Bild eines Wurms
Ein Wurm der Art Panagrolaimus kolymaensis unter dem Elektronenmikroskop.
Alexei V. Tchesunov and Anastasia Shatilovich / Institute of Physicochemical and Biological Problems in Soil Science RAS

Kaum ein Popkultur-Setting verarbeitet die Gefahren von Wissenschaft unterhaltsamer als jenes von unbekannten Lebensformen aus dem ewigen Eis, die nach Jahrtausenden oder Jahrmillionen wiedererweckt werden. Sticht in der Literatur H. P. Lovecrafts Erzählung "Die Berge des Wahnsinns" hervor, sind es auf der Leinwand vor allem die beiden Verfilmungen der Kurzgeschichte "Das Ding aus einer anderen Welt" aus den Jahren 1951 und 1982, die als klassische Beispiele des Genres gelten. Erst vor einigen Jahren brachte "Freud"-Regisseur Marvin Kren mit "Blutgletscher" eine sehenswerte österreichische Variante der Geschichte in die Kinos.

Bereits seit einigen Jahren ist bekannt, dass vor allem Viren aus dem zunehmend tauenden ewigen Eis tatsächlich noch aktiv sein und eine Gefahr werden können. Nun kommt eine neue wissenschaftliche Arbeit den Horrorgeschichten noch näher. Anastasia Shatilovich vom Institut für physikalisch-chemische und biologische Probleme der Bodenkunde (RAS) in Russland gelang es, zwei Fadenwürmer zu reanimieren, die 2018 in 40 Metern Tiefe in Schlickablagerungen beim Kolyma-Fluss im Sibirischen Permafrost gefunden wurden. Die Radiokarbondatierung des umliegenden Materials zeigte, dass die Würmer seit dem Pleistozän vor etwa 46.000 Jahren dort gelegen hatten.

Bereits seit längerem hatte eine Gruppe um Teymuras Kurzchalia vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden sich für die Frage interessiert, wie die Larven von Fadenwürmern extremen Bedingungen widerstehen können. Als die Forschenden davon hörten, kontaktierten sie Shatilovich und begannen eine Zusammenarbeit. Die Dresdner Gruppe machte sich daran, die DNA eines der Würmer zu analysieren.

Wie überlebt ein Tier im Eis?

Trotz der vorliegenden DNA-Ergebnisse und der Bilder des Wurms erwies es sich als schwierig festzustellen, welcher Spezies der Wurm angehörte. Der Stamm der Fadenwürmer ist extrem artenreich. Gemeinsam mit Forschenden vom Dresden Concept Genome Center und der Universität Köln gelang letztlich der Nachweis, dass es sich um eine neue Art handelt. Davon berichtete das Team nun in einer Studie im Fachjournal "PLOS Genetics". Die Art erhielt den Namen "Panagrolaimus kolymaensis", nach dem Fundort am Kolyma-Fluss.

Der Permafrost nahe dem sibirischen Kolyma-Fluss gibt immer wieder gut erhaltene Relikte aus dem Pleistozän frei.
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Doch wie es dem Tier gelungen war, so lange im Permafrost zu überdauern, war nach wie vor ein Rätsel. "Welche molekularen und metabolischen Wege diese kryptobiotischen Organismen nutzen und wie lange sie in der Lage wären, das Leben auszusetzen, ist noch nicht vollständig geklärt", sagt Vamshidhar Gade, der inzwischen an die ETH Zürich gewechselt ist. Die Gruppe wollte also wissen, welche Gene dafür verantwortlich sein könnten.

Dazu verglich das Team aus Köln die Gene der neuen Art mit jener des bestuntersuchten Fadenwurms Caenorhabditi elegans, der als Modellorganismus in der Wissenschaft beliebt ist. Auch C. elegans kann eingefroren und nach dem Auftauen wieder reanimiert werden. Es stellte sich heraus, dass die meisten der Gene, die der Larve von C. elegans erlauben, das Einfrieren zu überstehen, auch in Panagrolaimus kolymaensis präsent waren.

Neben den genetischen Analysen wurden auch Versuche mit lebenden Individuen der neuen Wurmart durchgeführt. Sie ergaben, dass ein moderater Wasserentzug vor dem Einfrieren die Konzentration eines Zuckers namens Trehalose im Organismus erhöhte. Das erlaubte es den Würmern, Temperaturen von minus 80 Grad Celsius zu überstehen.

Der Klassiker "Das Ding aus einer anderen Welt" aus dem Jahr 1951 beschäftigt sich besonders gelungen mit dem Unbekannten, das im Ewigen Eis schlummert.
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Auch neue Erkenntnisse über Modellorganismus

Zur Überraschung des Teams funktionierte dieser Trick auch bei dem bekannten C. elegans. Auf diese Weise ließen sich auch diese Würmer nach 480 Tagen bei minus 80 Grad wieder reanimieren. "Unsere experimentellen Ergebnisse zeigen auch, dass Caenorhabditis elegans über längere Zeiträume in einem Ruhezustand lebensfähig bleiben kann, als bisher dokumentiert wurde", sagen Gade und Kurzhchalia. "Insgesamt zeigt unsere Forschung, dass Fadenwürmer Mechanismen entwickelt haben, die es ihnen ermöglichen, über geologische Zeiträume hinweg lebensfähig zu bleiben."

Die Forschenden erwarten sich, dass ein besseres Verständnis der Anpassungsfähigkeit dieser Tiere dem Artenschutz im Zusammenhang mit Veränderungen durch den Klimawandel helfen wird. Abgesehen davon stellen die beiden Würmer einen neuen Rekord dar, sagt Kurzhchalia: "Diese Studie verlängert die längste dokumentierte Kryptobiose bei Fadenwürmern um Zehntausende von Jahren." Dass sie die zivilisierte Welt bedrohen werden, wie in den klassischen Horrorgeschichten, ist allerdings nicht zu erwarten. (Reinhard Kleindl, 31.7.2023)