Eine Ratte wird gekitzelt
Ratten sind ganz schön kitzelig – und scheinen es auch zu genießen.
Shimpei Ishiyama & Michael Brecht

Warum sind wir eigentlich kitzelig? Eine eindeutige Antwort hat die Wissenschaft noch nicht auf diese Frage. Vermutet wird eine soziale Funktion – man kann sich bekanntermaßen selbst schlecht kitzeln. Eine andere Annahme geht davon aus, dass das Kitzeln in der Evolution eine Art Vorläufer des Humors war. Es scheint außerdem, dass unkontrolliertes Lachen – durchaus aus eine Folge von Kitzeln – mit Gehirnregionen, die für Motorik zuständig sind, zusammenhängt.

Eines wissen Forschende aber: Ratten sind, ebenso wie auch beispielsweise Menschen, äußerst kitzelig. Wie Michael Brecht von der Berliner Humboldt Universität, eine veritable Koryphäe in der Kitzelforschung, in einer Reihe von Studien beobachten konnte, sind Ratten ziemlich spaßige Gesellen, wenn sie sich in ihrer Umgebung wohlfühlen. Unter den richtigen Umständen sind sie auch für wildes Herumtollen zu haben. Dabei lachen beziehungsweise quieken sie in einer sehr hohen, für menschliche Ohren nicht wahrnehmbaren Tonhöhe. Besonders wenn sie am Rücken oder am Bauch gekitzelt werden, stoßen sie ihr hochfrequentes Kichern aus und vollführen richtige Freudensprünge.

Instinkt zum Spielen

In einer aktuellen Studie im Fachblatt "Neuron" kam das Team um den Neurowissenschafter Brecht beim Spielen mit Ratten den Gehirnstrukturen auf die Spur, die auch beim Menschen für das Bedürfnis nach Spiel, Spaß und Lachen erklären könnten. "Die Neurowissenschaft tendiert dazu, sich auf unangenehme Dinge zu konzentrieren", sagt Michael Brecht. Während es eine Menge Forschung zu Gehirnregionen gibt, die hinter Aggression, Angst und emotionalen Störungen stecken können, würden positive Emotionen wie Spaß, Lachen und Glück vernachlässigt.

Bekannt ist, dass Ratten auch weiterspielen, wenn ihr gesamter Kortex, also der Teil des Gehirns, der wesentlich für das Bewusstsein und komplexes Verhalten zuständig ist, zerstört war. Das legte nahe, dass Spielen, so wie auch Angst, etwas Instinktives an sich hat. Brecht vermutete, dass möglicherweise eine Struktur, die sich periaquäduktales Grau (PAG) nennt, involviert ist. Das periaquäduktale Grau, auch zentrales Höhlengrau genannt, befindet sich im Mittelhirn und koordiniert die Aktivierung der Mimik, der Stimmbänder und der Atmung und somit auch Angst- und Fluchtreflexe. Schließlich imitieren Ratten – ganz genau wie Kinder –, wenn sie spielerisch miteinander kämpfen, Angst und Aggression. Zudem ist Lachen eine fast unumgängliche Komponente des Spielens. "Kinder prüfen, ob gelacht wird, wenn sie miteinander raufen. Wenn ihr Spielgefährte nicht mehr lacht, beenden sie das Spiel."

"Fang die Hand"-Spiel

Um die Rolle des PAG bei Spiel und Spaß experimentell zu erforschen, praktizierten die Forschenden das beliebte "Fang die Hand"-Spiel (siehe Video). Dabei verfolgen die Ratten die Hand ihrer menschlichen Kompagnons, um dann ausgiebig gekitzelt zu werden. Dass die Tiere Freude daran hatten, konnten die Forscher auch mittels im Gehirn implantierter Elektroden feststellen. Wenn die Ratten ins Spiel vertieft waren, leuchte ein bestimmtes Areal des PAG vor Aktivität auf. Zusätzlich blockierten die Forschenden auf chemischen Weg die betreffende Hirnstruktur: Die Folge war, dass die Ratten nicht mehr quiekten, wenn sie gekitzelt wurden, und auch jegliches Interesse an ihren menschlichen Spielgefährten verloren. Dem periaquäduktalen Grau dürfte also eine wesentliche Rolle beim Kitzeln, Lachen und Spielen zukommen, schloss das Forschungsteam.

Why are we ticklish?
The video describes why we are ticklish: Certain neuronal cells in the brain are activated by tickling and trigger laughter. These cells are also activated during play behaviour. Is this a trick of the brain to make us play? Original publication: S. Ishiyama
BernsteinNetwork 2016

Regeltreue Versteckenspieler

Zukünftig möchte Brecht herausfinden, ob das PAG auch in andere Aspekte des Spielens eingebunden ist, etwa das Einhalten von Regeln. Dass Ratten ziemlich pedantisch sind, was die Regeltreue angeht, zeigte sich in einem anderen Experiment von Brechts Team, in dem die Forschenden mit den Nagern Verstecken spielten. Dabei wurde eine Ratte in eine Box gesperrt, während sich eine Person im Raum versteckte. Als sich die Box per Fernbedingung öffnete, begann das Tier zu suchen. Hatte es das Versteck gefunden, gab es zur Belohnung eine Runde Kitzeln. Aber auch umgekehrt suchten die Ratten Verstecke, wenn sie von einem der Forschenden gesucht wurden. Ihre Fähigkeit, Strategien zu entwerfen, sei "fast unheimlich" gewesen, erinnert sich Brecht. Wenn die Menschen sich nicht an die Regeln hielten und sich immer am selben Ort oder nicht richtig versteckten, verloren die Tiere die Lust am Spielen.

Spielen ist jedenfalls grundlegend für das Wohlbefinden sowohl von Tieren als auch von Menschen. Tiere, denen jegliche Möglichkeit zu spielen entzogen wird, werden depressiv, beziehungsunfähig und weniger resilient gegenüber Stresssituationen. Michael Brecht erhofft sich, dass seine Arbeit zu einer größeren Wertschätzung des Spielens in der Wissenschaft beiträgt. Der Drang zu Spielen scheint jedenfalls in unserem Gehirn fest verankert zu sein.

"Viele Menschen denken, dass Spielen kindisch und nicht unbedingt ein bedeutsames Verhalten ist", sagt Brecht. "In meiner Wahrnehmung ist es ein Verhalten zum Selbst-Training. Normalerweise dient das Gehirn dazu, Verhalten zu kontrollieren. Spielerisches Verhalten scheint hingegen dazu zu dienen, das Gehirn anzuregen." (Karin Krichmayr, 5.8.2023)