportler, gerade laufen Gespräche mit der kanadischen Skispringerin Alexandria Loutitt. Just beim Frauen-Skifliegen hat er sich allerdings in die Nesseln gesetzt: Das hält er für gefährlich, weil Frauen aufgrund der geringeren Absprungkraft eine höhere Geschwindigkeit benötigen, um ähnliche Distanzen zu erzielen wie Männer. "Sie müssen um viele Luken weiter oben wegfahren. Das heißt aber, dass im Fall eines Sturzes die Verletzungsgefahr größer ist. Der Frauenkörper hat weniger Muskelmasse im Verhältnis zum Fettgewebe. Im Fall des Aufpralls ist die Widerstandsfähigkeit dadurch auch geringer."

Das haben einige in die falsche Kehle bekommen und gemeint, er wäre generell gegen Frauen beim Skispringen: "In einem offenen Brief an den FIS-Präsidenten regte ich an, dass Physikerinnen und Mediziner zur Risikoabschätzung hinzugezogen werden sollen. Die internationalen Gremien haben aus Angst vor Shitstorms wegen Genderdiskriminierung einen Showbewerb auf einer Flugschanze genehmigt …" Zum Glück kam es diesmal noch zu keinem gefährlichen Sturz.

14 Ruten

Inzwischen haben wir den Standort gewechselt, sind in Andelsbuch. Der Fluss hat hier mehr Gumpen, Tiefstände, in denen die Forellen gern stehen. Seine Fliegen bindet sich Toni zum Teil selbst, "weil sie länger halten als die gekauften". 14 Ruten besitzt er, darunter eine Bregenzerwälder "Gespließte". So nennt man handgefertigte Fliegenruten aus Bambus. "Im Grunde bin ich ein Naturmensch, und manchmal habe ich das Gefühl, ich bin um 300 Jahre zu spät auf die Welt gekommen. Eigentlich hätte ich Lederstrumpf heißen sollen. Es hat etwas Regulierendes für mich, die Natur zu erleben, sie aber auch zu nutzen."

"Im Grunde bin ein Naturmensch.
Eigentlich hätte ich Lederstrumpf heißen sollen."

Dieses Mal bin ich in Rufweite, als sich bei Toni die Schnur spannt. Wieder ist es eine feine Bachforelle, die er mir zeigt und dann sanft wieder ins Wasser entlässt. Seinen Fang hat er bereits in der Kühltasche.

Die Bachforelle hat eine weitere Bedeutung im Leben des Sportlers. Sie ist eine von zwölf Übungen einer Bewegungslehre, die Toni gemeinsam mit dem Sportwissenschafter Patrick Koller entwickelt und unter dem Namen Die zwölf Tiroler als Buch veröffentlicht hat. Einfache, gerade deshalb wirksame, Tierübungen, mit Zitaten aus Yoga, Feldenkrais, Qigong und, augenzwinkernd, auch den fünf Tibetern. Der Evolution entsprechend von Bachforelle und Alpensalamander bis zu Schwan und Rothirsch. Auflagezahlen und Feedback geben ihm recht: "Leute sagen, ich mache deine zwölf Tiroler und fühle mich wirklich besser."

Kleine, feine Auswahl: Mit diesen Fliegen fischt Toni Innauer
Toni Innauer
Kleine, feine Auswahl: Mit diesen Fliegen fischt Toni Innauer
Doris Priesching

Die Abendsonne senkt sich, auf den Abendsprung warten wir heute nicht mehr. "Lassen wir’s gut sein", sagt Toni. Er hat sechs, ich halte bei einem Fang, gewonnen haben wir mehr, nämlich Zeit, die wir miteinander verbracht haben. Toni sagt, er lerne Land und Leute über das Fliegenfischen kennen. Und dass Fliegenfischer oft einen "um die Spur feineren Zugang zu den Dingen haben". Was sich an diesem Tag wieder eindeutig bestätigt hat. (Doris Priesching, 22.7.2023)