Donald Trump hat eine demokratische Wahl systematisch diskreditiert. Tatsächlich bereitete er selbst die Fälschung des Ergebnisses vor. Er nötigte verantwortliche Politiker, die Stimmenzahl zu manipulieren und Fake-Wahlleute nach Washington zu schicken. Schließlich hetzte er den Mob zum blutigen Sturm auf das Kapitol.

Radikale Unterstützer Donald Trumps und dessen Verschwörungserzählung über die gefälschte US-Wahl 2020 stürmten am 6. Jänner 2021 das Kapitolsgebäude in Washington.
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Alle diese Ungeheuerlichkeiten sind bekannt. Ein Untersuchungsausschuss des US-Kongresses hat die Details des versuchten Umsturzes einer der ältesten Demokratien der Welt in anderthalbjähriger Arbeit minutiös zusammengetragen. Und trotzdem muss sich Donald Trump vor Gericht bislang eher auf Nebenschauplätzen verantworten: Die Vertuschung von Geldzahlungen an einen Pornostar in den Bilanzen, das Beiseiteschaffen geheimer Regierungsunterlagen und die Anstiftung von Bediensteten zur Beweisvernichtung – das alles sind zweifellos schwere Straftaten. Aber sie erfassen nicht ansatzweise die dramatische Dimension der gesellschaftlichen Destruktion, die der gesinnungslose Narzisst über sein Land gebracht hat.

Video: Ex-US-Präsident Donald Trump ist wegen der Erstürmung des Kapitols durch radikale Anhänger angeklagt worden.
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"Nationale Atmosphäre des Misstrauens"

Mit der nun eröffneten dritten Anklage wegen der Geschehnisse rund um den Putschversuch vom 6. Jänner 2021 stößt Sonderermittler Jack Smith endlich zum Kern der Vergehen vor. Trump habe genau gewusst, dass der Vorwurf der Wahlfälschung substanzlos sei, führt die Staatsanwaltschaft messerscharf auf ihrem 45-seitigen Schriftsatz aus. Er habe bewusst eine "nationale Atmosphäre des Misstrauens und der Wut" geschaffen, um das öffentliche Vertrauen in den Urnengang zu untergraben: "Obwohl er verloren hatte, war er entschlossen, im Amt zu bleiben."

Genauso ist es. Juristisch übersetzt geht es um vorsätzlichen Betrug, die Behinderung des urdemokratischen Prozesses der Wahlbeglaubigung und eine Verschwörung, um Bürger um ihr Stimmrecht zu bringen. Das könnte für viele Jahre Haft reichen, wenn es denn zu einer Verurteilung kommt. Es wäre eine gerechte Strafe, endlich.

So schnell freilich wird es dazu nicht kommen. Strafverfahren dieser Art dauern lange, und die USA befinden sich längst im nächsten Präsidentschaftswahlkampf, der Trump einen Wiedereinzug ins Weiße Haus ermöglichen könnte. Die Niederschlagung der Prozesse und eine Begnadigung in eigener Sache wären seine ersten Amtshandlungen.

Deshalb geht es nun vor allem um die politische Wirkung der neuen, schwerwiegenden Anklage. Kurzfristig wird sie Trump nicht schaden. Im Gegenteil: In einer aktuellen Umfrage der "New York Times" erklärten 71 Prozent der Republikaner-Wähler, dass sie trotz aller Anschuldigungen zu ihrem Guru stehen. Der Ex-Präsident wird nun noch mehr Loyalität von seinen Anhängern einfordern: Eine Rückkehr ins alte Amt ist schließlich die einzige sichere Option des 77-Jährigen, einer Gefängnisstrafe zu entgehen.

Umfrage-Paradoxon

Wahrscheinlich sind Trumps Chancen auf die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei deshalb mit dieser Anklage paradoxerweise sogar noch gestiegen.

Mittelfristig aber sieht die Sache anders aus. Da könnte sich hinter dieser Schreckensvision Positives, eine Hoffnung verbergen: So sehr nämlich Trump die republikanische Hardcore-Basis im Griff hat, so sehr stößt er Wechselwähler und erst recht Demokraten ab. Viele liberale Wahlstrategen sind deshalb davon überzeugt, dass den Demokraten nichts Besseres passieren könnte als eine Wiederholung des Duells von Joe Biden mit Trump, der unter dem juristischen Dauerbeschuss noch Ich-fixierter und extremer werden dürfte.

So scheint die Wahrscheinlichkeit, dass Trump auf absehbare Zeit im Gefängnis landet, auch nach dieser Anklage eher gering. Aber die Chancen, dass sein rationaler und trotz mancher Schwächen verlässlicher demokratischer Nachfolger sein Amt behalten kann, sind größer geworden. (Karl Doemens aus Washington, 2.8.2023)