Beim Setzen von Klimazielen ist Österreich ehrgeizig: Bis 2040 sollen hierzulande weniger Treibhausgase ausgestoßen werden als durch CO2-Senken wieder aufgenommen werden – zehn Jahre vor dem EU-weiten Ziel der Klimaneutralität 2050. Bei den tatsächlichen Emissionen sieht es allerdings weniger rosig aus: Seit 1990 konnte Österreich seine in die Atmosphäre eingebrachten Treibhausgase kaum reduzieren. Vor allem im Verkehrssektor stiegen die Emissionen stark an.

Zwar bescheinigen vorläufige Daten des Umweltbundesamts einen Rückgang der CO2-Emissionen um sechs Prozent im Jahr 2022, im EU-Vergleich reduzierte Österreich seine Emissionen in den vergangenen 30 Jahren aber dennoch so wenig wie kaum ein anderer Staat.

Autos stehen im Stau am Grenzübergang Salzburg/Walserberg
Vor allem im Verkehr stiegen die CO2-Emissionen in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten stark an.
APA/FRANZ NEUMAYR

Vorreiter auf der Strecke geblieben

Woran das liegt und wie es anders sein könnte, diskutierte eine Runde vergangenen Montag beim zweiten STANDARD-Zukunftsgespräch im Theater im Park. Für Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, die vor der Debatte auch eine Keynote hielt, könnte das Stagnieren Österreichs daran liegen, dass Österreich in mancher Hinsicht lange Vorreiter war. "Das ist so ähnlich wie bei einem Schulkind, das schon lesend in die erste Klasse kommt und dann den Anschluss versäumt", sagt Kromp-Kolb.

Sie erinnert sich an die Zeit vor dem EU-Beitritt, als sich Österreich sorgte, seine hohen Umweltstandards zu verlieren. Heute ist es die EU, die strenge Regeln festlegt. Damals ging es zwar weniger um Klimastandards als um solche, die Luft- und Wasserqualität betreffen, trotzdem würde die damalige Sorge zeigen, dass es in Österreich durchaus Umweltbewusstsein gibt.

Fünf Menschen sitzen auf einer Bühne in bequemen Sesseln
Auf der Bühne beim STANDARD-Zukunftsgespräch: Moderator Philip Pramer (DER STANDARD), KlimaaktivistinMarina Hagen-Canaval, Skifahrer Julian Schütter, Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb.

Reiche machten Einsparungen zunichte

"Wir sind tatsächlich nicht gut", sagt auch Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo). Allerdings müsse man die Zahlen in Kontext setzen: Während andere Staaten an Bevölkerung verloren oder deindustrialisiert haben, ist Österreich gewachsen und konnte seine Industrie behalten.

Marina Hagen-Canaval von der Protestbewegung Letzte Generation ortet wiederum eine frappante Ungerechtigkeit. Während die ärmere Hälfte der Menschen in Österreich ihre Treibhausgasemissionen reduziert hat, sei der Klimafußabdruck des obersten Prozents in den vergangenen 30 Jahren um 45 Prozent in die Höhe geschnellt. "Damit haben die Reichsten das, was wir, die Ärmsten der Gesellschaft, geleistet haben, wieder aufgefressen", sagt Hagen-Canaval. Sie sieht das Problem "ganz klar" im Hyperkapitalismus, der Menschen und den Planeten ausbeutet. Politische Handlungsträger müssten die Spielregeln neu definieren.

Radikaler Kurswechsel

Kritik am System äußerte auch Julian Schütter. In seinem offenen Brief an den Skiverband hatte der Skirennläufer gewarnt, dass der Skisport durch die Klimakrise "existenziell und akut bedroht" sei. Viele Athleten würden die Dringlichkeit der Lage erkennen, doch vonseiten der Industrie fehle es oft noch an Problembewusstsein und Handlungsbereitschaft. Laut Schütter versuchen viele in Ausreden und "bequemen Lügen" Zuflucht zu suchen, anstatt sich der Realität zu stellen. Es brauche einen radikalen Kurswechsel, damit der Skisport in den Alpen noch eine Zukunft habe.

Ob man in Zukunft in Österreich noch Ski fahren kann, wird allerdings nicht nur in Österreich entschieden, merkt Felbermayr an. Denn zählen würden nur die globalen Emissionen, die weiterhin steigen. "Selbst wenn wir komplett dekarbonisieren und die Kosten dafür tragen, könnte der Schnee trotzdem weg sein", merkt der Ökonom an. Wichtig sei deshalb auch, stark wachsende Staaten wie China zum Klimaschutz zu animieren.

China als Solarvorbild

Damit das funktioniert, wünscht sich Kromp-Kolb, dass Industrieländer wie Österreich als gutes Vorbild vorangehen. "Wir müssen das machen, was wir von den anderen verlangen", sagt die Klimaforscherin. Dabei ginge es weniger um die eigenen Emissionen, sondern um eine "historische Aufgabe".

Klimaaktivistin Hagen-Canaval kennt die China-Ausrede gut – und fragt sich, was das Land denn noch tun müsste, damit Österreich "in die Puschen" kommt. China werde seine Solarausbauziele für 2030 voraussichtlich fünf Jahre früher als geplant erreichen. Allein dieses Jahr wurden dort mehr Photovoltaikanlagen installiert als in Deutschland jemals. "Die haben das gecheckt, weil denen ersticken die Leute gerade", sagt die Anhängerin der Letzten Generation. Schließlich sind erneuerbare Energien nicht nur für das Klima, sondern auch für die Luftqualität vorteilhaft.

Personen in Regenponchos sitzen im Theater im Park in Wien.
Rund 300 Personen besuchten das STANDARD-Zukunftsgespräch im Theater im Park.
Regine Hendrich

Angst vor den Wählern

Damit Unternehmen auch in Österreich in nachhaltige Technologien investieren, wünscht sich Felbermayr eine höhere CO2-Bepreisung. "20 Euro pro Tonne bewirken gar nichts", sagte der Wifo-Chef. Sein Institut gehe davon aus, dass es rund 300 Euro braucht, um Anreize zu schaffen. Dazu brauche es zusätzliche Standards und Normen, denn "es kann nicht sein, dass ein elektrischer Rasierer einen fix verbauten Akku hat und somit nicht recycelbar ist".

Auf Nachfrage von Kromp-Kolb, warum höhere CO2-Preise und Standards nicht existieren, obwohl Ökonomen und teilweise die Wirtschaft selbst solche wünschen, erklärt Felbermayr, die Politik habe Angst davor, an der Wahlurne zu scheitern.

Dieses Argument will Hagen-Canaval nicht gelten lassen. "In Österreich wird keine Mehrheitspolitik gemacht", sagt die Klimaaktivistin. Wäre dies so, hätte Österreich auch eine Vermögenssteuer, die zwei Drittel der Menschen befürworten würden. Die Regierung, die "am Futtertrog sitzt und Geld von der fossilen Industrie bekommt", müsse einsehen, dass ein Verlust von Wählerstimmen weniger schlimm sei als die Zukunft mit Dürrekatastrophen, Ernteausfällen und Hitze, die uns erwarte.

Normal gibt's nicht mehr

Schütter bemängelte, dass die Politik die Klimakrise nicht adäquat kommuniziere: "Wir reden von Katastrophe, von einem Zusammenbruch, vielleicht der Zivilisation. Und dann gibt es sehr hochrangige Politiker, die dann über Autos und Schnitzel reden", sagte Schütter in Anspielung auf die von der ÖVP losgetretene Normalitätsdebatte. "Das ist nicht zeitgemäß."

"Normal" werde in Zukunft ohnehin nichts mehr sein, merkt Kromp-Kolb an – und zwar ganz egal, ob wir handeln oder nicht. "Wir könnten uns aber entscheiden, ob wir unser Leben geordnet umgestalten und auf den Firlefanz verzichten, der uns jetzt umgibt – oder ob er uns genommen wird", sagt die Klimaforscherin.

Mina Hagen-Canaval, Julian Schütter in Sesseln auf einer Bühne
Skifahrer und Klimaaktivist Julian Schütter (rechts) stößt sich an der politischen Debatte rund um Autos und Schnitzel.
Regine Hendrich

Um Letzteres zu verhindern, müsse der Druck auf die Politik auch von der Straße kommen, sagt Hagen-Canaval – und appellierte an die rund 300 anwesenden Zuschauerinnen und Zuschauer im Theater im Park, sich über das Wählen hinaus politisch zu engagieren und Druck auf die Politik auszuüben. "Das war die letzte ruhige Zeit, die die Politiker hatten, die nicht handeln", warnt die Aktivistin. Sie werde diesen "keinen ruhigen Tag mehr gönnen", bis für mehr Klimaschutz gesorgt wird.

Ins Regal greifen, ohne die Erde zu zerstören

Felbermayr befürchtet, "dass das so nicht funktionieren" werde – am Ende müsse der politische Druck in einem Wahlergebnis Ausdruck finden. Darauf entgegnete Hagen-Canaval, dass auch andere politische Errungenschaften wie das Frauenwahlrecht umgesetzt wurden, nachdem der politische Druck von der Straße da gewesen war. "Ich verlasse mich nicht auf die nächste Wahl", sagt die Aktivistin.

Von Moderator Philip Pramer nach einer positiven Zukunftsvision gefragt, antwortet Kromp-Kolb, dass sie sich eine Welt wünsche, in der es wieder mehr Werte als Geld gibt und in der die Menschheit mit der Natur im Einklang lebt. Julian Schütter wünscht sich, dass klimafreundliches Leben in Zukunft möglich ist, ohne darüber nachzudenken. "Ich will beim Einkaufen halb verschlafen ins Regal greifen können, ohne dabei meine Lebensgrundlagen zu zerstören", sagt der Skifahrer. (red, 27.7.2023)

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