Im Gastblog analysieren Judith Goetz und Brigitte Temel, wie selbst Misserfolge bei rechten und rechtsextremen Protesten dazu dienen können, entsprechende Narrative zu verbreiten – und wie dies verhindert werden kann.

Die rechtsextremen Angriffe auf Veranstaltungen des Pride-Monats sowie Kinderbuchlesungen von Dragqueens schienen vor allem im April kein Ende zu finden. An damaligen Skandalisierungsversuchen zeigt sich vor allem die zunehmende Bedeutung von LGBTIQ-Feindlichkeit in aktuellen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Weil Queerfeindlichkeit in der Auseinandersetzung mit rechtsextremem Gedankengut bislang vernachlässigt wurde, analysieren Judith Goetz und Brigitte Temel die rechten (Miss-)Erfolge dieser Mobilisierungen.

Die Umdeutung des Misserfolgs auf der Straße

Aufschlussreich für die Analyse und politische Einordnung aktueller Entwicklungen rund um die Drag Queen Story Hours ist auch ein Blick in diverse Messenger App-Kanäle sowie Plattformen, wie beispielsweise des ehemaligen Sprechers der rechtsextremen Bewegung der "Identitären". Zeigen will er, "dass die Mehrheit der Österreicher nicht mit diesem Wahnsinn einverstanden ist" – diese in den frühen Vormittagsstunden am Tag der groß angekündigten Proteste Mitte April geäußerte hoch gegriffene Ankündigung Sellners wird sich tatsächlich nicht einlösen. Die herbeigesehnte "österreichische Mehrheit" zählt zwischen 100 und 200 Personen – die erwartete Masse der 2.000 empörten Österreicherinnen und Österreicher blieb also aus.

Dieser klare Misserfolg wird den rund 60.000 Followerinnen und Followern auf seinem Telegram-Kanal zunächst allerdings anders verkauft: Während die mehrere hundert Personen umfassende Gruppe, die sich an diesem Tag mit der Villa Vida solidarisch zeigt, als "trauriger Haufen" und als "kleine Gruppe" geframt wird, wird die Anzahl derjenigen, die ihre LGBTIQ-Feindlichkeit und Ressentiments auf die Straße bringen, zahlenmäßig stärker präsentiert, als sie tatsächlich waren. Entsprechend inszenierte Fotos, aber auch Äußerungen wie "Wir sind jetzt schon deutlich mehr als die Gegenseite" sollen das konstruierte Bild abrunden. Die rechtsextremen Akteurinnen und Akteure bedienen sich dabei einer bereits bekannten Strategie: Sie machen sich größer, als sie sind. Auch rechte Medien wie beispielsweise "Info Direkt" werten die Demonstration als großen Erfolg, der sich daran zeige, dass Aufmerksamkeit für das Thema generiert, eine angebliche Mehrheitsmeinung auf die Straße getragen und die Drag Queen Story Hour gestört wurde. Zudem hätten Politikerinnen und Politiker "Farbe bekennen" müssen und die Zusammenarbeit zwischen rechten Aktivistinnen und Aktivisten, Personen aus der Politik und Medien sei gestärkt worden.

Demonstration, Plakat
Die herbeigesehnte "österreichische Mehrheit" vor der Villa Vida zählte zwischen 100 und 200 Personen.
Foto: APA/EVA MANHART

Gehetzt wird nicht nur vor Ort bei der Villa Vida. Auch die weitere Berichterstattung diverser LGBTIQ-feindlicher rechter Akteure, Einzelpersonen sowie Medien über die Proteste strotzt vor verdrehten Fakten sowie gezielten Missinformationen über das Format der Drag Queen Story Hour. Dabei werden Dragqueens schon mal gerne reißerisch als "Fetisch-Models" bezeichnet, dem "Rotlicht-Milieu" nahe gestellt sowie suggeriert, dass Straftaten hinter den "verdunkelten" Fenstern stattfinden würden. Auch die Anklage, den anwesenden Kindern würde aus "homosexuellen Kinderbüchern" vorgelesen werden, macht stutzig und wirft die Frage auf, wie ein Buch eine Sexualität haben kann. Warum Lesungen darüber, dass es okay ist, "anders" zu sein, gefährlich für Kinder sein sollen, erschließt sich argumentativ jedenfalls nicht.

Die Alltäglichkeit antisemitischer Verschwörungserzählungen

Aller Logik und Argumenten entsagend, finden sich auf den diversen Social-Media-Kanälen wiederkehrende diskursive Muster, die eine angebliche weltweite Verschwörung der Eliten konstruieren. Diese würde am Format der Drag Queen Story Hour ihr "typisches Vorgehen" offenbaren. In dieser, unter Rechtsextremen inzwischen weit verbreiteten, Verschwörungserzählung vereinen sich – wie bei vielen solcher Erzählungen – Antisemitismus (hier die Imaginierung einer übermächtigen, global agierenden Gruppe, die alles kontrolliert) und andere Ideologien der Ungleichheit, in diesem Fall LGBTIQ-Feindlichkeit. Die Gegendemonstrierenden werden pauschal als "Antifa" betitelt und als "treue Fußtruppe des globalen Kapitals" ebenfalls in die Verschwörung eingewoben. Die imaginierte "globale Elite", die hier beschworen wird, ziehe die Fäden im Hinterzimmer und kontrolliere das Weltgeschehen in ihrem eigenen Interesse. Wer diese Eliten eigentlich sein sollen, wie sie mit Drag Queen Story Hours in Verbindung stehen und weshalb die Zerstörung der Heteronorm und des "Wohls der Kinder" in ihrem Interesse liegt, bleibt unklar. Die Verwendung neuerer, rechtsextremer Kampfbegriffe wie "Globohomo" lässt jedoch vermuten, wer hinter den geheimen Plänen stecken soll und knüpft an antisemitische Narrative über die übermächtigen Jüdinnen und Juden, die im Geheimen die eigentlichen Drahtzieherinnen und Drahtzieher politischer Entscheidungen seien.

Von der Nation zu den Geschlechtern

Das imaginierte Schreckensbild einer global agierenden, homosexuellen Elite vereint dabei alle thematischen Felder, die Rechtsextreme in den letzten Jahren mit ihrer Propaganda besetzen wollten. Dies offenbart sich unter anderen recht deutlich, wenn Rechtsextreme in ihren Social-Media Kanälen behaupten, "dass diese Agenda ein und dieselbe" sei wie jene vorangegangener Feind- und Schreckensbilder. So heißt es im Telegram-Kanal eines bekannten Rechtsextremen: "Der Kampf gegen Grenzen, nationale Grenzen, Geschlechtergrenzen, Grenzen der Familie, die Grenzen der Moral, ist ein und dasselbe, ist eine Agenda der sogenannten Befreiung. Diese Befreiung ist aber eigentlich die totale Versklavung unter globale Mächte […]." Diese Parallelisierung von nationalen Grenzen und Geschlechtergrenzen ist typisch für die Ideologie der rechtsextremen "Identitären".

Durch die beschriebene Grenzziehung werden geschlechtliche Identitäten innerhalb der zweigeschlechtlichen Norm folglich hergestellt und gleichzeitig von all dem, was sie nicht sein darf, abgegrenzt – indem entsprechende Vorstellungen dem vermeintlichen "Anderen" zugeschrieben werden. Im damit verbundenen Reinheitsgedanken, der "Verwischungen" und "Vermischungen" ebenso wie in Hinblick auf 'Ethnien' beziehungsweise "Kulturen" ablehnt, spiegelt sich nicht nur das Bedürfnis nach strengen Ordnungskonzepten wider, die Orientierung verschaffen sollen, sondern auch die Angst vor Widersprüchen, Ambivalenzen und Ambiguitäten. Die Soziologin Karin Stögner (2017, 138f.) betont, dass das von Stereotypen und Zweiteilungen geprägte Exklusionsdenken einer "radikalen Komplexitätsreduktion" diene, das "bei der Orientierung in einer Welt [helfe], die aufgrund ihrer ungelösten Antagonismen und Widersprüche als zunehmend unübersichtlich wahrgenommen wird." Somit kommt dem rigiden Geschlechterdualismus nicht zuletzt auch eine Schutzfunktion zu, die vor Verunsicherungen bewahren soll, die durch Pluralisierungen und Veruneindeutigungen entstehen könnten.

Drag Queen Story Hours sind den Rechtsextremen zufolge zudem ein gezielter Angriff auf die "Keimzelle unseres Volkes, der natürlichen Familie aus Mann und Frau" und Teil eines "Bevölkerungsaustausches", an dessen Ende weiße Österreicherinnen und Österreichern zur Minderheit im "eigenen" Land werden würden. So liegt dieser Erzählung ebenfalls die antisemitische Annahme zugrunde, dass "Eliten" im Hintergrund das Weltgeschehen lenken und manipulieren. Dass gerade diese Verschwörungserzählung einen gefährlichen Nährboden für antidemokratische Entwicklungen bis hin zu Gewalt und Terror darstellt, zeigten in den letzten Jahren beispielsweise die Terroranschläge durch Rechtsextreme 2011 in Oslo und Utøya sowie 2019 in Christchurch.

Rechte (Miss-)Erfolge?

Wenngleich die Mobilisierung auf die Straße seitens Rechter und Rechtsextremer misslungen ist, zeugt doch die breite mediale Berichterstattung von einem nicht unwesentlichen Teilerfolg. Zu diesem Schluss kommen auch die Organisatoren der LGBTIQ-feindlichen Demonstration selbst. So konnten sie ihre verqueren Ansichten und kruden Verschwörungserzählungen breit streuen. Ebenfalls ist der extremen Rechten der Schulterschluss mit Covid-Maßnahmen-Gegnern sowie -Leugnern, christlichen Fundamentalisten und anderen antidemokratischen Gruppierungen unter dem Vorzeichen der LGBTIQ-Feindlichkeit (vorerst) gelungen. Diese unheiligen Allianzen sind nicht neu, Mitglieder der "Identitären" sowie deren Tarnorganisation haben auch schon in erster Reihe Covid-Maßnahmen-Proteste angeführt.

Ob ihr eigentliches Ziel, nämlich laut Eigenangabe "Kinder zu schützen" und ihnen klarzumachen, dass Veranstaltungen wie die Drag Queen Story Hours nicht "normal" seien, gelungen ist, sei hingegen eher dahin gestellt. Schließlich waren die Lesungen selbst gut besucht und Drag Queen Story Hours sind gebuchter denn je. Besuchende konnten nämlich entgegen entsprechender Behauptungen der Gegenprotestierenden die Villa Vida ohne größere Schwierigkeiten betreten und den Geschichten der Dragqueens lauschen.

Dennoch lässt sich abschließend sagen, dass die rechtsextremen Akteurinnen und Akteure durch ihre aktuellen queerfeindlichen Mobilisierungen erneut maßgeblich zu einem gewaltvollen Klima gegenüber Menschen, die nicht zweigeschlechtlichen und heteronormativen Vorstellungen entsprechen, beitragen. Bereits in der Vergangenheit hat sich am Beispiel rechtsterroristischer Attentate, die sich in ihren Legitimationen auf den von den "Identitären" verbreiteten Verschwörungsmythos des "Großen Austauschs" bezogen, gezeigt, dass die Gewalt der Worte auch zu Taten führt. So beispielsweise in der Slowakei 2022, wo mutmaßlich ein rechtsextremer Attentäter in einer Schwulenbar zwei Personen ermordete und eine weitere schwer verletzte.

Dies kann jedoch verhindert werden, beispielsweise indem die Medien ihnen einerseits nicht mehr dauerhaft unkritische Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen und stetig ihre Propaganda wiedergeben und andererseits indem sich Menschen ihnen in den Weg stellen und deutlich machen, dass queerfeindliche Propaganda keinen Platz in unserer Gesellschaft hat. (Judith Goetz, Brigitte Temel, 2.10.2023)