Oberst Amadou Abdramane bei einer im Fernsehen übertragenen Erklärung.
Oberst Amadou Abdramane bei einer im Fernsehen übertragenen Erklärung.
AFP/ORTN/Télé Sahel

Niamey – Das Militär im Niger hat erklärt, die Forderung der Putschisten nach einem Ende der Amtszeit von Präsident Mohamed Bazoum zu unterstützen. Dies teilten die Streitkräfte des westafrikanischen Landes am Donnerstag auf Facebook und Twitter mit. Unbestätigten Berichten zufolge könnte nun der Chef der Präsidentengarde, General Omar Tchiani, die Führung eines Militärrats übernehmen.

Die Unterstützung der Putschisten solle die "körperliche Unversehrtheit des Präsidenten und seiner Familie" gewährleisten sowie eine "tödliche Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Sicherheitskräften" vermeiden, teilten die Streitkräfte mit. Das Militär warnte in der Erklärung vor jeglicher militärischer Intervention aus dem Ausland. Diese könnte verheerende Folgen für das Land haben.

Zuvor hatten im westafrikanischen Niger Soldaten im Fernsehen die Machtübernahme der Armee verkündet. Die Institutionen der siebenten Republik seien aufgelöst, die Luft- und Landesgrenzen geschlossen und es herrsche eine landesweite Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr, sagte Oberst Amadou Abdramane am späten Mittwochabend im nationalen Fernsehsender RTN.

Video: Im westafrikanischen Niger haben Angehörige des Militärs geputscht und Präsident Mohamed Bazoum festgesetzt.
AFP

Abdramane sprach von einem sogenannten Nationalen Rat für die Rettung des Vaterlandes, der die Macht übernommen habe. Offen war zunächst, ob Abdramane und die neun weiteren Soldaten im Fernsehen für die ganze Armee sprachen. Tatsächlich sollen nämlich Teile der Nationalgarde und staatlichen Armee zunächst der Eliteeinheit mit einem Angriff gedroht haben.

Abdramane, der von neun weiteren Offizieren in Uniform flankiert wurde, verlas eine Erklärung, in der es hieß, die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte hätten entschieden, "dem Regime, das Sie kennen, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage und der schlechten Regierungsführung ein Ende zu setzen".

Putschführung zunächst unklar 

Am Mittwochmorgen hatte die Präsidentengarde, eine Eliteeinheit der Armee, den seit 2021 amtierenden demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum (63) in seinem Palast in der Hauptstadt Niamey festgesetzt und den Zugang zum Palast und zu mehreren Ministerien gesperrt. Das Präsidialamt erklärte dagegen zunächst über Internetplattformen, die Präsidentengarde habe erfolglos eine antirepublikanische Bewegung gestartet. Später wurde die Erklärung ohne Angabe von Gründen gelöscht. Menschen aus dem Umfeld von Bazoum sprachen in internationalen Medien von einem "Wutausbruch" der Elitetruppe. Von den Putschisten hieß es, der Präsident sei "sicher und wohlauf".

Wer in diesem Putsch das Kommando übernommen hat, war zunächst nicht klar. Die Armee des Landes hat derzeit rund 25.000 Soldaten. Der Präsidialgarde gehören unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 700 und 1.000 Gardisten an. An der Spitze der Präsidentengarde steht General Tchiani. Die Erklärung des putschenden Militärs verlas am Mittwochabend im staatlichen Fernsehen jedoch Amadou Abdramane, ein Oberst der Luftwaffe.

Präsidentengarde setzte Präsident fest

Indes hatte der vom Militär abgesetzte Präsident Bazoum die Bevölkerung aufgerufen, die hart erkämpften Errungenschaften der Demokratie zu retten. Dafür würden die Menschen, die die Demokratie lieben, sorgen, schrieb er am Donnerstag auf dem Kurznachrichtendienst X (früher Twitter). Dort forderte auch Außenminister Hassoumi Massoudou "alle Demokraten und Patrioten" auf, dieses "gefährliche Abenteuer" scheitern zu lassen.

Außenminister Massoudou sagte Donnerstagfrüh dem französischen Sender France 24, Präsident Bazoum werde derzeit noch immer im Präsidentenpalast festgehalten. Wo sich der Minister selbst aufhielt, war unklar. In der Hauptstadt war es in der Früh infolge der vom Militär verhängten Ausgangssperre ruhig. Am Mittwoch hatten sich Bazoum-Anhänger in der Stadt versammelt und ihren Widerstand gegen einen Machtwechsel zum Ausdruck gebracht.

Internationale Reaktionen

International riefen die Vorgänge noch vor der Verkündung im Fernsehen scharfe Verurteilungen hervor. Unter anderem die Vereinten Nationen, die EU, die USA und die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas forderten eine Freilassung Bazoums und die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung.

Die demokratische Führung des Landes dürfe nicht behindert werden und die Rechtsstaatlichkeit müsse geachtet werden, sagte Uno-Generalsekretär António Guterres am Donnerstag in New York. Guterres hatte am Mittwoch mit Bazoum gesprochen - dieser habe ihm gesagt, die Situation sei "sehr ernst". Guterres betonte aber, er wisse nicht, wo das Staatsoberhaupt sich aufhalte. Die Vereinten Nationen hätten bisher keinen Kontakt zu den Putschisten aufgebaut.

"Wir verurteilen alle Bestrebungen, durch den Sturz der demokratisch gewählten Regierung zu destabilisieren", schrieb das Außenministerium in Wien auf X. "Wir fordern die Putschisten auf, Präsident Bazoum sofort und ohne Bedingungen freizulassen. Die verfassungsmäßige Ordnung muss so schnell wie möglich wiederhergestellt werden."

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock telefonierte mit ihrem Amtskollegen Hassoumi Massoudou und machte dabei die "volle Unterstützung" Deutschlands für die demokratische Entwicklung in dem westafrikanischen Land deutlich. Dazu gehöre auch die umgehende Freilassung von Präsident Mohamed Bazoum, sagte die Grünen-Politikerin laut einer Mitteilung des Auswärtigen Amts.

Auch das russische Außenministerium rief die Militärs auf, Bazoum freizulassen, auf Gewalt zu verzichten und alle Streitfragen in einem friedlichen und konstruktiven Dialog zu klären. "Wir hoffen auf eine schnelle Lösung dieser innenpolitischen Krise im Interesse einer Wiederherstellung des zivilgesellschaftlichen Friedens zum Wohle des uns freundschaftlich verbundenen Volkes Nigers", sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa.

Keine Bundesheersoldaten vor Ort 

Die EU will unterdessen vorerst noch keine Entscheidung über ein mögliches Ende der Militärunterstützung für den Niger treffen. Die Situation nach der Meuterei sei derzeit noch nicht klar, sagte die Sprecherin des EU-Außenbeauftragten Borrell. Es sei noch zu früh, um Fragen zur Zukunft der Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU im Niger zu beantworten.

Bundesheersoldaten sind nach Angaben aus dem Verteidigungsministerium nicht vor Ort. Österreich hatte im Frühjahr angekündigt, bis zu zehn Soldaten im Rahmen des geplanten Einsatzes mit dem Namen EUMPN entsenden zu wollen. Die auf drei Jahre ausgelegte Mission soll nach EU-Angaben unter anderem beim Aufbau eines Ausbildungszentrums und eines neuen Kommunikations- und Führungsunterstützungsbataillons helfen. Zudem gibt es seit 2012 die zivile EU-Mission EUCAP Sahel Niger.

Finanzielle Unterstützung für die Streitkräfte gab es bis zuletzt unter anderem durch die sogenannte europäische Friedensfazilität. Die Mitgliedstaaten bewilligten aus dem Finanztopf erst im Juni weitere fünf Millionen Euro. Sie ergänzten bereits im Juli 2022 und März 2023 angenommene Unterstützung in Höhe von insgesamt 65 Millionen Euro.

Für die EU ist die Lage im Niger bedeutend, weil das Land und seine Nachbarn seit Jahren von bewaffneten Terrorgruppen tyrannisiert werden. Einige dieser Gruppen haben dem sogenannten Islamischen Staat (IS) und Al-Kaida die Treue geschworen. Immer wieder kommt es zu blutigen Anschlägen mit Toten und Verletzten. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Darüber hinaus ist der Niger eines der wichtigsten Transitländer für afrikanische Migranten, die das Mittelmeer erreichen und nach Europa übersetzen wollen. Deshalb hatten die EU und Niger bereits im vergangenen Sommer vereinbart, beim Thema Menschenschmuggel enger zusammenzuarbeiten.

Umsturz hätte weitreichende Folgen

Ein Umsturz hätte weitreichende Folgen. Der Niger gehört mit seinen rund 26 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu den ärmsten Ländern der Welt. Der Niger war nach Militärputschen in Mali und Burkina Faso das letzte der drei Nachbarländer in der Sahelzone, das von einer demokratisch gewählten Regierung geführt wurde, und damit ein wichtiger Partner der USA und der EU im Kampf gegen wachsende Instabilität in der Region. Erst Ende vergangenen Jahres hatte die EU eine Militärmission im Niger beschlossen, um den Terrorismus in der Region zu bekämpfen.

Bazoums Amtseinführung im April 2021 war der erste friedliche demokratische Machtwechsel im Land seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich 1960 – wenige Tage vorher kam es noch zu einem Putschversuch, den die Präsidentengarde verhinderte. Der Rädelsführer, ein Luftwaffenkapitän namens Sani Gourouza, wurde damals im Nachbarland Benin gefasst. Auch heuer im März soll es bereits zu einem vereitelten Coupversuch gekommen sein, als Bazoum kurzzeitig in der Türkei auf Staatsbesuch war.

Bazoum diente unter seinem Vorgänger Mahamadou Issoufou seit 2011 als Außen- und Innenminister, bis er zur Nachfolge des nach zwei Amtszeiten ausgeschiedenen Issoufou antrat und mit rund 56 Prozent der Stimmen gewann. Issoufou behielt viel Einfluss. Beobachter vermuteten als möglichen Hintergrund auch einen Kampf um Einfluss in Niamey.

Die Ereignisse zeigten die Fragilität des Landes, sagte der Regionalbüroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Sahelzone, Ulf Laessing, der Deutschen Presse-Agentur. "Deutschland und Europa haben Millionensummen in Niger investiert von Militär- bis Entwicklungszusammenarbeit. Die Hilfsprogramme wecken auch Begehrlichkeiten." Laessing fügte hinzu: "Ein Coup kann alles ändern und würde auch Russland die Tür öffnen, sich breitzumachen." (APA, red, 27.7.2023)