Junge Frau geht durch eine traumartige Wüstenlandschaft voller Kakteen
Tut es beim Sex weh, geht die Lust mit Sicherheit flöten – aber rund 20 Prozent aller Frauen kennen das. Und auch Männer sind oft genug betroffen.
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Miteinander schlafen ist etwas Wunderschönes, im Idealfall für alle Beteiligten orgastisch und auf jeden Fall erfüllend, angenehm und entspannend. Das ändert sich aber sehr schnell, wenn Sex keine wohligen Gefühle auslöst, sondern Schmerzen verursacht. Das ist viel häufiger der Fall, als man meinen sollte, bis zu 20 Prozent der Frauen tut Sex weh, schätzt man. Zahlen gibt es keine genauen, weil viel zu wenig darüber gesprochen wird. Schmerzen sind jedenfalls neben Stress der schlimmste Lustkiller, weiß Michela Bayerle-Eder, Endokrinologin und Sexualmedizinerin an der Med-Uni Wien.

Auch Männer sind übrigens vor schmerzhaften Erfahrungen nicht gefeit – auch wenn es Frauen deutlich öfter trifft. Die häufigsten Gründe sind bei ihnen Vorhautverengung, Geschlechtskrankheiten, Infektionen und Penisverkrümmung. Über Letztere hat DER STANDARD hier berichtet. Egal, was das Problem ist, es gilt immer: Gehen Sie zum Arzt, zur Physiotherapeutin, oder konsultieren Sie andere Experten. Denn in den allermeisten Fällen kann man das Problem sehr wohl bessern oder sogar ganz beheben.

Grundsätzlich unterscheidet man bei Frauen zwischen zwei Arten von Schmerz, nämlich jenem beim Eindringen und dem sogenannten Endschmerz. "Der Eindringschmerz entsteht in erster Linie durch Verspannungen im Beckenboden, Geburtsverletzungen und Narben. Ein weiterer Grund kann ein brennendes Gefühl sein, etwa wegen hormonell bedingter Scheidentrockenheit. Beim Endschmerz, das fühlt sich an wie ein dumpfer Schmerz, stößt der Penis auf die gesenkte oder gekippte Gebärmutter statt auf den Muttermund", erklärt Hélène Menapace. Die Physiotherapeutin und Osteopathin ist spezialisiert auf den Bereich der Urogynäkologie.

Immer noch Tabuthema

Und Menapace weist auch gleich auf ein großes Tabu hin: "Schmerzen beim Sex kann man von Beginn an haben, sie entstehen nicht zwingend erst nach einer Geburt oder in der Menopause, wie viele vermuten. Nur ist sich sogar das medizinische Personal dieser Tatsache meistens nicht bewusst." Da der Beckenboden ein ganz normales muskuläres System ist, kann sich dieser durch Traumen verspannen, bei Stürzen aufs Steißbein beim Snowboard oder Eislaufen beispielsweise. "Nur wird das nie erfragt oder diagnostiziert." Auch Erkrankungen wie etwa Endometriose können zu Verklemmungen im Beckenbereich führen und so die beim Geschlechtsverkehr notwendige Mobilität der Organe herabsetzten, das kann einen Endschmerz auslösen.

Betroffene bemerken die Schmerzen üblicherweise auch bereits im Teenageralter, können sie aber nicht einordnen: "Beim ersten Mal geht man davon aus, dass es wehtut. Später redet man nicht darüber, weil es uncool ist, und Aufklärung darüber gibt es nicht. Dadurch bleibt es ein Tabu zumindest bis zur ersten Geburt."

Stattdessen etablieren sich zwei unterschiedliche Umgangsweisen damit, die Menapace vor allem bei jungen Frauen beobachtet: "Manche akzeptieren die Schmerzen als gegeben, weil sie sonst als spießig oder frigide abgetan werden. Wenn der Partner sich der Problematik nicht bewusst ist oder das Thema nicht berücksichtigt, führt es oft dazu, dass sich die Frauen mit der Zeit innerlich von ihrem Körper dissoziieren. Von Lustempfinden ist dann keine Rede mehr."

Andere verweigern den Geschlechtsverkehr irgendwann komplett, um nicht leiden zu müssen. Sie kommunizieren vielfach aber nicht, dass Schmerzen und nicht die fehlende Lust das Problem sind – mit der Folge, dass sie als uncool oder asexuell abgestempelt werden. "Und irgendwann bewerten sie sich auch selbst so." Dieser Teufelskreis wirkt sich auch direkt auf die mentale Gesundheit aus, sagt Menapace: "Dabei könnte man extrem viel Leid und Stress verhindern, würde man die Anatomie und die Funktion des Beckenbodens besser verstehen und mehr über die Zusammenhänge sprechen."

Mehr Körper, weniger Psyche

Dass das zu wenig passiert, ebnet unter anderem den Weg dafür, Schmerzen beim Sex auf die Psyche zurückzuführen. Tatsächlich sind aber nur maximal ein Drittel der Probleme beim Sex psychischer Natur, weiß Sexualmedinerin Bayerle-Eder. Etwa zwei Drittel des Probleme sind körperlich bedingt. Die Auslöser können Infektionen, Vaginosen, HPV-Infektionen oder auch Geschlechtskrankheiten sein. Und auch chronische Erkrankungen wirken sich auf das Sexleben aus, Rheuma etwa, andere Probleme des Bewegungsapparats oder Hauterkrankungen wie Sklerosen, wo es auch auf den Schleimhäuten zu schmerzhaften Verhärtungen kommen kann.

Ein häufiger Grund ist auch Endometriose, eine Unterleibserkrankung, bei der Gebärmutterschleimhaut-ähnliches Gewebe außerhalb des Uterus wuchert und sogar mit anderen Organen verwachsen kann. Davon ist etwa eine von zehn Frauen betroffen, trotzdem dauert es meist viele Jahre, bis eine Diagnose gestellt wird. Und vor allem nach der Menopause kann Scheidentrockenheit Schmerzen beim Sex verursachen. Denn durch die Hormonumstellung werden die Schleimhäute trockener, manchmal gelingt die Lubrikation nicht mehr.

Vaginismus

Ein gesondertes Thema ist der Vaginismus. Dabei verkrampft die Muskulatur der Vagina so stark, dass das Eindringen des Penis nicht oder nur mit grober Gewalt möglich ist. In starken Ausprägungen kann schon das Einführen eines Tampons oder auch eine gynäkologische Untersuchung unmöglich sein. Doch viele haben von dieser Sexualstörung noch nie gehört, obwohl bis zu 20 Prozent aller Frauen laut Schätzungen zumindest irgendwann eine vaginistische Episode haben dürften, weiß Bayerle-Eder. Lange ist man davon ausgegangen, dass sich dahinter ausschließlich psychische Gründe verbergen, etwa eine sexuelle Gewalterfahrung oder ein anderes Trauma. Tatsächlich ist das bei einigen die Ursache. "Mittlerweise weiß man aber, dass es auch andere Gründe für diese unwillkürliche Verkrampfung gibt, etwa durch ein Geburtstrauma, einen Dammriss oder durch vaginale Narben", betont Bayerle-Eder.

Menapace weiß aus ihrer Praxis, dass ein verspannter Beckenboden sogar recht häufig die Ursache für das Verkrampfen der Scheide ist. "Tut es beim Sex deshalb immer weh, wirkt sich das natürlich aus. Die Frau weiß, dass sie bei der Penetration Schmerzen hat, das macht sie noch unentspannter, es ist ein echter Teufelskreis." Es gibt aber eine Methode, mit der man das bessern kann. Wie bei einer normalen Massage wird der Beckenboden manuell entkrampft, und zwar von innen über die Vagina. In Österreich ist diese Methode noch wenig bekannt, in den USA und Kanada, wo Menapace lange praktiziert hat, ist das bereits seit vielen Jahren Usus.

Immer zum Arzt

Allheilmittel gegen die Schmerzen beim Sex gibt es leider keines. Doch egal ob sie nur punktuell auftreten oder immer präsent sind, sie sollten immer von Expertinnen und Experten abgeklärt werden. Bayerle-Eder erklärt: "Zuerst einmal werden alle Infekte und möglichen Erkrankungen abgeklärt. Weiß man gar nicht, wo der Schmerz herkommt, gibt es im Zuge einer guten gynäkologischen oder urologischen Untersuchung einige Tests, die helfen, ihn zu lokalisieren."

Findet man tatsächlich keine organische Ursache, dann liegt ein psychischer Grund nahe. Die Sexualmedizinerin empfiehlt dann eine ganzheitliche, biopsychosoziale Betreuung, also eine Kombination aus körperlicher und sexualpsychologischer Behandlung, idealerweise auch mit dem Partner. Es könne auch oft helfen, neue Formen der Sexualität für sich zu entdecken.

Neue Stellungen ausprobieren

Dieser Weg ist nicht nur bei psychischen Ursachen gut, auch bei Schmerzen etwa durch chronische Erkrankungen oder körperliche Beeinträchtigungen hilft ein etwas modifizierter Zugang. Bayerle-Eder sagt: "Es ist wichtig, auch bei chronischen Schmerzen einen Weg zu finden, um die Sexualität zu erhalten. Die bedeutet ja Nähe, das ist gesund und tut gut." Sie empfiehlt etwa, den Sex vorzubereiten, eventuell ein Schmerzmittel zu nehmen, Hilfsmittel wie Stützkissen und Gleitmittel griffbereit zu haben und Stellungen auszuprobieren, die weniger schmerzvoll sind, wie zum Beispiel die Löffelchenstellung. "Planen und feiern Sie den Sex wie ein Fest. Eine Party plant man ja auch im Vorhinein. Dann entsteht auch noch Vorfreude, das tut gleich auf mehreren Ebenen gut."

Ohnehin tut sich gerade sehr viel in dem Bereich, der Begriff der Sexualität ist im Wandel, vor allem auch bei jungen Menschen, berichtet Bayerle-Eder: "Spricht man von Sex, war sehr lange nur der Akt der intravaginalen Penetration gemeint. Mittlerweile verändert sich das aber, es wird klar, dass viel mehr zur Sexualität gehört, streicheln etwa, küssen und Heavy Petting."

Und auch für ältere Menschen ist Sex nicht automatisch die Penetration: "Da verändert sie vieles gezwungenermaßen und geht weg von der reinen Vorstellung des Eindringens und der Performance." Denn in späteren Jahren haben viele Menschen Schmerzprobleme oder chronische Krankheiten wie Rheuma, Erektionsstörungen werden häufiger, nicht wenige Männer leiden an chronischer Prostatitis. "Dadurch tritt einfach die Nähe und Zuwendung in den Vordergrund. Das ist auch gut so, so bleibt zumindest die Nähe erhalten." (Pia Kruckenhauser, 27.8.2023)