Der Hotelier Gerhard Wendl im Gastgarten eines seiner Betriebe sitzend, im Gespräch.
"Wir müssten alles daransetzen, um Menschen, die schon hier sind, am Arbeitsmarkt zu integrieren": Hotelier Gerhard Wendl
Alexander Danner

Eigentlich verabscheut die Gewerkschaft in Österreich die Zersplitterung und will daher Kollektivverträge nur auf Branchenebene verhandeln. Umso überraschender, dass die Tourismusgewerkschaft Vida und die Hotelgruppe Jufa von Gerhard Wendl den Abschluss eines eigenen KV bekanntgaben. Für die Belegschaft des Hotels sollte es viele Verbesserungen geben, freute sich Vida, wie höheren Mindestlohn und längere Kündigungsfristen. Aber was bezweckt der Arbeitgeber damit?

STANDARD: Wie kam es dazu, dass Ihre Hotelkette nun einen eigenen Kollektivvertrag hat?

Wendl: Eine Woche nach Beginn des ersten Corona-Lockdowns haben wir im Unternehmen mit über 300 Mitarbeitern, vom Rezeptionisten bis zum Hoteldirektor, einen Prozess zur Frage gestartet: Wie wollen wir in Zukunft als Jufa-Hotels wahrgenommen werden? Es gab viele interessante Inputs, gerade von jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die uns auf die Idee gebracht haben, dass wir zur Speerspitze in der österreichischen Tourismuswirtschaft werden wollen. Eine der für mich wichtigsten Erkenntnisse aus dem Prozess war, dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am wichtigsten ist, sich wertgeschätzt zu fühlen im Unternehmen. Das Tourismussystem, so wie es vor 30 oder 50 Jahren gelebt wurde, als Mitarbeiter nur ein Mittel zum schnellen Profit für den Unternehmer waren, ist passé. Wenn man in der Branche eine Zukunft haben will, muss man ein attraktiver Arbeitgeber sein.

STANDARD: Das erklärt aber noch nicht, warum Sie einen eigenen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft wollten.

Wendl: Die Tourismusindustrie findet sich Jahr für Jahr in den Medien wieder als Branche, in der die Rahmenbedingungen so schlecht sind. Aber es gibt eben auch Hotels, die sich wie wir ein neues Mindset geschaffen haben und ihren Mitarbeitern hohe Wertschätzung entgegenbringen. Wir wollten mit den anderen Unternehmen, den schwarzen Schafen der Branche, nicht länger in einen Korb geworfen werden. Wir haben uns gefragt, wie wir diese Abkoppelung erreichen könnten. Da wurde die Idee vom eigenen Kollektivvertrag geboren.

STANDARD: Aber Sie könnten Ihren Mitarbeitern auch bessere Arbeitsbedingungen bieten ohne eigene Vereinbarung mit der Gewerkschaft.

Wendl: Das ist ein berechtigter Einwand. Die Antwort lautet: Wir haben uns natürlich als Unternehmen in diesem Prozess mit der Gewerkschaft Benefits geholt, die vor allem in Richtung Entstaubung eines Uraltsystems gehen. Ein Beispiel: Es gibt noch einen Fremdsprachenzuschlag für Englisch in der Branche. Wir haben gesagt, wir zahlen von vornherein mehr und sparen uns diesen Zuschlag und damit die Verwaltungskosten dafür. Es gibt in Österreich neun Bundesländer mit neun Tourismus-Gehaltstabellen, neun verschiedene Verrechnungsthemen. Was wir aus unternehmerischer Sicht geschafft haben, ist, Vereinfachung hineinzubringen.

STANDARD: Der Kollektivvertrag kostet Sie eine Million im Jahr, ist das richtig?

Wendl: Genau, etwa weil die Einstiegsgehälter höher sind. Umgekehrt spart er uns Kosten, weil wir weniger Fluktuation erwarten.

STANDARD: Sie haben Soziologie studiert, das ist keine klassische Tourismusausbildung. Spielt das eine Rolle in Ihrer Herangehensweise?

Wendl: Vielleicht ein wenig. Ich hab allerdings nicht fertig studiert. Ich bin noch während meines Studiums nach Graz gekommen und habe drei Jugendherbergen übernommen.

STANDARD: Das war der Grundstein für die späteren Jufa-Hotels, diese drei Jugendherbergen.

Wendl: Das waren damals Jugendherbergen, wie man sich das vorstellt, wo jeder seine Bettwäsche abholen musste und mit etwas Glück Einlass in den Schlafsaal bekam. Mein Glück war, dass die Jugendherbergen so heruntergekommen waren, dass sich niemand mehr wirklich für sie interessiert hat. Was ich aber an diesem Konzept reizvoll fand, war, einen Begegnungsort zu schaffen, der offen für alle sozialen Gruppen war. Wir haben uns dann neu aufgestellt, die Jugendherbergen in eine Stiftung eingebracht, und daraus ist 1991 die Jufa-Hotel-Idee geboren worden.

STANDARD: Mit Jugendherbergen haben Ihre Hotels nicht mehr viel gemeinsam, die meisten Standorte sind gehobenes Drei- und Viersternniveau.

Wendl: Aber unsere Hotels betreiben wir nach dem gleichen Schema: Viele sind offen für die Region und für die Bevölkerung. Wir sind ein sozialer Treffpunkt, der nicht nur Hotelgästen offensteht. Das war immer unser Mantra. Wir wollen nicht isolierte Hotelghettos schaffen.

STANDARD: Gelingt das?

Wendl: Wir haben gerade erst in Kärnten, in Knappenberg, einen Eissalon beim Hotel eröffnet. Es gibt dort in der Region nichts mehr, die Leute sind an Wochenenden viele Kilometer zum Eisessen gefahren. Hier in Graz steht die Kletterhalle in unserem Hotel etwa den Studierenden offen, die sie mitnutzen. In anderen Hotels haben wir Kegelbahnen und jede Menge Sporteinrichtungen, Indoor-Spielplätze. Wir sind offen für die Bevölkerung und verfolgen ein touristisches Konzept der Begegnung. Das heißt, es treffen sich Einheimische mit Gästen aus aller Welt. Das ist ein anderes Konzept als: Ich wohne in einem Klub und treffe dort, als sagen wir Wiener Gast, lauter andere Wiener.

STANDARD: Viele Ihrer Häuser liegen in Regionen, die keine touristischen Hotspots sind.

Wendl: Ich glaube, es gibt gerade in Österreich Regionen, die in Zukunft an Wertigkeit gewinnen werden durch manche Veränderungen, etwa den Klimawandel. Regionen, die vielleicht aktuell belächelt werden, aber in Zukunft touristisches Potenzial haben. Wir haben jetzt in der Eisenerzer Ramsau mit dem Nordischen Ausbildungszentrum vom ÖSV einen Stützpunkt geschaffen, wo junge Sportler trainieren können. Aber da gibt es natürlich auch eine wunderschöne Bergwelt für aktive Menschen, die sich gern bewegen. Wir haben in der ganzen Gruppe fast eineinhalb Millionen Übernachtungen im Jahr. Dadurch können wir auch Gäste für Regionen erwärmen, die ansonsten nicht so eine Anziehung ausüben. Diese Regionen werden über uns ein wenig mit wachgeküsst.

STANDARD: Wie schwer tun Sie sich damit, Personal zu finden?

Wendl: Es ist nicht einfach, Leute zu finden, vor allem im Westen Österreichs nicht. In einer Tourismusregion mit 10.000 Einwohnern und 30.000 Gästebetten liegt das auf der Hand. Wir selbst haben sehr gute Erfahrungen mit sehr jungen und auch mit älteren Arbeitnehmerinnen gehabt, die das als Chance sehen, wir haben viele Frauen als Wiedereinsteigerinnen im Unternehmen.

STANDARD: Viele Ihrer Kollegen beklagen sich über mangelnde Qualität von Bewerbern, die das AMS schickt.

Wendl: Wir würden uns schon wünschen, dass da manchmal mehr Flexibilität oder Motivation da wäre, Jobs anzunehmen. Wir sind, glaube ich, kein unsozialer Dienstgeber, aber haben schon die Erfahrung gemacht, dass es jene gibt, die Angebote gar nicht annehmen wollen. Jetzt ist die Frage, ob man als Gesellschaft nicht sagen sollte: Mit dem leben wir, das AMS-Geld ist eine Art Grundeinkommen. Man muss das auch so benennen. Aber ich glaube, jene, die bereit sind mitzuarbeiten, bräuchten eine steuerliche Entlastung, vor allem bei den unteren Einkommen. Jetzt gibt es manche Leute, die sagen: Dann soll der Hotelier oder Wirt mehr zahlen, und dann kostet das Schnitzel 50 Euro. Aber welche Familie mit zwei Kindern kann sich das dann leisten? Aber es gibt noch ein großes Thema. Jetzt habe ich über jene gesprochen, die nicht arbeiten wollen. Dann gibt es auch andererseits viele Menschen bei uns im Land, die gerne arbeiten würden, denen aber alle Steine in den Weg gelegt werden.

STANDARD: Über wen sprechen Sie?

Wendl: Wir haben gute Beispiele für gelungene Integration bei uns im Betrieb. Wir hatten zum Beispiel einen afghanischen Koch, der sich in der Berufsschule alle Auszeichnungen erworben hat. Als er fertig war, sollte er sofort abgeschoben werden. Wir sind damals mit zur Fremdenpolizei gegangen und wollten erwirken, dass er bleiben kann. Das ist sicher ein Punkt, wo in der Republik nachgedacht werden muss, diese alten Muster zu verändern. Die Tourismusbranche sucht 30.000 Mitarbeiter, und eigentlich müssten wir alles dransetzen, Menschen, die schon hier sind, am Arbeitsmarkt zu integrieren.

STANDARD: Sie reden über Asylwerber, die nicht arbeiten dürfen.

Wendl: Und genau das verstehe nicht. Wir suchen händeringend Mitarbeiter, und da sind Leute, die bereit sind, aus der Bundesbetreuung rauszugehen, sich selbst eine Existenz aufzubauen und in den Arbeitsprozess einzusteigen. Das wäre doch ein Idealfall. Jeder Politiker, mit dem ich spreche, sagt mir unter der Hand, dass er genau diese Meinung hat. Aber keiner traut sich, das heiße Eisen anzugreifen.

STANDARD: Die Österreicher sind nicht immer aufgeschlossen, wenn es um Geflüchtete geht.

Wendl: Nichts zu sagen, weil es politisch opportun erscheint, wäre aber ein Fehler. Wir bewerben Regionen in der Südsteiermark nach dem Motto: Dort kannst du dann zum Buschenschank und Heurigen gehen und ein Glas Wein trinken. Das funktioniert. Wenn es dort eines Tages aber kein Angebot mehr gibt, weil niemand mehr da ist, um zu servieren, dann wird der Tourismus aussterben. Ich hab es auch der Frau Tourismus-Staatssekretärin (Susanne Kraus-Winkler, ÖVP, Anm.) bei einem Termin gesagt: Wäre es nicht ein Ansatz, jene, die schon hier sind, zu integrieren? Anstatt auf Glücksritter zu setzen, etwa Arbeitskräftevermittler, die uns anbieten, Leute aus Indien zu beschaffen.

STANDARD: War die Antwort der Staatssekretärin?

Wendl: Ich hatte das Gefühl, dass sie durchaus Verständnis hat, aber dass das politische Umfeld keine pragmatische Lösung zulässt. (Andras Szigètvari, 29.7.2023)