Anna Smirnowa saß da wie ein Häufchen Elend. Nein, nicht ihre klare Niederlage bei der Fecht-WM hatte der jungen Russin zugesetzt. Vielmehr war es der verweigerte Handschlag ihrer ukrainischen Kontrahentin Olha Charlan. Ihr 45-minütiger Sitzstreik am Ort des Kampfes brachte Smirnowa zwar nicht das Weiterkommen, der Siegerin aber eine Disqualifikation.

Fecht-WM
Die ukrainische Olympiasiegerin Olha Charlan im Kampf gegen die Russin Anna Smirnowa bei der Fecht-WM.
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Das ist für sich genommen schon peinlich für den Fecht-Weltverband FIE, zumal Charlan ihrer Gegnerin als Minimalzeichen des Respekts den Säbel zum Kreuzen hingestreckt hatte. Dass die Ukrainerin danach FIE-Präsident Emmanuel Katsiadakis des Wortbruchs bezichtigte, macht die Sache noch schlimmer. Katsiadakas habe ihr zugesichert, dass sie auf den sonst obligatorischen Handshake verzichten dürfe. Vor allem aber zeigt die Szene: Der russische Sport muss bis Kriegsende verbannt bleiben. Auch das von Olympier Thomas Bach propagierte Antreten unter neutraler Fahne ist keine Lösung.

Es ist eine moralisch unangenehme Frage, ob Athleten aus einem kriegsführenden Staat für den Irrsinn ihres Präsidenten bestraft werden sollen. Was kann denn Wassili Normalsportler, der sein ganzes Leben Olympia gewidmet hat, dafür?

Gegenfrage: Warum soll eine Ukrainerin im fröhlichen sportlichen Wettstreit gegen eine Athletin antreten, die mehr oder weniger offensiv den Aggressor vertritt? Die 23-jährige Smirnowa fährt freilich keinen Panzer, aber auch sie posiert auf Instagram stolz mit ihrem in voller Armeemontur steckenden Bruder. Die Menschen in der Ukraine sind von diesem Krieg auf eine Art betroffen, die manch privilegierter Sportfunktionär nicht nachvollziehen kann – oder will, denkt man an Bachs Russland-Nähe.

Ukrainerinnen ins Duell mit Russinnen zu zwingen ist verwerflich. Sie dann zu Friedensgesten zu nötigen ist jenseitig. (Martin Schauhuber, 28.7.2023)