Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Kanzler Karl Nehammer (ÖVP).
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) trafen einander einmal mehr zum traditionellen Sommerministerrat, der diesmal in Wien stattfand.
APA/GEORG HOCHMUTH

Ein Sommerministerrat ist in der Regel ein kleines politisches Schauspiel. Die Regierung tritt vor der Urlaubszeit – in Regierungskreisen fällt die traditionell in den August – zusammen. Es wird Einigkeit und Betriebsamkeit beschworen und ein Maßnahmenpaket vorgelegt. Normal (sic!) wird der Sommerministerrat irgendwo außerhalb Wiens abgehalten, in nett-sommerlichem Ambiente. Diesmal nicht: Der Sommerministerrat 2023 fand am Dienstag (bei Regen) im Kanzleramt statt – wie die gewöhnlichen Ministerratstreffen auch. Wenig Tamtam, keine große Inszenierung, Thema: Gesundheit.

"Grantiger" Minister

So habe niemand eine lange Anfahrt, der Standort Kanzleramt sei praktisch, so die Argumentation. Ein Regierungsmitglied vermutete vor Ort: Die Außenlocations seien teuer – und jedes Jahr stelle die Opposition eine parlamentarische Anfrage zu den Kosten. Manche Journalistinnen mutmaßten hingegen, die Regierungsstrategen wollten die Erwartungshaltung niedrig halten: Wird zu einem Großevent im Wiener Umland geladen, erwarten Medienvertreter auch inhaltlich ein Großpaket, dem wäre die Verkündung vom Dienstag womöglich nicht gerecht geworden. Diesen Gedanken wollte der grüne Gesundheitsminister gleich wieder ausräumen: "Ich werde ein bissl grantig, wenn das nicht als großer Wurf erkannt wird", sagte Johannes Rauch.

Ein Überblick, was die türkis-grüne Regierung präsentiert hat:

1. Hundert neue Kassenarztstellen

In Österreichs Gesundheitssystem klaffen offene Wunden. Das haben die vergangenen Jahre und Monate deutlich gemacht: überlastetes Pflegepersonal, lange OP-Wartelisten, überfüllte Notaufnahmen – und ein gravierender Mangel an Fachärztinnen und Fachärzten in manchen Fächern. Bis Jahresende sollen nun 100 zusätzliche Kassenstellen im niedergelassenen Bereich entstehen. Als "Anreiz" einigte sich die Koalition auf einen "Startbonus" von bis zu 100.000 Euro pro Stelle für Kassenpraxen. Er ist für ausgewählte Fachgebiete vorgesehen: Hausärztinnen, Kinderärzte sowie Gynäkologinnen. "Hier gibt es einen großen Mangel", sagte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei der Pressekonferenz. Die neuen Stellen waren bereits angekündigt. Seitens der Gesundheitskasse hieß es im Vorfeld, dass 100 neue Kassenstellen heuer gar nicht besetzt werden könnten.

2. Mehr Vorrat an Medikamenten

Probleme bereitete zuletzt auch die Medikamentenversorgung. So waren im Winter etwa Asthmasprays für Kinder kaum zu bekommen. Jetzt sollen Lager für wichtige Wirkstoffe angelegt werden, auf die Apotheken zugreifen können, um bei Lieferengpässen selbst Arzneien herstellen zu können. Die Regierung verspricht künftig auch mehr Transparenz bei Versorgungsengpässen.

3. Psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen

Verlängert wird das Projekt "Gesund aus der Krise" zur psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Dadurch würden zusätzlich 10.000 Kinder und Jugendliche kostenlose psychologische Unterstützung und Psychotherapie erhalten, kündigte die Regierung an. Um den Bedarf an psychosozialer Versorgung besser zu decken, sollen klinisch-psychologische Behandlungen der Psychotherapie gleichgestellt werden. Die Ausbildung für Psychotherapeuten soll künftig an Universitäten angeboten werden.

4. Ausbau der Prävention

Um schwere Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, will die Regierung Präventionsprogramme ausbauen – etwa mit Anreizen, regelmäßig eine Vorsorgeuntersuchung zu machen. Bei diesem Punkt wurde Gesundheitsminister Rauch persönlich: Er war selbst schwer an Krebs erkrankt gewesen. Das hätte er sich ersparen können, wenn es dieses Programm gegeben hätte, meinte der Gesundheitsminister. Geplant sei etwa der Aufbau eines bundesweiten Darmkrebs-Screening-Programms.

5. Digitale Unterstützung

Außerdem will die Regierung ein Pilotprojekt zur digitalen Begleitung chronisch Kranker starten. So sollen etwa Menschen mit Diabetes oder Migräne einen digitalen Begleiter (über eine Handy-App) erhalten, der sie im Alltag unterstützt und Symptome dokumentiert.

Das Gesamtpaket würde den Staat rund 200 Millionen Euro kosten, heißt es seitens der Regierung. Ausstehend sind strukturelle Reformen im Gesundheitsbereich. Diese müssten in Abstimmung mit den Ländern im Rahmen des Finanzausgleichs beschlossen werden. Diese Verhandlungen laufen allerdings schleppend.

Außerdem erhöht die Regierung rückwirkend mit 2023 die jährliche Förderung für jüdisches Leben von vier auf sieben Millionen Euro. "Das beste Mittel im Kampf gegen Antisemitismus ist die Förderung und die Sichtbarmachung jüdischen Lebens", hatte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) vor dem Sommerministerrat erklärt. Die Zuwendungen sollen der jüdischen Gemeinde unmittelbar zugutekommen und unter anderem Maßnahmen im Bereich Sicherheit, Erhaltung und Pflege des Kulturerbes unterstützen. (Katharina Mittelstaedt, Jan Michael Marchart, 25.7.2023)