Ulrike Sterblich
Früher rund ums Millennium das "Supatopcheckerbunny" im humoristischen Genre, heute gewiefte Autorin mit aus dem Ärmel geschüttelten Taschenspielertricks: die Berliner Autorin Ulrike Sterblich.
Dorothea Tuch

Weil es in diesem Roman ziemlich egal ist, an welcher Stelle man ansetzt, nehmen wir im gerade laufenden Festspielsommer doch einfach wahllos an irgendeiner Stelle einen passenden Dialog heraus. Es geht in diesem Buch um alles, das Leben, die Liebe, die Medien, die Kunst. Es geht um Film, Comicfiguren, Influencer, Klangschalen, Teambuilding-Seminare, den McGurk-Effekt, ewige Klischee-Yuppies, Slacker, Schlaffies, Lappen und guade Latsche – und es geht darum, weshalb man als erwachsener Mensch nicht zurück zu Mutter und ihren Tapeten aus den 1970er-Jahren ziehen sollte. Es geht also nebenbei auch einmal um die Hochkultur. Frage: "Gibt es auch Horror-Opern?" Antwort: "Du, alle Opern sind Horror!" Wer diesen Humor teilt, der liegt bei Drifter goldrichtig.

Die Berliner Autorin Ulrike Sterblich kennt man vielleicht von früher als rund um das Millennium umtriebig zwischen dem Satiremagazin Titanic, Ster- und Grissemanns Willkommen Österreich, der Internetplattform Höfliche Paparazzi und diversen eigenen Veranstaltungsreihen wie der Talkshow Berlin Bunny Lectures hüpfendes "Supatopcheckerbunny". Heute versteht sich die studierte Politologin, die zuletzt den Speed-Roman The German Girl veröffentlichte, auf Vorträge, etwa zum Thema Lernen mit Geschichte und Youtube.

Falsche Fährten ...

In Sterblichs neuem Roman Drifter konzentriert sie sich darauf, verschiedene literarische und nichtliterarische Genres miteinander zu vermengen oder aufzumischen: Schicke Quatschigkeit und Burleske aus Berlin-Mitte trifft auf ein kleines bisschen Horrorshow, Sachbuchpassagen aus der Welt der Wirtschaft, Medien- und Instagram-Kunde treffen auf Mystery, Parodie sowie Taschenspielertricks aus der Kunst des Legens falscher Fährten und doppelter Böden.

Im Wesentlichen handelt das Buch von einer beinahe zärtlichen Männerfreundschaft zwischen den jugendbuchgerecht benamsten Protagonisten Wenzel Zahn und Maro "Killer" Killermann. Der Erzählton ist locker und leicht gehalten. Wer sich für den "Jugendroman" Tschick des vor zehn Jahren verstorbenen Wolfgang Herrndorf erwärmen oder begeistern kann, wird diverse Parallelen entdecken.

Freundschaften fürs Leben beginnen naturgemäß recht oft schon in jungen Jahren. Sie beinhalten spätestens seit Tom Sawyer und Huckleberry Finn das Element der Reise. Neben Tschick seien durchaus passend auch Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, aber mit Caffè Latte und Elektroantrieb erwähnt. Nun gut, von einer Coming-of-Age-Geschichte kann man bei Jim Knopf nicht gerade sprechen. Immerhin aber verwandelt sich dort drüben in Kummerland der böse Drache Frau Mahlzahn am Ende zum "Goldenen Drachen der Weisheit". Egal.

Bei Ulrike Sterblichs Freundespaar Wenzel und Killer geht die auch nicht wirklich erfolgreiche Entwicklungsreise zurück an den Ort der Kindheit. Killer ist ein erfolgreicher PR-Manager für einen Lebensmittelgroßkonzern, Kleidungsstil "Smart Casual Punk". Er ist finanziell bestens aufgestellt und hat ein gutes Händchen in Sachen serielle Monogamie. Bei Ich-Erzähler Wenzel, der fürs Fernsehen arbeitet, sieht die Sache ein wenig anders aus: "Ich hingegen schaffte es, mich an jenen Ort zu manövrieren, wo man bei minderer Bezahlung einen schleichenden Menschenhass entwickeln und sonst nicht viel bewegen konnte: ins Community-Team."

Als Killer bei einem Pferderennen von einem Blitz getroffen wird und Wenzel auf die mysteriöse, in ihrem divenhaften Auftreten aus der Zeit gefallene Kunstfigur und Influencerin Ludovica "Vica" Malabene trifft, die eine "jugendliche Alterslosigkeit, wie sie "Verrückte oft haben", ausstrahlt, beginnen Realität und Fiktion gehörig zu verrutschen.

... doppelte Böden

Ähnlich wie in Wolfgang Herrndorfs genreübergreifendem Amnesie- und Realitätsverweigerungsthriller Sand fährt Ulrike Sterblich die schweren Geschütze auf: Der Killer hat, wie man liest, nach dem Blitzeinschlag zwar noch alle Tassen im Schrank. Allerdings hat er dort das Geschirr neu sortiert, den Job hingeschmissen, das am Ohr festmontierte Handy entsorgt und ist zum Hippie mutiert. Killer ist zurück zum Ursprung, zur Mutter in einen nicht so schicken Wohnblock am Rande Berlins gezogen.

Dort draußen in der Spießigkeit hat sich auf mehreren Stockwerken neben dem Killer und seiner Mutter aber auch Influencerin "Vica" eingemietet. Sie verdient ihr Geld als Teil des "Syndikats für Halbwahrheit" online mit Bezahlvideos, in denen tanzende Hunde Börsentipps verraten. Und sie gibt Partys, auf denen David Lynch mit Pippi Langstrumpf im Cabaret tanzt. Alles gerät also ein wenig außer Kontrolle.

Den titelgebenden mysteriösen Schriftsteller A:B Drifter, dessen neuem Roman Elektrokröte Wenzel in Drifter nachjagt, gibt es natürlich nicht. Das ist schade, aber egal. Wichtig ist: Drifter lässt einen heiter und schwindlig zurück. Ein Roman des Jahres! Wenn man ihn liest, ahnt man, wie sich ein LSD-Rausch anfühlen könnte. (Christian Schachinger, 3.8.2023)