Fanny Ardant
Pierre (Melvil Poupaud) taxiert mit sachlich-zärtlichem Blick die 25 Jahre ältere Shauna (Fanny Ardant).
Alamode Film

Es ist ein sehr schönes Exil, das sich die ehemalige Architektin Shauna für ihren Lebensabend eingerichtet hat: ein Cottage in Irland, bewacht von einem Hund, zum Strand ist es nicht weit, wenn sie nachts einmal nicht schlafen kann, hört sie den Wellen zu. Shauna hat sich keineswegs schon ganz vom Leben verabschiedet, aber sie hält ein bisschen Distanz. Bis eines Tages Pierre bei ihr auftaucht, ein Freund eines Bekannten. Wie sich herausstellt, kennen die beiden einander schon. Fünfzehn Jahre davor standen sie beide an einem Krankenbett in Lyon, Pierre als Arzt und Shauna als Nahestehende einer Frau, die damals im Sterben lag.

Ein Abgrund für die Liebe

Normalerweise wird so ein Wiedersehen von Floskeln begleitet: Man habe sich kaum verändert. Shauna sieht das anders. Pierre hat sich verändert, er ist älter geworden. Aber er ist immer noch mehr als 25 Jahre jünger als sie. Für eine Beziehung ist das eine Ewigkeit. Für die Liebe aber ist es ein Abgrund, der sich vielleicht überbrücken lässt. Dabei kommt es nicht darauf an, dass jemand Im Herzen jung ist, wie der deutschsprachige Titel des Films von Carine Tardieu ein wenig süßholzraspelnd übersetzt. Im Französischen klingt das realistischer und zugleich utopischer: Les jeunes amants, die jungen Liebenden.

Liebe ist zu Beginn immer jung, egal in welchem Alter. Aber kann sie auch jung bleiben in einer so ungewöhnlichen Konstellation wie der zwischen Shauna und Pierre? Carine Tardieu gibt Antworten auf diese naheliegenden Fragen auf zweierlei Weise: mit einem dramaturgisch klugen Drehbuch, das keine Abkürzungen sucht, und mit der Wahl der Schauspieler. Eine Geschichte dieser Art wird immer ein Experiment sein, sie muss sich bewähren gegenüber den Projektionen, die sich auf eine solche "unwahrscheinliche" Liebesgeschichte richten.

Alamode Film

Fanny Ardant und Melvil Poupaud lassen dieses Experiment sehr lebensnah werden und weisen es zugleich als ein Kinoereignis aus. Fanny Ardant ist unübersehbar ein Star, sie gehört zu den Legenden des französischen Kinos, groß geworden ist sie in Filmen von François Truffaut und Alain Resnais, heute ist sie in einer Liga mit Catherine Deneuve. Ihre Erscheinung ist nahbarer, aber gleichwohl bleibt Shauna auch ein bisschen eine Konzeptfigur – ein Anlass, etwas durchzuspielen.

Angegraute Jugendlichkeit

Die interessantere Herausforderung ist die für Melvil Poupaud, der gefühlt erst neulich in Éric Rohmers Sommer (de facto war das schon 1996) als jugendlicher Liebhaber an einem Strand herumlief. Nun ist er in eine nur ganz leicht angegraute Jugendlichkeit eingetreten, aber sein Blick scheint schon von vielen Dingen zu wissen: ein sachlich-zärtlicher Blick, wenn es diese Kombination denn geben könnte. In der Liebesgeschichte mit Shauna muss Pierre sich mehr erklären, aber er versucht das gar nicht groß, er stellt sich lieber – wie einst Clint Eastwood in The Bridges of Madison County – in den Regen und macht sich angreifbar.

Die Idee zu Im Herzen jung stammt von der Filmemacherin Sólveig Anspach, die 2015 54-jährig an Brustkrebs starb. Ihr ist der Film gewidmet, der sich dann auch sehr gründlich mit allen Implikationen der Endlichkeit auseinandersetzt. Er wird dabei nicht schwerfällig, verzichtet aber auch auf sentimentale Leichtigkeit. Liebe erfüllt sich im Moment und bewährt sich in der Zeit. Shauna und Pierre suchen für diese Spannung eine Balance, die allen romantischen Übersprungshandlungen entsagt. Ein beinahe realistischer Film über die Zumutungen der Liebe. (Bert Rebhandl, 2.8.2023)