Oxbow
Eugene S. Robinson (rechts) und Oxbow: Liebe kann natürlich auch eine grimmige Sache sein.
Phil Sharp

Wenn man Eugene S. Robinson mit seiner Hauptband Oxbow auf der Bühne sieht, wie er mit weit aufgerissenen Augen ins Publikum brüllt und mit kräftiger, aber gebrochener Soulstimme aus der Hölle über die nicht so hell ausgeleuchteten Bereiche des Lebens singt, werden nur die wenigsten eines vermuten: Da steht ein Mann, der in Stanford studiert hat. Er könnte gleich von der Bühne herunterstürzen und sich an uns für etwas rächen, über das wir nicht mehr reflektieren werden können, weil ... Game over.

Sein Grundeinkommen bestreitet Eugene S. Robinson seit den 1980er-Jahren unter anderem als Zeitschriftenherausgeber und Journalist für Magazine wie GQ, LA Weekly, The Wire, Vice oder den Hustler. Er hat einen Hard-boiled-Roman veröffentlicht, als Schauspieler gearbeitet oder ein Guggenheim-Stipendium bezogen. Er moderierte beim deutschen Viva TV einst auch eine eigene Interviewshow. Als Musiker und Spoken-Word-Artist arbeitete er mit artverwandten künstlerischen Größen der drastischen Kunst wie Lydia Lunch, Steve Albini, Richard Kern und Henry Rollins oder spielt aktuell mit italienischen Musikern als Noise-Trio Bunuel zusammen.

Wilde Musik macht wucki

Der muskelbepackte und tätowierte Afroamerikaner auf der Bühne steckt jedenfalls in einem viel zu engen Anzug. Irgendwann trat Robinson in der Vergangenheit dann nackt oder nur in Unterhose bekleidet auf. Securitykräfte braucht er zur Besänftigung wild gewordener Leute im Publikum bis heute keine. Wilde Musik macht das Publikum wucki. In seinem Fall kann das Umgekehrte eintreten.

Ipecac Recordings

Immerhin war der in Kalifornien mit Frau und Kindern lebende, über 60-jährige Sänger in seinem früheren Leben auch schon Türsteher und hat eine gewisse Erfahrung bezüglich Gewalt in und außerhalb von Ringen und Clubs. Er hat diverse brasilianische und asiatische Kampfsportarten oder das in den USA gängigere Boxen und Wrestling nicht nur studiert, er hat sie teilweise erfolgreich bis hin zu Meistertiteln praktiziert. Insofern sollte man den zwei Meter zehn großen Schwergewichtler nicht als Schreibtischhengst bezeichnen. 2010 hat er als Autor mit dem enthusiastischen Sachbuch Fight: Everything You Ever Wanted to Know About Ass-Kicking But Were Afraid You’d Get Your Ass Kicked for Asking beim Großverlag Harper Collins das hohe Lob der blutigen Nasen veröffentlicht.

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Zusammen mit Oxbow hat nun also ausgerechnet Eugene S. Robinson mit Love’s Holiday ein Album im Zeichen der Liebe veröffentlicht. Das ist etwas ungewöhnlich, wenn man nach seinen Anfängen mit der Hardcore-Band Whipping Boy in den 1980er-Jahren bedenkt, dass das spätere Debüt von Oxbow von 1989 einst Fuckfest titelte – und sich die Songs immer wieder mit so hübschen Themen wie Hass in allen Schattierungen, Untergang, Nihilismus oder Selbstmord auseinandersetzten. Klar, Oxbow sind seit mehr als drei Jahrzehnten nicht deine La-le-lu-Band von nebenan, die man ohne Triggerwarnung auf einem FM4-Fest spielen lassen könnte.

Amore und Panikattacke

Bisher waren die Alben der US-Band zwischen Hardcore-Punk, Jazz, Metal, metallischem Klirren, Freistilrock und jenem psychotischen Blues angesiedelt, wie ihn Nick Cave und The Birthday Party in den frühen 1980er-Jahren oder später The Jesus Lizard praktizierten. Aber wo die Liebe hinfällt, da sind oft auch sanftere Töne angesagt. Dead Head, der Eröffnungssong von Love’s Holiday, ist noch alte Freak-out-Schule. Mit Million Dollar Weekend klingen Oxbow später in etwa so, als würde Eddie Vedder mit Pearl Jam einen geliebten Menschen anschmachten, bevor eine Panikattacke einsetzt. Die Gitarre wird dabei sensationellerweise gezupft! Am Ende erhebt in Gunwale gar ein getragener Chor die Stimmen.

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Inhaltlich geht es um den Tod auf hoher See, Prostitution, um die gewagt gedeutete Liebe von Junkies zum Gift wie in Icy White & Crystalline – und dann ja doch um Amors Pfeil. Im mit der großartigen Gothic-Dramaqueen Kristin Hayter alias Lingua Ignota gesungenen Lovely Murk heißt es: "Love is like hunger when your’re dying of thirst. And the end will always most assuredly come first." Schenk deiner Frau doch hin und wieder rote Rosen. (Christian Schachinger, 2.8.2023)