Emma Cline
Emma Clines neuer Roman "Die Einladung" liegt nun auf Deutsch vor.
DV DeVincentis

Zwei Millionen Dollar Vorschuss hat Emma Cline 2016 für ihren Roman The Girls bekommen, ein abenteuerlich hoher Betrag für eine Debütantin. Andererseits hat es sich für den Verlag ausgezahlt: Die 1989 geborene Cline wurde mit der Geschichte rund um die sektenähnliche Manson-Familie im Kalifornien der späten 1960er zum Sensationserfolg, der auch verfilmt wurde. Cline war als neuer Stern aufgegangen, Erzählungen folgten 2020 im Band Daddy.

Seit Mai liegt der zweite Roman vor, seit Montag in deutscher Übersetzung und scheinbar ideal als Sommerlektüre: Die Einladung spielt im August am Strand, genauer in den Hamptons, dem Sommerfrischeort der New Yorker Upper Class. Wie schon mit den Manson-Morden im Debüt hat Cline sich also wieder ein ikonisches Setting ausgesucht. Im Zentrum steht die 22-jährige Alex, und sie passt allerdings gar nicht in diese Welt, was daran liegt, dass sie sich den Zugang erschummelt hat.

Bescheuerte Dinge, einzeln betrachtet

Vor ein paar Jahren als Escort in "die Stadt" gekommen, hat sich ihre Karriere abgekühlt. In den feinen Restaurants und ihrer WG ist sie nicht mehr gern gesehen. Glücklicherweise hat sie in einer Bar Simon, einen noch ganz gut aussehenden Kunsthändler jenseits der 50, für sich einnehmen können, indem sie ihm das schüchterne Mädchen vorspielte. Er hat sie in sein Sommerhaus mitgenommen, und das bedeutet teure Kleider und Schmuckgeschenke, eine Haushälterin, die das Frühstück richtet, Privatstrände, Gartenpartys mit Smalltalk über Investitionen in Apps. Oder, in Alex Worten, "bescheuerte Dinge, einzeln betrachtet, aber zusammengenommen waren sie ein überzeugender Ersatz für ein Leben", noch dazu eins, in dem Leid "weniger wahrscheinlich wirkte".

Mit solchen Formulierungen haut Cline einen um. Sie macht mit ebenso wenigen Strichen das Machtgefälle zwischen Simon und Alex spürbar wie sie Klassenunterschiede und Wohlstand seziert. Jemand "hatte das dunkle, glänzende Haar der Wohlhabenden" oder "alle seine Freunde waren Geschäftsfreunde", heißt es dann, oder das Alter einer Frau sei unbestimmbar, denn ihre "Haut war professionell aufgesprengt worden, um das Durchschnittsgesicht einer Dreißigjährigen darzustellen".

Man lernt die echtes Interesse perfekt imitierende professionelle Freundlichkeit von Hausangestellten kennen, Nannys mit Kindern im Beachclub, reiche Kinder, Goldgräberehen. Cline öffnet Falltüren in doppelten Böden, kratzt klaffende Spalten zwischen Sein und Schein. Dass auch an Alex alles nur Fassade ist, ist eine Folge ihrer ständigen Selbstreflektiertheit. Sie manipuliert ihre Umwelt und sich selbst bis zum Realitätsverlust. Sympathisch wird sie nie. Bald bringt Alex aber auch Simon mit schon minimalem Ungehorsam gegen sich auf. Wieder aus seiner Welt geworfen und auf der Flucht vor einem gewaltbereiten früheren Kunden, beginnt nun ein Trip in teuren Autos zwischen Luxusanwesen.

Für eine bessere Welt

Alex hängt sich mit dem Mut der Verzweifelten an junge Partyurlauber oder verliebt sich in den Sohn eines Filmproduzenten, der so berühmt ist, dass der Bub dessen Namen nur "mit verdruckster Eile" ausspricht. Ein bisschen Vegetarismus für eine bessere Welt und die Vorstellung von Tagen als Reels (so heißen die Videos auf Instagram) sind auch sehr up to date. Dass Alex Handy dauernd der Saft ausgeht, zwingt andererseits zum Leben im Analogen. Es hakt nur allmählich daran, dass sich à la longue nichts so richtig intensiviert. Die Schilderung von Wohlstand? Eher fasziniert. Die Liebesgeschichte am Ende? Ein Bremsklotz. Alex’ Stresslevel? Verführt Cline zu immer mehr Selbstbezüglichkeit, und irgendwann tröpfelt die Geschichte mehr, als mitzureißen.

Zwischen den Beschreibungen des fünften und sechsten Pools entdeckt man keine Welt mehr. Ja, Pools sind hier Standardausstattung – so what? Einzelne starke Sätze können daran nichts ändern. Cline beschreibt Zähne, aber der Text schnappt nicht (mehr) zu. Trotzdem wird er sich fantastisch zur Serie verfilmen lassen, Ausstattung und Strandpanoramen werden überwältigen. Man kann darauf warten. (Michael Wurmitzer, 25.7.2023)