Der Fiat 600e soll als größerer Verwandter des 500e jene bei der mobilitätswandelnden Hand nehmen, die mit dem "Cinque" platzmäßig nicht das Auslangen finden.
Andreas Stockinger

Was für ein gigantisches Feuerwerk, was für eine bombastische Show am Po, inszeniert von Star-Zeremonienmeister Marco Balich in der Nacht des US-Nationalfeiertags ... Ich schrecke aus Gedanken hoch: Das war ja 2007, unter Ägide des damaligen Fiat-Chefs Sergio Marchionne, und es war wohl weniger eine Reverenz an die Amis als an den ersten 500, den "Cinquino", geboren am 4. Juli 1957. Seither ist der Retro-Cinque eine einzige Erfolgsgeschichte, auch in seiner elektrischen Erscheinungsform, und damit zurück in die Zukunft, ins Hier und Jetzt, 16 Jahre später.

Fiat-Geschäftsführer Olivier François bei der Doppelweltpremiere Topolino und 600e.
Andreas Stockinger

Wieder befinden wir uns in Turin, an legendärem Orte, auf dem Dach des Lingotto, vor 100 Jahren wurde der Bau eröffnet. Es debütieren: Topolino und 600e. Die Weltpremiere zelebriert Fiat-Chef Oliviero Francesco – nein, der heißt natürlich Olivier François, ist kein Italiener, sondern Franzose und Signum für die neuen Zeiten. Die neuen Zeiten firmieren seit 2021 als Stellantis, nach der Fusion von PSA (Peugeot, Citroën, Opel etc.) und FCA (Fiat, Alfa, Chrysler, Jeep etc.).

Aber Hand aufs Herz, das war natürlich eine waschechte Übernahme der Italiener durch die Franzosen, auch wenn das aus marketingtechnisch verständlichen Gründen gerne verschleiert wird.Topolino und 600e also. Rückwärts blicken und dabei den Vorwärtsgang einlegen. Retro hat bisher eigentlich nur bei Mini geklappt – und bei Fiat. In nur einem Jahr habe Fiat die Trendwende vom Elektro-Spätstarter an die Spitze in Europa geschafft, führt François aus, "und jetzt wird aus dem 500e eine Familie".

Mit dem Topolino will Fiat urbane Mobilität "sexy und erschwinglich" machen, das Konzept schließt ein wenig an den Renault Twizy von 2011 an.
Andreas Stockinger

Die kleine, namentlich an die 1930er andockende Schwester heiße Topolino, ganz aus dem Mäuschen werden die 15-Jährigen sein, die den 2,53-Meter-Winz quasi ohne Führerschein fahren dürf(t)en, weil er, angetrieben von einem 6-kW-Maschinchen, nur 45 km/h schafft – wobei der 5,4-kWh-Akku 75 km Aktionsradius erlaubt. "Klein liegt in unserem Erbgut", meint François und fügt hinzu: "Waren Sie je in Neapel unterwegs? Falls ja, können Sie Auto fahren." Mit dem Topolino (den es geschlossen oder mit Fetzendach à la 500 geben wird), so die gedankliche Hintertür, könne das künftig jede(r). Nur Querparken, wie in Italien, ist bei uns auch weiterhin nicht erlaubt.

Erwartungsgemäß spartanisch sieht es im Innenraum des Topolino aus, der ansonsten identisch mit dem mit Citroën Ami und Opel Rocks-e ist.
Andreas Stockinger

"Einfachheit ist die Gefährtin der Schönheit", diese Einstellung habe bei Fiat eine lange Tradition, und mit dem Hinweis auf Italianità geht es weiter zur größeren Schwester des 500e, zum 600e. Vorher aber kurz noch ein Wort zum Topolino. Ist identisch mit Citroën Ami und Opel Rocks-e, also reines Badge-Engineering, und wird in Marokko gebaut. "Wir werden ihn 2024 bringen, zu Preisen deutlich unter 10.000 Euro", bekräftigt der brandneue Fiat-Österreich-Chef Sebastian Haböck in Turin. Denn anders als bei Opel oder Citroën mit einem Potenzial von ca. 250 Stück "sehen wir beim Topolino bei uns einen Markt für 1000 Autos".

In der Interieurgestaltung setzt der 600e auf markante Farbakzente, die Abdeckung des Mittelfachs kennen wir schon vom Jeep Avenger, mit dem der Fiat sich auch die Plattform teil.

600e. Das ist nicht etwa der 500X-Nachfolger, siehe Abmessungen: hie (600e) 4,17 m Länge, da (500X) 4,25. Wie nachher eine erste Sitzprobe zeigt, geht es im 600e nicht supergeräumig zu, und hinten kriegt man wegen der kleinen Stufe die Zehen schwer unter den Vordersitz, er ist aber deutlich mehr Auto als der 500e (3,63 m). Kofferraum? Passable 385 Liter.

Der Wagen mit dem gedanklichen Querverweis zum Seicento der 1950er basiert, wie Jeep Avenger, Peugeot 2008, Opel Mokka, auf der e-CMP2-Plattform. Avisiert sind Reichweiten bis zu 409 km, erbracht vom 52-kWh-Akku (netto), die E-Maschine leistet 115 kW, und, Stichwort Made in Italy, gebaut wird er wie der Avenger im schlesischen Tichau. Marktstart ist im Oktober, Kostenpunkt: 36.000 (Red) bzw. 41.000 Euro (La Prima) – Listenpreis. Die Aktionspreise: 30.600 bzw. 35.600.

Und hier ein Toplino aus längst vergang'nen Tagen: Fiat 500 C Trasformabile von 1952.
Andreas Stockinger

"Stylish, kompetitiv, leistbar" nennt François als Kernkompetenzen, und man könne beim 600e koloristisch reichlich Buntes wählen, aber nichts in Grau. Denn: "Italien ist das Land der Farben." Und mit "Ein Hauch von Dolce Vita (musste ja kommen) für jeden Tag" sowie "mit den Neuen reiten wir die Welle von morgen" beschließen wir unsere Turin-Visite. (Andreas Stockinger, 30.7.2023)