Rammstein
Till Lindemann bei einem Rammstein-Konzert 2023.
Rammstein/Matthias Matthies

Die Vorwürfe bezüglich sexueller Gewalt, die Till Lindemann an Frauen ausgeübt haben soll, reißen im Vorfeld der beiden Wien-Konzerte von Rammstein nicht ab. Nun wirft auch eine Österreicherin Lindemann vor, sie sexuell missbraucht zu haben. Der ORF berichtet, dass sich die Vorfälle im Zuge der seit 2019 laufenden "Rammstein Stadium Tour" ereignet hätten. Ein genaues Datum wird nicht genannt. Die Österreicherin, die anonym bleiben will, sei ebenfalls auf eine "Pre-Party" eines Konzerts eingeladen worden.

Lindemann habe sie daraufhin persönlich auf sein Hotelzimmer gebeten. Dort habe er sie mit dem Gesicht nach unten aufs Bett gedrückt, ihren Rock hochgeschoben und sie so stark geschlagen, dass Handabdrücke auf ihrem Gesäß zu sehen gewesen seien. Sie habe mehrmals verbal abgelehnt, so die Frau, die ihre Angaben in einer eidesstattlichen Erklärung versicherte. Anzeige erstatten wolle sie nicht. Allerdings sei sie bereit, im Fall vor Gericht auszusagen.

Eine andere auf der Party anwesende Frau schaffte es trotz ausgesprochenen Handyverbots, Fotos der Folgen der mutmaßlichen Misshandlung wie Handabdrücke und Verletzungen auf dem Gesäß zu machen. Die dem ORF vorliegenden Aufnahmen wurden einer digital-forensischen Prüfung auf Echtheit unterzogen. Das Ergebnis besagt: Bei den Fotos handelt es sich um "sehr wahrscheinlich unveränderte Originalaufnahmen".

Begonnen hat alles Anfang Mai dieses Jahres. Nach einem Konzert von Rammstein in der litauischen Stadt Vilnius tauchten erste Anschuldigungen auf. Rammstein-Frontmann Till Lindemann habe die junge Irin Shelby Lynn im Rahmen einer laut Zeugen gewöhnlich mit Koks und Alkohol befeuerten Backstage-Party vor dem Konzert dazu eingeladen, mit ihm in einen Raum unter der Bühne zu gehen, um dort Sex zu haben. Lynn lehnte ab – Lindemann wurde wütend, allerdings nicht gewalttätig.

Blackout und Erinnerungslücken

Die Folgen waren ein Blackout und anschließende Erinnerungslücken Lynns, das Gefühl eines schweren Katers trotz nur geringer Einnahme von Alkohol, ein schweres Hämatom und der Verdacht, ihr seien in einem Drink K.-o.-Tropfen verabreicht worden, um sie gefügig zu machen. Die Staatsanwaltschaft in Vilnius ermittelte, die Untersuchung wurde inzwischen aber aufgrund der mangelnden Beweislage eingestellt. Im Rahmen der Berichterstattung und diverser Recherchen, unter anderem seitens der Süddeutschen Zeitung, wurde aber eines klar: Frauen wurden vor Konzerten über Instagram oder in der inzwischen berühmten "Row Zero" während der Auftritte der Band unmittelbar vor der Bühne jahrelang gezielt ausgesucht und eingeladen, um Till Lindemann backstage wie auch in Hotelzimmern "zugeführt" zu werden.

Rekrutiert wurden die offenbar laut Vorgabe des 60-jährigen Sängers sehr jungen Frauen, die sich "sexy" kleiden sollten, von der russischen Lindemann-Vertrauten Alena Makeeva. Laut aktuelleren Medienberichten hat sich allerdings der Verdacht erhärtet, dass hier ein Rekrutierungsprogramm systematisch von gleich mehreren Personen betrieben wurde, von dem auch andere Band- und Crewmitglieder profitierten. In der Berichterstattung tauchte das offenbar im inneren Kreis Rammsteins geläufige Wort "Resteficken" auf.

Täter-Opfer-Umkehr

Diverse Frauen meldeten sich in Folge mit weiteren Vorwürfen zu Wort, von Lindemann missbraucht worden zu sein. Mittlerweile ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Berlin wegen des "Anfangsverdachts von Sexualstraftaten und der Abgabe von Betäubungsmitteln". Aktuell sieht sich auch Rammstein-Keyboarder Christian "Flake" Lorenz mit dem Vorwurf eines sexuellen Übergriffs konfrontiert. Allerdings liegt die vermeintliche Tat 20 Jahre zurück. Die Anwälte Rammsteins weisen die Vorwürfe pauschal zurück und kündigten Personen und Medien, die derlei erheben, Unterlassungsklagen an. Erst am Dienstag erwirkten Lindemanns Anwälte eine weitere einstweilige Verfügung gegen die Youtube-Influencerin Kayla Shyx, wonach diese bestimmte getätigte Äußerungen nicht weiter wiederholen darf.

Als zusätzliches Futter dient dabei auch das Verschwimmen von Lindemanns Bühnen- und Künstlerperson. So werde von Rammstein in Songs wie Bück Dich, Dicke Titten oder OK (Ohne Kondom) laut dem deutschen Musikexpress eine "unerbittlich martialische Inszenierung" sowie "Hurra-Sexismus" praktiziert. Tausende hämische Kommentare auf Social Media, die angesichts der betroffenen Frauen eine Täter-Opfer-Umkehr betreiben, sorgen für zusätzliches Kopfschütteln.

Rammstein werden am 26. und 27. Juli im Wiener Ernst-Happel-Stadion vor 110.000 Besuchern auftreten. Die Gegendemonstration "Keine Bühne für mutmaßliche Täter" ist für Mittwoch ab 17.30 Uhr vor Ort angekündigt. Eine dazugehörige Petition wurde bisher von mehr als 17.000 Menschen unterzeichnet. (Christian Schachinger, 26.7.2023)