Bregenz
Alltagsgegenstände aus Vietnamkriegs-Altmetall.
Tretter

Die große Stunde von G. I. Joe schlug 1943, als er im letzten Moment das Bombardement von Calvi Vecchia durch die US-Armee verhinderte. Das süditalienische Städtchen war zu diesem Zeitpunkt bereits von den britischen Alliierten eingenommen, die Bomben der Amerikaner hätten also Verbündete anstatt der deutschen Truppen getroffen. G. I. Joe, dem Überbringer der entscheidenden Luftpost, wurden später sogar Medaillen an die gefiederte Brust geheftet, eine Ehre, die auch andere Vertreterinnen und Vertretern seiner Zunft erfuhren. Sie hießen Winkie, Cher Ami, Mary of Exeter oder The Mocker und wurden ebenfalls als Brieftauben im Kriegsdienst berühmt.

Wenn Anna Jermolaewa Famous Pigeons ("Berühmte Tauben") aus Kriegen des 20. Jahrhunderts porträtiert, sind die ihnen vom Menschen abgerungenen "Heldentaten" (trotz Schuss in die Brust noch tapfer zum Stützpunkt geflogen!) aber nur die dünne Wasserfarbenpolitur auf schmutzigem Grund: Letztlich sind die Tiere bloß des Menschen Kanonenfutter an der Front.

Die russische Invasion

In der bereits 2014 begonnenen Werkserie Chernobyl Safari sind sie auch Spukgestalten des Anthropozäns: Heimisch in einer vom Menschen verlassenen, kontaminierten Sperrzone, zuletzt erneut heimgesucht von menschlicher Zerstörungswut durch die russische Invasion in die Ukraine. Zurückgeblieben ist ein vermintes Gebiet, Jermolaewa ist es aber kürzlich gelungen, Teile des im Februar und März 2022 via Wildkameras aufgenommenen Bildmaterials zu bergen. Diese Aufnahmen sind nun erstmals im Kunsthaus Bregenz zu sehen, das der Künstlerin aktuell eine vornehmlich mit Werken aus der eigenen Sammlung bestückte Schau im Erdgeschoß widmet.

Jermolaewa, 1970 in Sankt Petersburg geboren, floh 1989 aus der Sowjetunion in den Westen und erhielt politisches Asyl in Österreich. Im kommenden Jahr vertritt sie Österreich auf der Venedig-Biennale, was auch der Anlass für die aktuelle Präsentation in Bregenz ist. Und sie funktioniert als Warm-up tadellos, hat man doch einige schöne Beispiele für Jermolaewas kritisch-politische, oft auch von hintergründigem Humor getragene Auseinandersetzung mit den Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens, mit Machtstrukturen und mit sozialen und politischen Verhältnissen auf Lager.

Blindgänger im Boden

Das Thema Krieg lässt sich als inhaltliche Klammer ausmachen, Jermolaewa tischt es uns im behaglichen Ambiente eines Esszimmers auf, das Besteck auf dem gedeckten Tisch in der Installation Dining Room aus dem Jahr 2017 ist aber aus Kriegsrelikten gemacht. Während des Vietnamkriegs warfen die USA zwei Millionen Tonnen Bomben über Laos ab, bis heute liegen unzählige Blindgänger im Boden des Landes vergraben, aus den Aluminiumhüllen stellt die Bevölkerung heute unter anderem Messer, Gabeln und Löffel her.

Für Venedig hat Jermolaewa eine Auseinandersetzung mit gewaltfreiem Widerstand unter dem Titel A Language of Resistance angekündigt, zuvor wird man ihren Arbeiten auch im Museum der Modernde Salzburg begegnen, wo die Künstlerin den Otto-Breicha-Preis erhalten wird. (Ivona Jelcic, 31.7.2023)