Im Gastblog begibt sich die Historikerin Tamara Scheer auf die Suche nach der Geschichte des Bosnischen.

Bosnisch? In meiner Kindheit und Jugend in Wien war jener Begriff, den ich am häufigsten für die Sprache des südöstlichen Nachbarn gehört habe, Jugoslawisch. Selbst das später gebräuchliche B/K/S für Bosnisch/Kroatisch/Serbisch verursacht heute noch oftmals Erstaunen, insbesondere die erstgenannte Sprache. Tatsächlich hat die Verwendung des Begriffs Bosnisch eine lange Geschichte, und auch Österreich-Ungarn hatte im 19. Jahrhundert Anteil daran, dass er weitere Verbreitung fand. Was also hatte Österreich-Ungarn mit der bosnischen Sprache zu tun, und weshalb wurde der Begriff trotz Widerstands gerade vonseiten der österreichisch-ungarischen Besatzungsverwaltung für die Soldaten aus Bosnien-Herzegowina verwendet?

Österreich-Ungarn und Bosnien-Herzegowina

Ab dem frühen 19. Jahrhundert ereigneten sich in Südosteuropa, das damals zum größten Teil noch zum Osmanischen Reich gehörte, immer wieder blutige Auseinandersetzungen. Jahr für Jahr kam es zu Flüchtlingswellen und Österreich-Ungarn war durch seinen langen Grenzverlauf in der Region – so gehörten im Südosten das heutige Nordserbien und im Westen die kroatische Küste zum Habsburgerreich – von allen europäischen Großmächten besonders davon betroffen.

Das 19. Jahrhundert war auch von europäischen Großmächten geprägt, die motiviert durch eigene politische Interessen, wie mit Konflikten umzugehen war, oftmals untereinander und über die Köpfe anderer Staaten hinweg entschieden. Im Jahr 1878 traf man sich in Berlin zu einem Großmächte-Kongress, um dem so genannten Pulverfass Balkan endgültig beizukommen. Hier wurde schließlich entschieden, dass Österreich-Ungarn Truppen entsenden sollte, um Bosnien und die Herzegowina zu besetzen und so den ständigen Konflikten ein Ende zu bereiten. Es sollte allerdings formal "nur" eine Besatzung sein, und Bosnien-Herzegowina offiziell immer noch Teil des Osmanischen Reiches bleiben.

Da das Osmanische Reich in Berlin zugestimmt hatte, seine Truppen und Beamten aus Bosnien und der Herzegowina abzuziehen, erwartete sich Österreich-Ungarn einen unkomplizierten Einmarsch. Es kursierte sogar der Witz, dass Militärmusik und Gulaschkanone hierfür ausreichend wären. Das war aber, wie sich herausstellen sollte, ein Irrtum. Tatsächlich entspannten sich heftige Kämpfe mit in der Folge tausenden Toten, da nicht alle osmanischen Truppen dem Abzugsbefehl nachkamen, und vor allem auch Teile der muslimischen Bevölkerung bewaffneten Widerstand leisteten.

Bosniaken in der österreichisch-ungarischen Armee

Die Verwaltung im besetzten Bosnien-Herzegowina, die militärisch dominiert war, übernahm viele Strukturen nach dem Vorbild Österreichs oder Ungarns. Wie im Rest der Habsburgermonarchie, wurde eine Wehrpflicht eingeführt und tausende junge Männer aus Bosnien-Herzegowina hatten fortan ihren mehrjährigen Wehrdienst in den österreichisch-ungarischen Streitkräften abzuleisten. In rascher Folge wurden alle Soldaten dieser bosnisch-herzegowinischen Regimenter, unabhängig ihrer Religionszugehörigkeit, als Bosniaken bezeichnet. Zu ihrem gemeinsamen Markenzeichen wurde schließlich die zunächst rote, dann im Ersten Weltkrieg feldgraue besondere Kopfbedeckung, der Fez.

Alle Wehrpflichtigen, die in der österreichisch-ungarische Armee dienten, hatten das Recht (und sogar die Pflicht), in ihrer Muttersprache ausgebildet zu werden und ihre Sprache während der Dienstzeit zu verwenden. Grundsätzlich wurden jedoch nur bestimmte Sprachen anerkannt und nur die jeweiligen Sprachbegriffe durften offiziell verwendet werden. Nach dem damaligen Verständnis machten diese Sprachen dann Nationalitäten aus. Gemäß der Sprachpraxis der Armee kamen für die Bosniaken somit nur zwei Sprachkategorien in Betracht: kroatisch und serbisch, und das hätte sie im damaligen Verständnis von Nationalität entweder zu Kroaten oder zu Serben gemacht. Diese Praxis sahen die Militärs in Bosnien-Herzegowina als mangelhaft an, da auf diese Weise die Muslime nicht repräsentiert wurden. Es ergab sich so ein Dilemma, dem man durch die Verwendung des Begriffs Bosnisch beikommen wollte.

Grab am Friedhof
Auf dem Militärfriedhof Lebring (Steiermark) befinden sich die Gräber von 805 Bosniaken aus der Zeit des Ersten Weltkriegs.
Tamara Scheer

Offizier und Unteroffizier: Šerif Kosmić und Nikola Gjurgević

Trotz des Verbots aus Wien wurde der Begriff Bosnisch ständig in Verwaltungsdokumenten verwendet. Es geht sogar eindeutig daraus hervor, dass er nicht nur für muslimische Soldaten Verwendung fand. Die folgenden zwei Beispiele stehen stellvertretend für viele.

Der muslimische Berufsoffizier Šerif Kosmić, 1881 als Sohn eines Landbesitzers in einem Dorf nahe Jajce geboren, besuchte zunächst eine Militärinternatsschule in Sarajevo und im Anschluss daran eine Offiziersschule in Graz. Ab 1901 war er in verschiedenen Garnisonen außerhalb seiner Heimat eingesetzt, so zum Beispiel im mährischen Znojmo, bevor er in seine Heimat zurückkehrte und in Trebinje sowie in Mostar diente. Sein Personalakt zeigt, dass er die bosnische Landessprache, Deutsch und Ungarisch beherrschte. Der orthodoxe Unteroffizier Nikola Gjurgjević, 1878 in Bosnisch Brod geboren, Sohn eines einfachen Bauern und von Beruf Schneider, bewarb sich nach Ablauf seiner Dienstzeit als Unteroffizier im Jahr 1907 um eine Kanzleistelle bei der bosnisch-herzegowinischen Landesregierung. Nach seinem Personalakt, der im Archiv in Sarajevo verwahrt wird, sprach er "bosnisch, etwas deutsch". Bosnisch wurde also unabhängig von der Religionszugehörigkeit verwendet. Und nicht nur das, der Begriff fand in allen Reichsteilen seine Verwendung. Einem gewissen Pietro Tisot, geboren im ungarischen Arad und in Tirol eingezogen, wurde laut Personalakt bescheinigt Italienisch, Deutsch und Bosnisch zu sprechen.

Die Zweierbosniakengasse in Graz-Strassgang erinnert an die Stationierung des 2. bosnisch-herzegowinischen Infanterieregiments in der steirischen Landeshauptstadt.
Universität Graz/Slawistik, Instagram

Sprachen die Bosniaken also bosnisch oder nicht?

Unabhängig davon, was die Bosniaken selbst als Antwort auf die Frage nach ihrer Muttersprache gegeben hätten, war die Sprachpraxis in der Armee geprägt vom Zeitgeist. Das 19. Jahrhundert war eine Zeit der Verwissenschaftlichung und Neustrukturierung der Verwaltung. Der Staat war maßgeblich daran beteiligt an der Entscheidung, was als Sprache betrachtet wurde und daher als Grundlage für eine Nationalität dienen konnte. Da zumindest die Militärverwaltung in Bosnien-Herzegowina vehement aus mehreren Gründen für die Verwendung des Bosnischen eintrat, bekam dieser Sprachbegriff in gewisser Weise historische Realität, wenngleich er offiziell verboten war. Bosniaken sprachen in diesem Sinne demnach Bosnisch, da es ihnen von der österreichisch-ungarischen Militärverwaltung zugeschrieben wurde und bis heute in den Archivquellen festgehalten ist. (Tamara Scheer, 4.8.2023)