Im Gastblog widmen sich Judith Goetz und Brigitte Temel am Beispiel der Dragqueen-Lesungen der aktuellen Bedeutung LGBTIQ-feindlicher Agitationen im (österreichischen) Rechtsextremismus sowie der Rolle der Medien bei der Verbreitung rechtsextremer Angriffe.

Die rechtsextremen Proteste gegen Kinderbuchlesungen von Dragqueens scheinen kein Ende zu finden. An den aktuellen Skandalisierungsversuchen zeigt sich vor allem die zunehmende Bedeutung von LGBTIQ-Feindlichkeit in aktuellen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Weil Queerfeindlichkeit in der Auseinandersetzung mit rechtsextremem Gedankengut bislang vernachlässigt wurde, analysieren Judith Goetz und Brigitte Temel die Entwicklung und aktuelle Konjunktur von LGBTIQ-Feindlichkeit in der extremen Rechten, dahinter liegende Funktionen und Strategien sowie die Problematiken der öffentlichen beziehungsweise medialen Auseinandersetzung mit dem Thema.

Die Durchsetzung LGBTIQ-feindlicher Politiken und ihre Erfolge

Inzwischen haben sich eindeutig queerfeindliche Politiken durchgesetzt, wie beispielsweise an einer Störaktion der Wiener Pride 2021 deutlich wurde. Seither kam es 2022 und 2023 auch wiederholt zu Aktionen gegen sogenannte Drag Queen Story Hours, im Rahmen derer Dragqueens Lesungen für Kinder im Zeichen von gesellschaftlicher Pluralität und Inklusion durchführen.

Kinderbuchlesung im Parlament mit Dragqueen Candy Licious
Drag Queen Story Hours: ein Zeichen von gesellschaftlicher Pluralität und Inklusion.
IMAGO/SEPA.Media

Um die aktuelle Bedeutung queerfeindlicher Politiken der "Identitären" besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die jüngere Geschichte der Gruppe. Eine lange Durststrecke der "Identitären", die von politischer Erfolglosigkeit und justiziellem Gegenwind (Verfahren unter anderem wegen Körperverletzung, Verhetzung oder krimineller Vereinigung sowie 2021 das Verbot der Symbole der "Identitären" und ihrer Nachfolgeorganisationen) gekennzeichnet war, führte letztlich zu zunehmender Bedeutungslosigkeit. Dass gerade LGBTIQ-feindliche Inhalte in jüngster Vergangenheit zu den zentralen Politika der "Identitären" avancierten, liegt vor allem daran, dass es ihnen über queerfeindliche Rhetoriken wieder zu gelingen scheint, mit altbewährten Methoden erhöhte Aufmerksamkeit zu generieren. Die Aktionen gegen LGBTIQs und Kinderbuchlesungen von Dragqueens ermöglichen es ihnen erneut, gesellschaftliche Tabubrüche zu erzielen, während das Potential zur Skandalisierung anderer Themen bereits seit einiger Zeit abgenommen hat. In den letzten Jahren interessierte es kaum noch jemanden, wenn die "Identitären" mit den immergleichen Aktionsformen versuchten, bestimmte Femizide oder sexualisierte Gewalt durch als "fremd" markierte Männer rassistisch zu instrumentalisieren, irgendwo Kunstblut verschütteten oder auf ein repräsentatives Gebäude kletterten. Zu offensichtlich zeigte sich ihre eigentliche Agenda vor allem daran, dass sie geschlechtsbasierte Gewalt nur dann zum Thema machten, wenn sich diese rassistisch vereinnahmen ließ. Ihre Angriffe auf Menschen, die nicht der zweigeschlechtlichen Heteronorm entsprechen, eröffneten der Gruppe hingegen sowohl neue Handlungsspielräume und gesellschaftliches Interesse als auch neue Allianzen.

Die Beihilfe der Medien

Zahlreiche Medienartikel der letzten Monate berichten – nicht selten unkritisch – über die rechtsextremen Mobilisierungen gegen die Lesungen der Dragqueens. Dabei lassen sich mehrere Strategien identifizieren, die den rechtsextremen Akteurinnen und Akteuren in die Hände spielen und die Journalistinnen und Journalisten mit ihrer medialen Berichterstattung zu Gehilfinnen und Gehilfen in der Verbreitung ihrer Propaganda werden ließen. Dazu zählte vor allem am Beginn der zunehmenden Aufmerksamkeit für das Thema die Schaffung von Bedrohungsszenarien. Nicht nur die "Identitären" versuchten Dragqueens als Gefahr für Kinder darzustellen, auch verschiedene Zeitungsartikel griffen die konstruierten Angstnarrative auf. In der Berichterstattung dominierte jedoch eher die unkommentierte Wiederholung entsprechender Vorurteile, anstatt selber kritisch zu hinterfragen. So titelte etwa die "Kronen Zeitung" "Angst vor Gewaltwelle bei Dragqueen-Lesung in Wien", und auch die "Kleine Zeitung" fragte: "Wie gefährlich sind Dragqueens Candy Licious und Gloria Hole?" Beim erstgenannten Beispiel wird dadurch eine fragwürdige Nähe zwischen Dragqueens und Gewalt konstruiert. Wenngleich der begleitende Podcast der "Kleinen Zeitung" zum Schluss kommt, dass Dragqueen nicht gefährlich seien, lässt der Titel anderes vermuten, da er nicht grundsätzlich danach fragt, ob entsprechende Lesungen gefährlich seien, sondern nur mehr, wie gefährlich.

Eine weitere mediale Strategie, die die Verbreitung rechtsextremer Inhalte unterstützt, steht im Zusammenhang mit einem falsch verstandenen Verständnis journalistischer Objektivität und Neutralität. Scheinbar äquidistante Titel wie "Demos pro und contra Dragqueen-Lesung in Wien" (orf.at) oder Videos, in denen O-Töne von Teilnehmerinnen und Teilnehmern beider Demos gegengeschnitten dargestellt werden (DER STANDARD-Instagram-Kanal, inzwischen aus dem Netz genommen), präsentieren diskriminierende, menschenfeindliche beziehungsweise auch demokratiefeindliche Ideologien als scheinbar legitime Positionen in einem demokratischen Diskurs. Über die von ihnen ausgehenden Gefahren hingegen wird nicht aufgeklärt. Daran knüpft auch ein weiterer Fallstrick an: die Übernahme rechtsextremer Begrifflichkeiten durch Journalistinnen und Journalisten. Die zumeist unkritische Verwendung beziehungsweise fehlende Kommentierung entsprechender Schlagwörter dient einer weiteren Verbreitung rechtsextremer Inhalte beziehungsweise ihrer Versuche, gesellschaftliche Debatten in ihrem Interesse umzudeuten. Selbst von Qualitätsmedien wird ein "Kulturkampf" inszeniert, die Lesung als "umstrittene Veranstaltung" bezeichnet und transfeindliche O-Töne der FPÖ reproduziert, die sich nicht von einer "hasserfüllten Transgender-Lobby einschüchtern" lassen wolle. Die "Heute"-Zeitung geht noch einen Schritt weiter und übernimmt ein von den "Identitären" gemachtes Foto des LGBTIQ-feindlichen Angriffs auf die Villa Vida. Hinzu kommt die Verwendung abwertender und unzeitgemäßer Begrifflichkeit zur Beschreibung von Personen abseits des heteronormativen Geschlechterdualismus. Diese Beispiele veranschaulichen, dass die unkommentierte Übernahme rechtsextremer Ideologie, Rhetorik und Inszenierung erneut im Vordergrund der Berichterstattung steht.

Expertinnen und Experten, die sich seit vielen Jahren mit Sexualpädagogik und sexueller Bildung der Vielfalt oder auch Rechtsextremismus beschäftigen, kamen hingegen gerade zu Beginn der medialen Debatten selten zu Wort. Entsprechend standen auch die vielfältigen Möglichkeiten für Kinder, bei den Lesungen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt auf kindergerechte Art und Weise kennenzulernen, tendenziell im Hintergrund der Berichterstattung. Die Fehler der Vergangenheit, mit denen Journalistinnen und Journalisten durch unkritische Berichte über Aktionen der "Identitären" der Gruppe maßgeblich zu ihrem Erfolg verhalfen, scheinen sich zu wiederholen.

Keine Leistung der österreichischen "Identitären"

Der Fokus auf Dragqueens als Feindbild, die nach der rechten Rhetorik einen Angriff auf die heterosexuelle Kleinfamilie sowie eine vermeintliche Bedrohung für Kinder darstellen, sind allerdings keine Konstruktionsleistung der österreichischen "Identitären", sondern ein weitverbreitetes Thema rechtsextremer Akteurinnen und Akteuren. So haben Rechte und Konservative in den USA bereits deutlich früher begonnen, gegen Drags zu hetzen und Stimmung zu machen. Eingebettet in breitere Anti-LGBTIQ-Hetze US-amerikanischer Rechtsextremer im Jahr 2021, hatte auch das Ausmaß an Gewalt, Drohungen und die Verbreitung von Desinformationen gegen das Format der sogenannten Drag Queen Story Hours massiv zugenommen. Unterstützt wurden diese Entwicklungen von der parlamentarischen Rechten. Mehrere US-Staaten haben bereits 2023 das Format Drag Queen Story Hours kriminalisiert. Neben dem Vorwurf der sogenannten "Frühsexualisierung" von Kindern wird in den entsprechenden Anfeindungen auch verbreitet, dass Dragqueens Kinder "groomen" würden, sprich gezielt Vertrauen zu Kindern aufzubauen mit der Intention, sie zu missbrauchen und damit das altbekannte Narrativ, welches eine Nähe zwischen Homosexualität und Pädophilie unterstellt, neu belebt.

Das Narrativ des bedrohten Kindes

Dabei spielt auch das Bild des unschuldigen, wehr- und schutzlosen Kindes eine bedeutende Rolle, das auch in den Medien bedient wurde. Mit reißerischen Überschriften wie "Erneut vor Kindern" ("Exxpress") oder auch Presseaussendungen der FPÖ, die dazu auffordern, Lesungen von Dragqueens zu verbieten, können sich Rechtsextreme als vermeintliche Beschützerinnen und Beschützer von Kindern inszenieren. Sie erzeugen beziehungsweise nutzen dabei sehr bewusst eine "moralische Panik", die suggeriert, dass Kinder durch Sexualaufklärung oder die Sichtbarkeit von LGBTIQ-Personen und ihrer Symbole dazu verführt würden, queer zu werden. Wie bereits aus rechtsextremen Diskursen rund um sexualisierte Gewalt bekannt, konstruieren Rechtsextreme eine "außenstehende", externalisierte Feindgruppe, die eine potenzielle Bedrohung in Bezug auf die Unversehrtheit von Kindern darstelle – in diesem Fall Menschen, die von der zweigeschlechtlichen Heteronorm abweichen. Missbrauchsfälle in den eigenen Reihen, etwa der katholischen Kirche oder bei Rechtsextremen, sowie familiäre Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bleiben in den entsprechenden Diskursen gänzlich ausgespart. Dieser offensichtliche Widerspruch zeigt sich auch dadurch, dass keine Missbrauchsfälle durch Dragqueens gegenüber Kindern bekannt sind, wohingegen sexualisierte Gewalt zum Beispiel in christlichen Einrichtungen ein niemals endendes Thema in Österreich darstellt. Global sind Fälle tausender Kinder bekannt, die Opfer sexualisierter Gewalt durch Priester und andere Personen katholischer Einrichtungen wurden.

LGBTIQ-Feindlichkeit als mobilisierungsfähige, gemeinsame Klammer

Abgesehen von der neu gewonnenen Aufmerksamkeit bietet der Fokus auf LGBTIQ-Themen sowie die Lesungen von Dragqueens eine Reihe weiterer Vorteile für das rechte Spektrum. LGBTIQ-Feindlichkeit fungiert als neue gemeinsame Klammer unterschiedlicher konservativer bis rechtsextremer Akteurinnen und Akteure. So mobilisierten Mitte April neben den "Identitären" und ihren Tarnorganisation, christliche Fundamentalistinnen, Fundamentalisten und Corona-Maßnahmen-Gegnerinnen, -Gegner beziehungsweise -Leugnerinnen und -Leugner zu den Protesten gegen die Veranstaltung in der Villa Vida. Auch Funktionärinnen und Funktionäre der FPÖ und der ÖVP schlossen sich den Forderungen nach einem Verbot der Lesungen an. Entsprechende Allianzen hatte es zwar in den letzten Jahren immer wieder gegeben, beispielsweise beim "Marsch für die Familie", einer jährlich stattfindenden Gegenveranstaltung zur Regenbogenparade, oder bei den "Demos für alle", die in Deutschland gegen sexuelle und geschlechtliche Bildung der Vielfalt protestierten, die in Unterrichtsplänen verankert werden sollten. Dass die aktuellen Angriffe zwar nicht das Mobilisierungspotenzial nach sich zogen, das von den Veranstalterinnen und Veranstaltern erwartet wurde, kann zwar – vor allem auch wegen der Größe der antifaschistischen und feministischen Gegenproteste – als Niederlage verbucht werden. Gerade in Vergessenheit geratene Gruppen wie die "Identitären" können aber insbesondere von der neuen öffentlichen Aufmerksamkeit wie auch der Berichterstattung durchwegs profitieren, zumal sie – wie beschreiben – zur Weiterverbreitung ihrer Ideologie und queerfeindlichen Bedrohungs- und Angstnarrativen beitragen.

Die Gewalt der Worte führt zu Taten

Zum Angriffsziel werden die rechtsextremen Feindbilder Drag und LGBTIQ aber auch deswegen, weil sie die vielfältigen Möglichkeiten, Lebens- und Liebensformen auszugestalten, aufzeigen und die normativen Zwänge von Eindeutigkeit infrage stellen. Anstelle von Vielfalt setzen "Identitäre" und andere Rechtsextreme auf vermeintlich naturgegebene Ordnungen, die nicht nur die individuellen Entfaltungsräume stark begrenzen, sondern auch zu Abwertungen und Diskriminierung anderer Lebensentwürfe führen. Vermeintliche Übertretungen von Normvorstellungen und damit verbundene Uneindeutigkeiten ziehen folglich Aggression nach sich. Die aktuellen Proteste sind letztlich Ausdruck des Wunsches, Menschen, die normativen Vorstellungen nicht entsprechen, zu bestrafen beziehungsweise deren erneute Unterwerfung unter heteronormative Vorstellungen zu erzwingen und dadurch patriarchale Ordnungen aufrechtzuerhalten. (Judith Goetz, Brigitte Temel, 26.7.2023)